Uni Luxemburg / „Stereotypen haben Nachwehen“: Forscherinnen erklären ihre Studie zur Gleichberechtigung in Schulbüchern
Ihre Studie hat in der vergangenen Woche für einiges an Gesprächsstoff gesorgt: Dr. Sylvie Kerger, Enrica Pianaro und Claire Schadeck von der Uni Luxemburg haben insgesamt 52 Lehrbücher aus den unteren Schulklassen der Sekundarschule untersucht. Das Fazit: Frauen sind in den meisten Schulbüchern völlig unterrepräsentiert – und Minderheiten wie z.B. People of Color oder Personen mit einer Behinderung fast komplett unsichtbar. Das Tageblatt hat mit zwei der Forscherinnen über ihre Studie gesprochen und nachgefragt, was sich denn nun verändern soll.
Tageblatt: Es ist nicht Ihre erste Studie zum Thema Gleichberechtigung in den Schulbüchern. Bereits in der Grundschule haben sich große Unterschiede bemerkbar gemacht. Dennoch: Haben Sie die Resultate dieser Studie erwartet?
Dr. Sylvie Kerger: Das ist richtig, unsere Studie ist eine Fortsetzung einer ersten Untersuchung, die ich zusammen mit Laurence Brasseur durchgeführt habe. Beim ersten Mal haben wir uns an ähnliche Studien, z.B. aus Frankreich, inspiriert. Ganz unerwartet waren unsere Feststellungen also nicht. Aber dass die Unterschiede sogar in der Grundschule schon so groß sind, damit hatten wir nicht unbedingt gerechnet. Jetzt hatten wir die Erfahrung der ersten Studie. Dass es in die gleiche Richtung gehen würde, war uns klar. Doch wieder hat es uns überrascht, dass es hier sogar noch größere Unterschiede gibt.
Am Ende der Studie fordern Sie Veränderungen. Doch was soll Luxemburg nun tun? Alle Schulbücher selbst schreiben? Oder alle umschreiben? Ein Großteil stammt schließlich aus dem Ausland.
Claire Schadeck: Das stimmt, teilweise stammen die Bücher aus dem Ausland. Andere wurden hier überarbeitet und es gab auch Material, das hier in Luxemburg hergestellt wird. Es ist uns bewusst, dass die Schulbücher nicht alle von heute auf morgen neu umgeschrieben und quasi von Grund auf reformiert werden können. Deswegen ist eine unserer Forderungen, das Lehrpersonal zu sensibilisieren. Die Lehrer und Lehrerinnen sollte mit unserer Studie vertraut sein, damit sie die problematischen und diskriminierenden Inhalte in den Büchern erkennen und offen ansprechen.
S.K.: Dann ist der problematische Inhalt zwar noch da – idealerweise würde er natürlich verschwinden – aber so könnte wenigstens eine Diskussion zwischen dem Lehrpersonal und den Schülern und Schülerinnen stattfinden.
Aber Ihre Studie sagt ja nichts über den Schulunterricht heute aus. Es kann also durchaus sein, dass diese Unterschiede jetzt schon in den Kursen aufgefangen werden.
C.S.: Das kann sein, das wissen wir natürlich nicht. Im Deutschen etwa gibt es viele Texte, die von den Verlegern und Verlegerinnen mit Kommentaren versehen wurden. Hinweise wie etwa „dieser Text ist in der alten Rechtschreibung“ – aufgrund von Urheberrechten. Das heißt, es wird durchaus versucht, die Texte in ihren Kontext zu setzen. Doch bei diskriminierenden Begriffen oder stereotypischen Darstellungen war das zum Teil nicht der Fall. Da wissen wir nicht, wird vom Lehrpersonal darauf reagiert oder nicht? Und wir haben natürlich auch keinen Einblick ins ganze Zusatzmaterial, das den Schülern und Schülerinnen zur Verfügung gestellt wird.
S.K.: Ich gehe davon aus, dass verschiedene Personen durchaus schon über diese Themen sprechen. Aber ob das alle tun? Deswegen sind Weiterbildungen, bis die Bücher inklusiver sind, sehr hilfreich.
C.S.: An sich plädieren wir dafür, dass diese Bücher überarbeitet werden. Und dass, wenn diese Überarbeitung stattfindet, mit Experten und Expertinnen gearbeitet wird. Also, dass zum Beispiel beim Thema sexuelle Aufklärung das „Planning familial“ oder das Cesas („Centre national de référence pour la promotion de la santé affective et sexuelle“; Anm. der Red.) miteingebunden wird.
Ein Vorwurf, den man in der Diskussion um Ihre Studie immer wieder hört, ist, dass eine Gleichberechtigung in den Schulbüchern gar nicht möglich sei oder ein Umschreiben der Bücher die Fakten verdrehen würde. Weil die Geschichte eben von Männern geprägt sei. Was sagen Sie dazu?
S.K.: (lacht) Wie oft haben wir diese Frage schon gehört? Wir haben da aber eine ganz andere Meinung.
Man kann nicht einfach sagen, es gab kaum Wissenschaftlerinnen, deswegen reden wir nur von Wissenschaftlern
C.S.: Man muss sich fragen: Wo legen wir den Fokus, wenn wir von Geschichte reden? Häufig geht es dabei um Krieg – und wir vergessen, dass bei einem Krieg alle Menschen, die in den Konflikt eingebundenen Ländern leben, im Kriegszustand sind. Sei es als Kampfbeteiligte, die in die Konflikte ziehen, oder als Person, die zu Hause bleibt und dafür verantwortlich ist, dass die Wirtschaft am Laufen bleibt und das soziale Leben weitergeht. Wir erzählen zu häufig nur die Realität einer bestimmten Bevölkerungsgruppe – die in der Regel männlich ist. Und wieso legen wir den Fokus so auf Kriege? In der Geschichte geht es eben auch um die Eroberung von Ländern, da spielt Krieg und das Militär eine wichtige Rolle. Wir wollen damit nicht sagen, dass man das ausblenden soll. Aber es spielt eben eine Rolle, wieso Frauen so wenig präsent sind. Und das wird nur spärlich thematisiert. Manchmal steht in einem Satz oder kleinen Kapitel, dass durch die damalige Rollenverteilung die Frauen diskriminiert wurden – das war es dann auch, und wir beginnen wieder damit, die Geschichte der „großen Männer“ zu erzählen. Der Bogen aber, wieso die Frauen abwesend sind, wird nicht geschlagen. So wird, in unseren Augen, ein verklärtes Weltbild vermittelt. Es erzählt nicht die ganze Geschichte, sondern nur eine ganz limitierte Perspektive.
S.K.: Frauen durften ganz lange nicht zur Schule gehen, nicht studieren, nicht am politischen Leben teilnehmen. Das ist ein Fakt. Man kann nicht einfach sagen, es gab kaum Wissenschaftlerinnen, deswegen reden wir nur von Wissenschaftlern. Erstens, es gab auch Frauen, die Wissenschaftlerinnen waren und Großes geleistet haben – diese werden aber häufig ausgeblendet, um anderen Platz zu lassen. Zweitens gab es viel weniger Wissenschaftlerinnen, weil Frauen kaum zur Schule oder zum Studium gehen durften. Diese ganze Diskussion wird überhaupt nicht geführt. Es wird einfach gesagt: Es waren eben nur Männer, die wichtig waren. Wir müssen uns fragen, wessen Geschichte wir intensiver erzählen wollen – und wieso?
Wir kritisieren den Status quo. Wir wollen Veränderungen. Und es gibt manche Leute, die das einfach nicht wollen.
Und das hat bis heute Konsequenzen …
S.K.: Ja, was früher war, hat einen Einfluss auf die Gesellschaft von heute. Dass etwa heutzutage weniger Frauen als Männer politisch aktiv sind, hat auch mit der Geschichte der Frauenrechte zu tun. Es ist noch gar nicht so lange her, dass Frauen ohne die Erlaubnis ihres Ehemannes oder ihres Vaters nicht arbeiten gehen durften. Auch das muss ausführlich in der Schule thematisiert werden.
C.S.: Stereotypen haben einfach Nachwehen. Was es bedeutet, wenn man lange in diesem Mindset aufwächst und konditioniert wird, merkt man sehr gut an dem Widerstand, der der ganzen Thematik der Gleichberechtigung entgegenschlägt. Wir kritisieren den Status quo. Wir wollen Veränderungen. Und es gibt manche Leute, die das einfach nicht wollen.
S.K.: Weil es sie vielleicht arrangiert. Und es gibt andere, die wollen ihre Machtposition einfach nicht abgeben. Denn damit eine Gruppe mehr Aufmerksamkeit und Macht bekommt, müssen die anderen etwas abgeben. Und diese Verschiebung …
C.S.: … ist nicht von jedem gewollt.
Die Geschichtsschreibung selbst war lange auch männlich geprägt. Heute wird viel intensiver über Frauen und Minderheiten geforscht. Wird das eine Auswirkung auf künftige Schulbücher haben?
S.K.: Diese Forschung wird auf die kommenden Generationen ihren Einfluss haben. Ebenso wie das Gendern der Sprache. Wir übernehmen viele Bücher aus der Schweiz, Österreich, Deutschland – wo man in der inklusiven Sprache sehr viel weiter ist als Luxemburg. Auf deren Unis hat sich das Gendern schon durchgesetzt. Es werden eigentlich keine Arbeiten mehr angenommen, wenn sie nicht gegendert sind. Doch wenn wir dabei bleiben und Bücher aus diesen Ländern übernehmen, wird es langsam auch dort häufiger auftauchen – und automatisch hier einfließen. Unsere Studie hat zudem gezeigt: Beim Gendern, wenn es vorkommt, geht man sehr unterschiedlich vor. Das kann verwirrend sein. Deswegen ist eine unserer Forderungen, dass ein einheitliches System geschaffen wird.
In Luxemburg stößt man beim Gendern aber immer noch auf großen Widerstand …
S.K.: Dessen sind wir uns bewusst. Das heißt aber nicht, dass wir uns nicht weiterhin dafür einsetzen.
Gab es schon eine Reaktion aus dem Bildungsministerium auf Ihre Studie?
S.K.: Die erste Studie wurde vom MEGA (Ministerium für Gleichstellung von Frauen und Männern; Anm. der Red.) finanziert. Da war das Bildungsministerium auch in vielen Meetings vertreten und hat uns beraten. Wir haben außerdem nach der Veröffentlichung Feedback bekommen, dass in verschiedenen Programmkommissionen die Studie in ihre Überlegungen einfließen würde. Bei der zweiten Studie hat das Bildungsministerium bei der Auswahl der analysierten Schulbücher geholfen. Es hat uns die Verkaufszahlen genannt und so konnten wir die am meisten genutzten Bücher für die Studie heranziehen. Wir erhoffen uns, dass diese zweite Studie ihren Einfluss haben wird und dass in den kommenden Wochen und Monaten eine Kollaboration entsteht. Finanziert wurde die zweite Studie übrigens von der Fondation Losch, die sich sehr viel im Kampf gegen Diskriminierung und für mehr Gleichberechtigung engagiert.
Ist eine weitere solche Studie in Planung?
S.K.: Nein. Wir sind uns bewusst, dass die höheren Stufen noch fehlen. Doch da wird eine gute Analyse dadurch erschwert, dass es zu viel Material und unterschiedliche Sektionen gibt. Also haben wir uns gefragt: Wo haben die Schulbücher den größten Einfluss? Alles, was vor dem 15. Lebensjahr läuft, formt uns am meisten. Also haben wir uns darauf konzentriert. Was man ins Auge fassen könnte, wäre eine Wiederauflage der Studie in ein paar Jahren. Aber derzeit ist es noch etwas früh. Wir müssen den Verantwortlichen erst mal die Chance geben, zu reagieren. Was interessant wäre, aber bisher nur eine Idee, ist eine Studie zum Verständnis des generischen Maskulinums. Also ob, wenn ich „die Schüler“ sage, auch die Mädchen wissen, dass sie damit gemeint sind. Es gibt Studien aus dem Ausland, die Hinweise liefern, dass Kinder das sehr, sehr schlecht verstehen. Meine Hypothese ist, dass das generische Maskulinum nicht für jeden wirklich verständlich ist. Und das wäre vor allem wegen Luxemburgs multilingualer Situation interessant.
Damit wären wir wieder beim Gendern: eine „künstliche“, „woke“ Anpassung der Sprache für einige Kritiker.
C.S.: Sprache ist ständig dabei, sich zu verändern. Das vergessen wir häufig bei der Diskussion. Wir tun, als hätte es schon immer in allen Sprachen diese Norm des generischen Maskulinums gegeben. Das stimmt einfach nicht. Da muss man z.B. nur über den „accord de proximité“ im Französischen sprechen. Sprache hat sich immer an einen sozialen Kontext angepasst. Deswegen bin ich auch optimistisch, dass sich die Sprache wieder verändern wird und wir mit unserer Arbeit – die ganz klar auch eine Aufklärungsarbeit ist – dazu beitragen.
Spielt es dabei eine Rolle, dass viele Luxemburger an ausländischen Unis studieren und dann das Gendern mitbringen?
S.K.: Ich glaube schon, dass es so eine Art „Ansteckungseffekt“ gibt. Es gibt mittlerweile viele Dozenten auf unserer Uni, die das Gendern verlangen. Wenn man sich daran gewöhnt hat, ist es schon fast seltsam, wenn nicht gegendert wird.
In Ihrer Studie ging es ja nicht nur ums Geschlecht, sondern auch um die Inklusivität gegenüber Menschen mit Behinderung, People of Color und queeren Menschen.
C.S.: Die meisten queeren Menschen findet man in den Biologiebüchern. Aber auch nur, weil es hier ein Kapitel gibt, in dem es spezifisch um Sexualität geht. Es ist nicht so, als wären hier LGBTQIA+-Personen und Paare einfach so da. Man muss die Biologiebücher schon fast separat gucken. In allen anderen Schulbüchern sind queere Menschen fast nicht präsent. Und wenn sie auftauchen, dann nur im Kontext ihrer Sexualität. Aber sie werden nicht – und das gilt auch für Menschen mit Behinderung und People of Color – als integraler Teil der Gesellschaft dargestellt.
Wie wichtig sind solche Studien wie Ihre?
S.K.: Bücher sind dafür da, die Schüler und Schülerinnen zu bilden. Sie vermitteln aber auch Werte und Gesellschaftsnormen – und Stereotypen. Diesen Einfluss kann man als Gesellschaft kontrollieren. Damit die Inklusivität, die wir anstreben, so auch in den Schulbüchern wiederzufinden ist.
C.S.: Außerdem hat Luxemburg 1989 den Cedaw-Vertrag (Committee on the Elimination of Discrimination against Women: Anm. der Red.) unterschrieben. Einer der Punkte, zu dem wir uns in diesem Vertrag verpflichtet haben, ist, zu vermeiden, stereotypische Rollenbilder zu vermitteln – und das auch in den Schulbüchern. Und wenn das der Fall sein sollte, diese Materialien zu überarbeiten und abzuschaffen. Wir haben nun eine Bestandsaufnahme gemacht. Das ist keine Analyse, die wir uns zusammengebastelt haben, weil wir unsere Hypothese bestätigen wollten. Sondern einfach nur eine kritische Datenlage, die nun als Ausgangsbasis für weitere Diskussionen dienen kann.
S.K.: Wir wollen nicht, dass diese Resultate in einer Schublade verschwinden. Wir haben das gemacht, damit mit der Studie gearbeitet wird und sich wirklich etwas verändert. Wir klagen mit unserer Studie niemanden an, auch wenn manche das so empfinden. Es ist eine reine Bestandsaufnahme, auf der man dann weiter arbeiten kann.
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Die Uni könnte ja neue, bessere, wokere Schulbücher erstellen, ohne IP, ohne copyright, damit wir nicht Millionäre und Librairien reich machen mit Steuergeldern.
Man ist immer wieder verblüft über was alles an der Uni „geforscht“ wird…. Und siehe da, ihre „Forschung“ hat ihre „Hypothese“ bestätigt und nun muss diese arme Gruppe an „Wissenschaftler“ doch tatsächlich noch mehr „Forschen“ um dieses konstruierte Problem zu beheben, sprich sie wollen mehr Gelder… Dies ist das ganze Problem mit solchen wackeligen und fragwürdigen Forschungsgebieten, erst ein Problem künstlich aufbauschen dann eine „Studie“ konstruieren die so abgeziehlt ist, dass sie die eigene Hypothese einfach bestätigen muss um dann seine eigene Darseinsberechtigung vorlegen zu können um noch mehr Gelder anzufordern…. Und so ein BLödsinn wird gefördert!
Wen interssieren die Bilder in Schulbüchern? Wie wäre es dann wenn wir uns mit der Qualität und dem Inhalt dieser Bücher auseinandersetzen und dort anfangen wo es wichtig ist?
Loossem mer dach d’Kanner an den Grond-Scho’ulen verscho’unen mat deser onnetzlechen Diskussion !
Loossen mer d’Kanner sech ob Schreiwen, Liesen an Rechnen konzentrei’eren !
As an dem Alter mei‘ netzlech wei‘ dei‘ phylosophesch Themen !
Ech fannen et gutt, dass Kanner sollen fréi un Diversitéit vun onserer Gesellschaft erugefouert ginn. DAT klassescht Gesellschaftsbild ass iwwerholl an dat sollt sech eremspigelen och an de Schoulbicher.