Editorial / Stiefkind Radfahrer? Luxemburg ist weit entfernt von „Vision zéro“
„Vision zéro“, Tempo 30 innerorts, strengere Strafen für Verkehrsrowdys und besserer Schutz von Radfahrern: Die Hauptforderungen der „Sécurité routière“ sind eng miteinander verflochten. Will man Radfahrer besser schützen und prinzipiell eine „Vision zéro“ (Null Verletzte, null Tote im Straßenverkehr) erreichen, dann geht das nur mit einer sicheren Infrastruktur, einer Verringerung des Tempos und einer verstärkten Repression gegenüber denjenigen, die es mit den Regeln nicht ganz so genau nehmen.
Das ist freilich leichter gesagt als getan. Die bereits in den Wahlkämpfen des vergangenen Jahres viel thematisierte flächendeckende Geschwindigkeitsbegrenzung von 30 km/h innerorts kann kein Allheilmittel sein. Beispiel Esch: Mit Ausnahme der großen Achsen und Nationalstraßen gilt fast auf dem gesamten Stadtgebiet die Geschwindigkeitsbegrenzung 30. Das Problem aber ist, dass sich gefühlt über die Hälfte aller Autofahrer nicht daran hält. Was neben jugendlichem Leichtsinn zwei Gründe hat: Erstens sind die meisten Straßen nicht so zurückgebaut, dass der Fahrer gar keine andere Wahl hat, als vom Gas zu gehen. Und zweitens sind Verkehrskontrollen der Polizei selten.
Laut Verkehrssicherheit-Präsident Paul Hammelmann werden Radfahrer als Verkehrsteilnehmer in Luxemburg immer noch stiefmütterlich. Es bestehe akuter Handlungsbedarf, so Hammelmann, man müsse aktiver werden, um Radfahrer zu schützen. Die Unfallstatistik von 2023 zeigt einen massiven Anstieg an schwer verletzten oder getöteten Radfahrern (40 gegenüber 28 im Vorjahr). Neu ist auch, dass 29 Prozent aller tödlichen Verkehrsunfälle inzwischen innerorts stattfinden. Bei den Unfällen mit Schwerverletzten waren es 2023 gar 52 Prozent. Häufigste Ursache ist eine zu hohe Geschwindigkeit.
Es ist auf den Tag genau einen Monat her, dass in Luxemburg-Stadt ein junger Radfahrer an der Kreuzung nahe des „Pont Adolphe“ von einem Lkw erfasst und schwer verletzt wurde. Vor zehn Tagen erinnerte eine Mahnfahrt an den Unfall. Die Forderung der Radfahrer: Eiligst sichere Infrastrukturen für Radfahrer zu schaffen. Jede neue Straße soll mit einem abgetrennten Radweg gebaut werden und jede existierende Straße mindestens eine Radspur bekommen. Darüber hinaus soll sich die Mentalität der Menschen gegenüber dem Fahrrad ändern.
Ein Blick über die Grenzen hinaus genügt, um den immensen Nachholbedarf Luxemburgs in Sachen sicherer Radinfrastruktur zu unterstreichen. In Deutschland gibt es an zahlreichen Landstraßen separate Rad- und Fußgängerwege. Die sind hierzulande Mangelware. Was innerhalb der Städte in kürzester Zeit möglich ist, beweisen seit der Pandemie Brüssel oder Paris. Die Olympiastadt hat in den letzten Jahren einen radikalen Wandel in ihrer Verkehrspolitik vollzogen und durch die konsequente Förderung der sanften Mobilität und des öffentlichen Transports die Lebensqualität der Bürger genauso verbessert wie die Aufenthaltsqualität der Touristen. Dafür musste der motorisierte Verkehr zurückgedrängt werden.
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