Im Gespräch / Stimmen im Klangteppich: Catherine Elsen über ihr Projekt „The Assembly“ und dessen Folgeprojekt „The Memory of Voice“
In einem multimedialen Projekt verknüpfen Catherine Elsen und Charlotte Bruneau VR, Performance und Avant-Garde-Musik, um den Körper als Panoptikum der stimmlichen Pluralität, die in jedem von uns steckt, darzustellen. Wieso das komplizierter klingt, als es eigentlich ist, erklärt uns die Performerin Catherin Elsen im Gespräch.
Als Schauspielerin hat sich Catherine Elsen eigentlich nie wahrgenommen – auch wenn das hiesige künstlerische Umfeld sie recht lange so kategorisierte. „Sehr oft wurde ich mit der Frage konfrontiert, was ich eigentlich bin. Ich antworte dann, dass ich das mache, was mich interessiert. Klassisches Texttheater gehört nur selten dazu – eigentlich nur dann, wenn wir die Texte selber schreiben oder ein Text mich wirklich fasziniert“ – wie bei „Psychosis 4.48“ von Sarah Kane, für dessen ILL-Adaptierung sie den Sommer über probt. Nach dem zweiten Kapitel des „The Assembly“-Projektes, bei dem sie nicht nur komponiert und performt, sondern auch die künstlerische Leitung, die Koordination und die Produktion (zusammen mit Charlotte Bruneau im Rahmen ihrer asbl Pitchblack) übernimmt, tut es gut, sich wieder mal auf die Schauspielerei fokussieren zu können – auch wenn eine Sarah-Kane-Adaptierung alles andere als leichte Kost ist.
Im Allgemeinen liegt ihr das Schubladendenken nicht: Auch als Musikerin möchte sie sich nicht wahrnehmen, da sie einerseits nicht über eine klassische musikalische Ausbildung verfügt, andererseits auch bei ihren musikalischen Auftritten den Schwerpunkt auf die Performance und das Theatralische liegt. „Am Theater interessiert mich das Erzählerische und, vor allem, das Kollaborative. Bei Musikern hat man meist den Eindruck dass selbst innerhalb eines Bandgefüges das Individuum und die Art, wie jemand sein Instrument beherrscht, meist zentraler sind als das Kollektiv.“
Mit ihrem Projekt „The Assembly“ hat sich die Künstlerin aber erstmals die Freiheit gegeben, das zu sein und zu machen, was ihr am Herzen liegt – ganz gleich, ob die Außenwelt Definitionsschwierigkeiten damit hat und das Projekt in keine Schublade passt.
Die Idee dazu entstand im Rahmen vom Projektaufruf für die Kulturhauptstadt Esch22. Elsen wollte seit längerem etwas konzipieren, das sich an der Schnittstelle zwischen Musik, Performance, Theater und neuen Medien („ich weiß, der Ausdruck klingt sowas von nach den 90ern“, lacht die Kulturschaffende) befände – und der Idee, die sie seit vielen Jahr verfolgt, huldigen: Nämlich, dass unser Körper eine Unendlichkeit an stimmlichen Ausdrucksformen beinhaltet und deswegen auch das zentrale Instrument des „The Assembly“-Projektes sein sollte.
Aus dem Fenster werfen oder etwas Neues lernen
Neben der Recherche über die vielfältigen stimmlichen Potenzialitäten, die der eigene Körper birgt, befasst sich die Kulturschaffende seit einige Jahren mit diversen Formen des Komponierens und Sound Designs. „Die Pandemie stellte uns ja quasi alle vor die Wahl, sich aus dem Fenster zu schmeißen oder etwas Neues zu lernen“, ironisiert Elsen. „Ich entschied mich deswegen, mich mit Ableton zu beschäftigen, was mir nach und nach erlaubt hat, immer selbstsicherer im Kompositionsprozess zu werden.“ Während sich Elsen bei der ersten Version von The Assembly noch viel auf den iranischen Komponisten Pouya Ehsaei stützte, ging sie beim zweiten Kapitel viel selbstsicherer und autonomer an das Musikschreiben heran.
„Kurz vor dem Esch22-Projektaufruf besuchte ich das MUTEK-Festival in Montréal – und war davon beeindruckt, was dort in den Bereichen audiovisueller Kunst und digitaler Kreativität zu entdecken war.“
Zusammen mit der Filmemacherin Charlotte Bruneau gestaltete Catherine Elsen das Projekt „The Assembly“, bei der es darum ging, auf eine holistische und enthierarchisierte Art zu zeigen, wie Körper und Stimme zusammenhängen, sich vom axiologischen Konzept guten und schlechten Gesangs zu entfernen – und gleichzeitig ein Medium wie VR, in dem Bruneau bereits Erfahrungen gesammelt hatte, als mögliche Ausweitung der Bühne zu erforschen: In einer VR lösten die Zuschauer durch ihre Bewegungen Klänge aus und begegneten einer schamanischen Figur, der Memory of Voice, die ganz aus Ton bestand. Später, im Rahmen einer Performance, hat Catherine Elsen diese Schamanin dann auch physisch verkörpert.
„Wesentlich war dabei, dass wir eine klangliche Identität schaffen, in der prälinguistische Elemente wie Atmung, Schreie oder Ausrufe und Lautmalerei als rhythmischen Unterbau und als Klangtapete benutzt werden, um somit all diese Elementen der Musikalität, die der Mensch wie ein Archiv in sich trägt, zu würdigen.
Alle Klänge sollten von meinem Körper erzeugt werden. Eine zentrale Idee ist dabei, dass es eine Pluralität an Stimmen in uns gibt, die wir finden müssen. Unsere plurale DNA spiegelt sich ja bereits im Alltag, weil wir stets mit anderen in Kontakt stehen, deren Stimmen und Wortlaute uns prägen – und weil wir dort von einer Rolle in die nächste schlüpfen. Mit dem Projekt möchte ich diesen Pluralitätsverdacht konkretisieren, die Suche nach stimmlichen Potenzialitäten ins Rampenlicht stellen.
Gleichzeitig nutzten wir ein sogenanntes ‚ambisonic Soundsystem‘, das dem Komponist und Sound Designer Pouya Ehsaei interaktives und immersives Komponieren erlaubte. Eine immersive Klangwelt bedeutet dabei nicht einfach, dass wir überall Lautsprecher aufstellen, sondern, dass man Dinge räumlich komponiert, sodass bspw. ein Flüstern erst von oben erklingt und sich dann nach unten bewegt. Neben dem Komponieren für die Ambisonic Sound Installation hat Pouya die Herausforderung angenommen, Musik dreidimensional für eine virtuelle Realität zu schreiben – was umso komplexer ist, weil man die möglichen Erfahrungen des Nutzers, der in fünf verschiedenen von der Architektin Laura Manelli designten Pods lag und dort mithilfe von Objekten und Lichtsports Klänge auslösen konnte, stets mitkalkulieren musste.“
Nachhaltig, modular, interaktiv
Nach der Esch22-Erfahrung wollten Elsen und Bruneau das Konzept künstlerisch noch tiefer ausloten. Das zweite Kapitel sollte erzählen, wie die Memory of Voice ihre Erinnerung verliert und versucht, diese durch ihre Stimme wiederzufinden. Erstmals ging es aber ganz pragmatisch darum, das doch etwas unhandliche Metallbiest, das für das erste Kapitel entworfen wurde, so umzugestalten, dass es leichter transportiert werden (und auf Tour gehen) kann – Traumziele von Catherine Elsen wären experimentellere Musikfestivals wie das Ars Electronica, das MUTEK oder auch das Multiplica in den Rotondes. „Unser Projekt ist zwar sehr Technologie-affin – trotzdem steht die menschliche Komponente im Vordergrund.“
Als das Kulturhaus „opderschmelz“ den beiden eine Residenz und einen Auftritt während des Usina-Festivals anbot, war schnell klar, dass die zweite Auflage des Projekts schneller als geplant stattfinden würde. „Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, 2023 etwas leiser zu treten – aber das Angebot war zu verlockend. Und so entschieden wir uns, trotz der knappen Deadline von gerade mal acht Monaten zuzusagen.“ In Zusammenarbeit mit u.a. dem Luxemburger Künstler Serge Ecker und der Bühnenbildnerin Dovile Gecaite wurde re- und upgecycelt – und am Ende kam ein VR-Baum mit fünf Ästen und genauso vielen Headsets heraus.
Nachhaltig, modular, interaktiv: Das gilt auch für den Klangteppich, der aus den Schleiern der ersten The-Assembly-Auflage und anderen von Benu (dem ersten Ökodorf in Esch/Alzette, Anm. der Red.) gelieferten recycelten Stoffen entstand. In den Teppich ist eine LED-Leuchte eingelassen, damit dieser durch eine Art Lichtshow auch wie ein Lebewesen wirkt. Die Zuschauer*innen dürfen auf ihm Platz nehmen, können Leuchtkugeln in einen Behälter legen, um aktiv Teil der klanglichen Erinnerungssuche zu werden.
Der von Catherine Elsen eigens für den Teppich komponierte Soundtrack ist experimentell und klingt ein bisschen wie eine Stimme, die ihren Körper sucht. „Hierfür suchte ich die Dringlichkeit in der Stimme, das Raue, das Unfertige – sobald etwas zu glatt klang, habe ich es verworfen. Musik oder Konzerte, die schön klingen, gibt es bereits genug.“ Elsens Figur, die zu diesem Soundtrack performt, wird Teil dieses Klangteppichs, ragt sozusagen aus ihm heraus – ein bisschen wie in Remedios Varos’ Gemälde „Bordando El Manto Terrestre“, in dem sechs Frauen in einem Turm einen Teppich weben, dessen Stoff zur Außenwelt selbst wird, verschmelzen hier Realität und Darstellung, Performance und Publikum, das Geflochtene und das Erfahrene.
Nach der Usina-Performance gilt es, Bilanz zu ziehen und zu schauen, wie sich das Projekt weiterentwickeln wird – hört man Catherine Elsen zu, wie sie bereits am nächsten Kapitel ihres multimedialen Konzepts schraubt, scheint Stillstand ihr größter Feind zu sein. „Erst mal gilt es, die interaktive Komponente weniger plakativ zu gestalten. Teil der Magie des Theaters ist es, jemandem zuzuschauen, wie er oder sie etwas erlebt. Das hat tausende Jahre blendend funktioniert – also denke ich, wir sollten uns wieder verstärkt darauf zurückberufen. Konkret bedeutet dies, meine Performance weiter auszubauen, sie länger zu gestalten und den Schwerpunkt auf ein circa einstündiges Ritual zu legen.
Weiterhin überlege ich, andere Stimmen in die Kompositionen einzuflechten – wenn die Darstellung meiner stimmlichen und körperlichen Selbstfindung als Ziel hat, die Verbindung zu anderen herzustellen, finde ich es vielleicht ein wenig zu selbstbezogen, nur meine eigene Stimme als Material zu nutzen. Wenn ich zudem von der Annahme ausgehe, dass es eine nahezu unendliche Pluralität an Stimmen in uns gibt, dann ist mein Körper ja vielleicht auch das Archiv anderer Ausdrucksformen. Dabei könnte es sich um die Stimme meiner Großmutter, der Sängerin eines Liedes, das ich als Kind hörte oder gar einer Schamanin im Amazonas handeln. Vielleicht“, schlussfolgert Catherine Elsen, „waren wir zu Beginn etwas größenwahnsinnig und überambitioniert – und finden jetzt so langsam zu einer komprimierteren Version des Projekts.“
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