/ Streit um Danziger Westerplatte: Städte und Gemeinden befürchten gefährlichen Präzedenzfall
Kurz vor dem 80. Jahrestag des Beginns des Zweiten Weltkriegs auf der Halbinsel Westerplatte bei Danzig ist ein jahrelang schwelender Streit um ein Museum im historischen Hafengelände wieder ausgebrochen.
Von unserem Korrespondenten Paul Flückiger, Danzig/Warschau
Polens Regierung will das Gelände kurzerhand vom Parlament enteignen lassen. Die Kleine Kammer, der Senat, soll noch diese Woche entscheiden. Das historische Gelände am nördlichen Hafenland gilt in Polen als Mahnmal für den deutschen Überfall auf Polen vom 1. September 1939. Es wurde deshalb kaum bebaut und aus der Danziger Innenstadt fahren Ausflugsschiffe jährlich Tausende von Touristen zu einem in den Sechzigerjahren errichteten Denkmal.
Dieses Gelände soll nun gemäß Willen der rechtskonservativen Kaczynski-Regierung in eine Museumsaußenstelle des Danziger Weltkriegsmuseums (muzeum1939.pl) verwandelt und zu diesem Zweck nationalisiert werden. Dem Ansinnen der Museumsfusion hat sich die liberal regierte Stadt Danzig bisher widerstrebt. Sie hat das Gelände unter die Obhut des Stadtmuseums gestellt und plant dort ein eigenes Museum. Dieses soll sich auf bisherige Freiluft-Informationstafeln und die noch erhaltenen Ruinen des 1924-39 bestehenden Munitionsdepots der polnischen Armee stützen. Das Gelände war damals am Rande der vom Völkerbund verwalteten Freistadt Danzig, eines quasi unabhängigen Stadtstaates, dem polnischen Heer zum Gebrauch überlassen worden.
Drei große Traumata
Die seit der Wende von 1989 immer liberal regierte Stadt Danzig verweigerte der Regierung und auch der Armee in den vergangenen Jahren immer wieder den Zugriff auf diesen Stadtteil, nachdem ihn PiS zu einer zentralen Stelle ihrer Geschichtspolitik auserkoren hatte. Jeweils am Jahrestag des deutschen Überfalls von 1939 wollte die PiS nämlich auch an den Flugzeugabsturz von 2010 erinnern, in dem die Partei ein Attentat gegen den damaligen Staatspräsidenten Lech Kaczynski (PiS) sieht.
Die drei großen Traumata der Polen – der deutsche Überfall vom 1. September, der sowjetische Zangenangriff von Osten her vom 17. September 1939 und der Absturz des Präsidentenflugzeugs unweit der Massengräber von fast 20.000 vom sowjetischen Geheimdienst ermordeten Polen von Katyn bei Smolensk – sollten so vereint werden. Den jahrelangen Streit um die Westerplatte satt, ließ Lech Kaczynskis Zwillingsbruder Jaroslaw, Polens Schattenpremier, kurzerhand ein Sondergesetz schreiben, das künftig Enteignungen solch national bedeutender Orte möglich machen soll.
Ein ähnliches Gesetz hatte ihm zuvor schon in Warschau erlaubt, der ebenfalls liberal regierten Stadt ein paar Quadratmeter für ein Denkmal für seinen geliebten Zwillingsbruder abzunehmen. Bei der Westerplatte handelt es sich allerdings um ein viel größeres und historisch bedeutenderes Gelände. Dazu drängt nun die Zeit, denn der runde 80. Jahrestag ist in knapp zwei Monaten.
Zwar hatte Staatspräsident Andrzej Duda die Gedenkfeiern vorsichtshalber aus Rücksicht auf seinen Wunschgast, den amerikanischen Präsidenten Donald Trump, nach Warschau verlegt. Auch sollen die Gedenkfeiern in diesem Jahr einen Tag früher im westpolnischen Städtchen Wielun beginnen, wo Hitlers Luftwaffe bereits ein paar Minuten vor dem Angriff des Schulschiffs „Schleswig-Holstein“ auf das Munitionsdepot Westerplatte Wohnhäuser von Zivilisten zerbombt und damit die ersten deutschen Kriegsverbrechen begangen hatte. Das bekannteste Symbol für den Beginn des Zweiten Weltkriegs bleibt indes Danzig. Daran kann auch PiS nichts ändern.
Geplant ist auf Westerplatte deshalb ein Museum über die Verteidigung des Munitionsdepots durch die knapp hundert chancenlosen, aber heldenhaften polnischen Soldaten für umgerechnet fast 30 Millionen Euro. 15 Westerplatte-Verteidiger fielen in den ersten sieben Kriegstagen, die restlichen kamen in Kriegsgefangenschaft.
Kompromiss angeboten
Das bisher noch nicht gebaute Westerplatte-Museum der PiS wurde zuvor mit dem international bekannten „Museum des Zweiten Weltkriegs“ fusioniert, dessen Direktor Pawel Machcewicz das Kulturministerium 2017 gegen einen strammen PiS-Parteisoldaten ausgewechselt hatte. Die Außenstelle Westerplatte soll dem ganzen Projekt nun den erwünschten patriotischen Schnitt garantieren. Zumal sich Machcewiczs Konzeption der Hauptausstellung nicht so einfach umarbeiten lässt wie offenbar erhofft.
Das Gelände des ehemaligen Munitionsdepots Westerplatte sei unter der liberalen Stadtregierung verlottert, klagt das regierungsfreundliche Nachrichtenportal wpolityce.pl. Tatsache ist, dass die dortigen Freilicht-Museumsstellwände in den letzten Jahren auf viele Touristen wenig attraktiv wirkten. Wenig erhellend präsentierte sich allerdings im Vorjahr auch eine Sonderausstellung des vom Kulturministerium geplanten Westerplatte-Museums. Dutzende Ausgrabungsgegenstände wie Uniformknöpfe und Brillen wurden weitgehend ohne Kontext in Schaukästen präsentiert.
Nicht zuletzt deshalb ist die Danziger Bürgermeisterin Aleksandra Dulkiewicz kürzlich mit einem Kompromissangebot ins Warschauer Kulturministerium gepilgert, das der Taktik ihres im Januar ermordeten liberalen Vorgängers Pawel Adamowicz würdig ist.
Dulkiewicz hat vorgeschlagen, dass die Stadt der Regierung die Ruinen des Waffendepots und dazu Land für den geplanten Museumsneubau schenke, wenn sie im Gegenzug beim Museumskonzept mitbestimmen könne. Das Kulturministerium jedoch beharrte auf der Enteignung des Geländes und lädt die Stadt Danzig einzig in den Museumsbeirat ein.
Das Sondergesetz wurde im Sejm Ende letzter Woche mit 262 zu 164 Stimmen angenommen. Nun braucht es nur noch die Zustimmung des Senats, Polens Kleiner Kammer, die ebenfalls von der PiS beherrscht wird. Kommunalpolitiker warnen bereits vor einem Präzedenzfall. Wenn erst einmal die Danziger Westerplatte enteignet worden sei, könnten künftig auch andere städtische Einrichtungen folgen, fürchten sie. Damit würde das Selbstbestimmungsrecht der Gemeinden beschnitten.
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