EU-Parlament / Streit um den Rechststaatsmechanismus spitzt sich zu
Der Streit um die Anwendung des Rechtsstaatsmechanismus zum Schutz der finanziellen Interessen der EU spitzt sich weiter zu. Die EU-Parlamentarier drohen die Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg zu verklagen.
Die der EU-Kommission von den Abgeordneten des Europäischen Parlaments am 25. März in einer Resolution gesetzte Frist ist am 1. Juni abgelaufen. Die Volksvertreter hatten die Brüsseler Behörde ultimativ dazu aufgefordert, den seit Jahresbeginn in Kraft getretenen Rechtsstaatsmechanismus – oder „Konditionalitätsmechanismus“ – unverzüglich anzuwenden. Mit diesem Mechanismus kann die Kommission gegen jene EU-Staaten vorgehen, die sich nicht an die rechtsstaatlichen Prinzipien in der EU halten. Sollte durch dieses Verhalten Schaden für das EU-Budget entstehen, können dem betroffenen Mitgliedstaat EU-Gelder entzogen werden. Eine Mehrheit der EP-Abgeordneten sieht vor allem was Ungarn und Polen anbelangt einen dringenden Handlungsbedarf.
Die Regierungen in Budapest und Warschau wissen, dass sie im Visier nicht nur der EU-Parlamentarier stehen und hatten sich daher im vergangenen Dezember lange gegen die Einführung des Mechanismus gewehrt. Um ihr Ziel zu erreichen, hatten sie zeitweilig den mehrjährigen EU-Haushalt samt dem 750 Milliarden Euro schweren Corona-Wiederaufbaufond als Geisel genommen und ihre Zustimmung zum Finanzpaket verweigert. Doch es nützte nichts. Ungarn und Polen mussten nachgeben, erhielten aber beim damaligen Gipfeltreffen der EU-Staats- und Regierungschefs die Möglichkeit zugestanden, die Rechtmäßigkeit der neuen Konditionalitätsregel anzufechten und Klage vor dem EuGH einzureichen. Was sie auch am 11. März taten. In der Hoffnung, dass sich das Urteil der Luxemburger Richter um Jahre hinziehen werde. Was vor allem für den ungarischen Regierungschef Viktor Orban vorteilhaft wäre, der sich im Herbst wieder dem Wähler stellen muss. Bis dahin, so befürchten manche EP-Abgeordneten, werde Orban sich weiterhin mit EU-Geldern die Gunst der Wähler sichern.
Die ungarische Renew-Abgeordnete Katalin Cseh meinte denn auch gestern während einer Debatte über die Anwendung des Konditionalitätsmechanismus, Orbans Schwiegersohn würde weiterhin EU-Gelder kassieren, obwohl EU-Ermittler zum Schluss gekommen seien, dieser würde die EU betrügen. Zudem sei ein Jugendfreund Orbans mittlerweile der reichste Mann Ungarns und habe „Subsidien im Wert von einer Milliarde Euro eingesteckt“, so die liberale EP-Abgeordnete weiter.
Kommission will noch Leitlinien vorlegen
Unter anderem deshalb drängen die EP-Abgeordenten die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bereits seit Monaten, das Regelwerk endlich anzuwenden. Die Parlamentarier argumentieren, dass das noch ausstehende EuGH-Urteil keineswegs die Anwendung der Verordnung verhindern soll. Die Klagemöglichkeit sei lediglich eine Abmachung zwischen den EU-Staats- und Regierungschefs, ohne Rechtsverbindlichkeit. Die EU-Kommission hingegen will erst noch „Leitlinien“ ausarbeiten, in denen festgelegt wird, wie der Mechanismus angewandt werden soll. Die Abmachung der 27 sieht vor, dass aus dem EuGH-Urteil hervorgehende Erkenntnisse in diese Leitlinien mit einfließen sollen.
Nun sollen diese „Guidelines“ bereits Mitte Juni vorgestellt werden, erklärte EU-Haushaltskommissar Johannes Hahn gestern. Ob die Kommission damit jedoch die Klage der EP-Abgeordneten, die mit der heutigen Annahme einer neuen Resolution in Vorbereitung gehen soll, abwenden kann, ist fraglich. Denn für die Liberalen erklärte der deutsche Abgeordnete Moritz Körner, dass die Vorlage der Leitlinien nicht als Tätigkeit „akzeptiert“ und somit auch nicht die „Untätigkeitsklage“ verhindern werde. Johannes Hahn versicherte hingegen, dass alle Fälle seit dem Inkrafttreten der Verordnung berücksichtigt würden und die Kommission sich bereits an die Arbeit gemacht habe.
Das Geld der europäischen Bürger
Dass es durchaus genügend Anhaltspunkte gibt, bei einigen Mitgliedstaaten genauer hinzuschauen, machte die sozialdemokratische Abgeordnete Birgit Sippel gestern deutlich. So habe der Europäische Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg Anfang Mai Polen bescheinigt, dass die „Zusammensetzung des Verfassungsgerichtes von Illegalität geprägt ist“. Ende Januar habe die EU-Kommission Ungarn in einem Bericht ermahnt, dass „umfassende Änderungen am Vergaberecht“ notwendig seien, „um systematischen Betrug am Wiederaufbaufonds zu vermeiden“, so die S&D-Abgeordnete weiter. In einem weiteren Bericht zu EU-Fördergelder habe die EU-Kommission schließlich dem tschechischen Regierungschef und Unternehmer Andrej Babis vorgehalten, in „massive Interessenkonflikte verstrickt“ zu sein. Millionen Euro seien zu Unrecht geflossen, Babis habe gegen EU-Recht verstoßen, sagte Birgit Sippel, die daher nicht verstehen könne, warum die EU-Kommission den Mechanismus nicht anwende.
„Es geht um die Glaubwürdigkeit der EU“, sagte die luxemburgische EP-Abgeordnete Isabel Wiseler-Lima, die ebenfalls forderte, dass der Konditionalitätsmechanismus „schnell angewandt wird“. Denn einige Regierungen in der EU hätten ein System eingerichtet, in dem sich die Leute an der Macht und ihre Freunde bereichern würden. Doch das, so Isabel Wiseler-Lima, „ist das Geld der europäischen Bürger, das ihre Taschen füllt“.
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