Bürgerkrieg / Syrien feiert den Sturz des Regimes: Rebellen erobern Damaskus, Assad flieht nach Moskau
13 Jahre syrischer Bürgerkrieg gipfeln in einer Woche, in der sich die Ereignisse überschlagen. Machthaber Baschar al-Assad flieht vor dem Ansturm der Rebellentruppen. Die werden angeführt vom islamistischen Milizen-Chef Abu Mohammed al-Dscholani, der sich als geläuterter Radikaler gibt.
Islamistische Kämpfer haben den syrischen Machthaber Baschar al-Assad gestürzt und damit die jahrzehntelange Herrschaft des Assad-Clans im Land beendet. Die Miliz Hajat Tahrir al-Scham (HTS) verkündete am Sonntag die Einnahme der Hauptstadt Damaskus und die Entmachtung Assads. Dessen Verbündeter Russland bestätigte, dass der Präsident Syrien verlassen habe. In Damaskus feierten Assad-Gegner auf der Straße, Plünderer und Schaulustige drangen in Assads Residenz ein. Westliche Regierungen begrüßten dessen Sturz und mahnten zugleich einen friedlichen politischen Übergang an.
Die islamistischen HTS-Kämpfer und mit ihr verbündete Milizen waren seit Ende November vom Nordwesten des Landes aus schnell vorgerückt, hatten Großstädte handstreichartig eingenommen und standen binnen weniger Tage vor den Toren von Damaskus. Die syrische Armee gab viele Positionen kampflos auf. Am Sonntag verkündeten die Milizen im Staatsfernsehen, der „Tyrann“ Assad sei gestürzt und Damaskus befreit worden. Die Kämpfer riefen die ins Ausland geflüchteten Syrer auf, in ein „freies Syrien“ zurückzukehren. Sie verlasen eine Erklärung, der zufolge „alle zu Unrecht Inhaftierte“ freigelassen werden sollten. Der Assad-Clan hatte das Land seit über 50 Jahren mit eiserner Hand regiert. Baschar al-Assad hatte die Macht im Land im Jahr 2000 von seinem verstorbenen Vater Hafis al-Assad übernommen.
Russland gewährt Asyl
Wie AFP-Reporter berichteten, wurde die Empfangshalle von Assads Präsidentenpalast in Damaskus am Sonntag in Brand gesetzt, zuvor war seine Residenz geplündert worden. In der Botschaft des Assad-Verbündeten Iran richteten Eindringlinge große Verwüstungen an. Auch in mehreren Gebäuden von Sicherheitsbehörden in Damaskus brannte es am Sonntag. Ein AFP-Fotograf sah Flammen in dem Komplex der Sicherheitsbehörden, in dem auch der Militärgeheimdienst seinen Sitz hat. Auch ein Gebäude der Kriminalpolizei brannte. Im Zentrum von Damaskus waren zuvor Freudenschüsse, Jubel und „Allahu Akbar“-Rufe zu hören gewesen. Auf einem Platz im Zentrum der Hauptstadt wurde eine Statue von Hafis al-Assad umgestürzt und zerschlagen.
Assad habe Syrien über den internationalen Flughafen von Damaskus verlassen, bevor sich Armee und Sicherheitskräfte dort zurückgezogen hätten, teilte der Leiter der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte, Rami Abdel Rahman, mit. Das mit Assad verbündete Russland bestätigte den Rücktritt und die Ausreise Assads. Nach Angaben russischer Medien ist der syrische Präsident nach Moskau geflohen. „Assad und seine Familienmitglieder sind in Moskau angekommen“, berichteten die staatlichen Nachrichtenagenturen Tass und Ria Nowosti am Sonntag unter Berufung auf eine Quelle im Kreml. Russland habe „aufgrund humanitärer Erwägungen“ Asyl gewährt. In Syrien verblieben ist der unter Assad amtierende Regierungschef Mohammed al-Dschalali, der auf Facebook erklärte, er sei bereit zur Kooperation mit „jeder Führung, die das syrische Volk bestimmt“.
Der Anführer der HTS-Kämpfer, Abu Mohammed al-Dscholani, traf am Sonntag nach Angaben der Gruppe in Damaskus ein. Er habe dort „den Boden geküsst“, erklärte die HTS im Onlinedienst Telegram. Später besuchte er die berühmte Umayyaden-Moschee in der syrischen Hauptstadt. Seine Miliz verhängte eine Ausgangssperre in Damaskus, die bis Montag früh gelten soll. Die HTS teilte zudem mit, ihre Kämpfer seien in das berüchtigte Sednaja-Gefängnis am Rande von Damaskus eingedrungen. Die Beobachtungsstelle bestätigte, die Türen des Gefängnisses seien für „Tausende Häftlinge“ geöffnet worden.
Der Anführer der Islamisten
Der Sturz des syrischen Machthabers Baschar al-Assad war das große Ziel von Abu Mohammed al-Dscholani. Der HTS-Kämpfer hatte jahrelang im Verborgenen agiert. Nun steht er im Rampenlicht, gibt Erklärungen ab und spricht mit internationalen Medien. Den Turban der Dschihadisten, den er noch zu Beginn des syrischen Krieges im Jahr 2011 trug, trägt er heute immer seltener, stattdessen zeigt er sich vermehrt in einer Militäruniform. Bereits seit seinem Bruch mit Al-Kaida im Jahr 2016 versuchte al-Dscholani, sein Image zu glätten und sich moderater zu zeigen. Experten und westliche Regierungen überzeugte das nicht. Sie stufen die HTS weiter als Terrorgruppe ein.
Der Wissenschaftler Thomas Pierret von Frankreichs nationalem Forschungsinstitut CNRS nennt ihn einen „pragmatischen Radikalen“. 2014 sei al-Dscholani auf dem Höhepunkt seiner Radikalität gewesen, sagt der Experte und verweist darauf, dass er sich damals gegen die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) habe durchsetzen wollen. Seitdem habe der HTS-Chef „seine Rhetorik gemildert“. Der 1982 geborene al-Dscholani wuchs in Masseh auf, einem gutbetuchten Stadtteil von Damaskus. Er stammt aus einer wohlhabenden Familie und war ein guter Schüler. Während der aktuellen Offensive fing er an, seinen bürgerlichen Namen zu nutzen: Ahmed al-Scharaa. Mit diesem wird er auch in allen aktuellen Erklärungen seiner Miliz genannt.
2021 sagte er dem US-Fernsehnetzwerk PBS, sein Kampfname nehme Bezug auf die Wurzeln seiner Familie auf den Golanhöhen. Seinen Angaben zufolge war sein Großvater nach der israelischen Annexion der Gegend im Jahr 1967 zur Flucht gezwungen worden. Nach einem Bericht der Website „Middle East Eye“ fühlte sich al-Dscholani erstmals nach den Anschlägen vom 11. September 2001 zum Gedankengut der Dschihadisten hingezogen. Er habe an „geheimen Predigten und Podiumsdiskussionen in abgehängten Vororten von Damaskus“ teilgenommen.
Nach der US-geführten Invasion im Irak verließ er Syrien, um im Nachbarland zu kämpfen. Im Irak schloss er sich dem Terrornetzwerk Al-Kaida an und wurde anschließend fünf Jahre inhaftiert. Im März 2011, als die Revolte gegen Assads Regierung in Syrien begann, kehrte er in sein Heimatland zurück und gründete die Al-Nusra-Front – den syrischen Ableger von Al-Kaida, aus dem später die HTS hervorging. 2013 weigerte er sich, Abu Bakral-Baghdadi, dem späteren Emir der Dschihadistenmiliz Islamischer Staat, die Treue zu schwören. Stattdessen versicherte er dem Emir von Al-Kaida, Ayman al-Sawahiri, seine Loyalität.
Im Mai 2015 gab al-Dscholani an, dass er im Gegensatz zum IS nicht die Absicht habe, Anschläge gegen den Westen auszuführen. Auch erklärte er, dass es im Fall einer Niederlage Assads keine Angriffe aus Rache gegen die alawitische Minderheit geben werde, der Assads Familie entstammt. Als al-Dscholani die Verbindungen zu Al-Kaida kappte, erklärte er, dies zu tun, um dem Westen keine Gründe zu geben, seine Organisation anzugreifen. Nach Angaben von Pierret hat er seitdem versucht, sich auf den Weg zu einem „aufstrebenden Staatsmann“ zu machen.
Im Nordwesten Syriens zwang al-Dscholani rivalisierenden islamistischen Gruppen im Januar 2017 einen Zusammenschluss mit der HTS auf und beanspruchte damit die Kontrolle über weite Teile der nordwestsyrischen Provinz Idlib. Die HTS baute in den von ihr kontrollierten Gegenden eine zivile Regierung auf und richtete eine Art Staat in Idlib ein, während sie zugleich ihre Rivalen zerschlug. Der HTS wurde in dieser Zeit von Bewohnern und Menschenrechtsgruppen brutales Vorgehen gegen Andersdenkende vorgeworfen – die Vereinten Nationen stufen diese als Kriegsverbrechen ein. (AFP)
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