/ Taina Bofferding: „Mehr als die Hälfte der Gemeinden hat die PAG-Prozedur schon eingeleitet“
Vor einem Jahr galt sie noch als Hoffnungsträgerin der LSAP in Esch/Alzette und sollte die Sozialisten bei den Gemeindewahlen 2023 in der Minettemetropole wieder zurück an die Macht führen. Doch im Dezember 2018 wurde Taina Bofferding (36) Ministerin für Inneres und für Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern in der neuen Regierung.
Tageblatt: Im März 2018, noch als Gemeinderätin, wurden Sie Präsidentin der Escher LSAP-Sektion und sollten eigentlich die nächste Escher Bürgermeisterin werden. Acht Monate später haben Sie das Ministeramt für Inneres und für die Gleichstellung von Frauen und Männern angenommen. Bereuen Sie diese Entscheidung inzwischen?
Taina Bofferding: Ich empfinde es als eine große Chance, als junge Frau Mitglied dieser Regierung zu sein und die Politik mitgestalten zu können. Die Atmosphäre in der Regierung ist gut und ich habe zwei kompetente Teams in den jeweiligen Ministerien. Meine Arbeit macht mir viel Freude und ich bereue keinen Moment.
Seit ihrem Amtsantritt als Innenministerin haben Sie Feuerwehren im ganzen Land besucht. Die Einsatzzentren sind nicht unbedingt Orte, an denen Gleichberechtigung herrscht. Wie erleben Sie diesen vermeintlichen Widerspruch?
Unter den ehrenamtlichen Rettungskräften sind viele Frauen. Die Ehrenamtlichen sind weiterhin die Basis der CGDIS-Struktur.Doch auch bei den Hauptamtlichen, wo zurzeit eine große Rekrutierungskampagne läuft, melden sich Frauen. Ich habe mir noch kürzlich die Sporttests in Düdelingen angesehen. Tatsächlich waren dort vorwiegend Männer, doch ich bin auch einigen jungen Frauen begegnet. Ich sehe es als positive Entwicklung, wenn auch Frauen erkennen, dass sie eine berufliche Zukunft beim CGDIS haben können.
Gibt es Bemühungen, mehr Frauen in den CGDIS zu integrieren?
Als wir kürzlich den Tätigkeitsbericht vorstellten, haben sowohl CGDIS-Direktor Paul Schroeder als auch ich selbst die Bemerkung gemacht, der CGDIS müsse inklusiver werden und einerseits mehr Frauen, aber andererseits auch zunehmend Nicht-Luxemburger rekrutieren. Wichtig ist, dass jeder, der sich engagieren möchte, auch die Möglichkeit dazu bekommt.
Die CGDIS-Reform scheint nach einigen anfänglichen Widerständen mittlerweile allgemein angenommen zu werden.
Im Herbst soll ich im Parlament die erste Zwischenbilanz der Reform vorstellen. Um diese Bilanz zu erstellen, haben wir unabhängige Experten herangezogen. Wichtig dabei ist aber auch, dass wir die Einsatzkräfte zurate ziehen. Auf meiner Sommertour vor zwei Wochen wollte ich mit den Leuten vor Ort herausfinden, welche Erfahrungen sie mit der Reform gemacht haben, wo die Stärken und die Schwächen liegen. Schließlich sind sie die Expertinnen und Experten, die jeden Tag damit zu tun haben.
In welchen Bereichen muss noch nachgebessert werden?
Ein Punkt, der immer wieder angesprochen wird, ist, dass die Kriterien des sportärztlichen Kontrolldiensts („Médico“) bei den Ehrenamtlichen zu streng seien. Der Präsident des Verwaltungsrats hat schon kurzfristig reagiert und bei den Kontrollen der Jugendlichen Änderungen vorgenommen.Die Kriterien müssen noch einmal überarbeitet werden, um den Kandidaten die Angst vor dem sportmedizischen Test zu nehmen. Ein Mädchen hat mir erzählt, dass es drei Tage vor dem Test nichts gegessen hat, weil es Angst hatte, sein BMI („Body Mass Index“) sei nicht in Ordnung. Der „Médico“ hat durchaus seine Berechtigung,denn die Einsatzkräfte müssen gewisse Gesundheitsstandard erfüllen, aber es kann nicht sein, dass ein junger Mensch, der sich engagieren will, von den Tests so abgeschreckt wird.
Ein Punkt, der immer wieder angesprochen wird, ist, dass die Kriterien des sportärztlichen Kontrolldiensts („Médico“) bei den Ehrenamtlichen zu streng seien. (…) Diese Kriterien müssen noch einmal überarbeitet werden, um den Kandidaten die Angst vor dem sportmedizischen Test zu nehmen.
Vor zwei Wochen haben Sie die Resultate einer Befragung über Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern für die Erstellung des Nationalen Aktionsplans (PAN) „Egalité“ vorgestellt. Neben strukturellen Geschlechterungleichheiten stellt vor allem die physische und psychische Gewalt gegen Frauen ein großes Problem dar. Reicht es, zu sensibilisieren, oder müssen zusätzliche Gesetze und Verordnungen die Gleichheit in diesem Bereich herbeiführen?
Wir haben ja eine Reihe von Gesetzen, in denen die Gleichheit festgeschrieben ist, doch sie spiegelt sich leider nicht in der Realität des Alltags wider. Das zeigt, dass es nicht reicht, Gesetze zu erlassen, sie müssen auch angewandt werden. Deshalb ist es wichtig, weiter zu sensibilisieren. Der Bericht zur Gewalt, den ich im Herbst vorstellen werde, zeigt, dass die Gewalt leicht gestiegen ist. Das heißt aber nicht unbedingt, dass die häusliche Gewalt zugenommen hat. Es kann auch bedeuten, dass sich mehr Opfer bei der Polizei und anderen Stellen melden. Gleichzeitig sieht man, dass mehr Täter und potenziell gewaltbereite Menschen von sich aus die zuständigen Dienste aufsuchen, um sich Hilfe zu holen.
Ihr Ministerium heißt mittlerweile Ministerium für Gleichstellung von Frauen und Männern. Müsste diese Gleichstellung nicht auch auf andere Bereiche wie Einkommen, Bildungshintergrund, Hautfarbe, Behinderung, sexuelle Orientierung oder Gender ausgeweitet werden?
Absolut, deshalb sind ja mehrere Ministerien für die Gleichstellung zuständig. Die Aufgabe, für Gleichheit zu sorgen, ist transversal auf die gesamte Regierung aufgeteilt. Transgender-Fragen oder der Aktionplan für Menschen mit Behinderung werden zum Beispiel im Familienministerium behandelt. Wir haben das Ministerium für Chancengleichheit in Ministerium für Gleichstellung von Frauen und Männern umbenannt, um Verwechslungen und Verwirrungen zu vermeiden, aber auch um klarzustellen, dass wir nicht nur Chancengleichheit, sondern eine vollkommene Gleichstellung anstreben.
Als Innenministerin wollen Sie das Gemeindegesetz von 1988 reformieren. Im Rahmen dieser Reform wollen Sie auch die kommunale Einstellungspolitik überarbeiten: Lange Zeit folgte die Einstellungspolitik in den Gemeinden dem Prinzip „wanns de ee kenns“, Diplome und Kompetenzen waren zweitrangig. Häufig waren die Angestellten aber auch im Vereinsleben der Gemeinde engagiert und die Stelle auf der Gemeinde war eine Art Entschädigung für dieses ehrenamtliche Engagement. Wollen Sie diese „Tradition“ abschaffen?
Ich würde nicht sagen, dass das eine Tradition ist. Mehrere Gemeinden haben einen „Conseil de recrutement“, in denen auch Räte der Oppositionsparteien vertreten sind und die Personaldelegation mitreden darf. Es ist wichtig, dass das Personal im Gemeindewesen unter guten Bedingungen arbeiten kann.Wir werden die Gehältervereinbarung im öffentlichen Dienst in den Gemeindesektor übertragen. Ein entsprechendes Gesetzprojekt mit der Begrenzung der „Stage“-Zeit auf zwei Jahre, der Abschaffung der 80/80/90-Regelung und dem erweiterten Vaterschaftsurlaub liegt bereits vor. Weiter sollen die Prozeduren für die Einstellungsexamen modernisiert werden, weil die Durchfallquote doch relativ hoch ist.
Eine weitere Herausforderung ist die Lockerung der „Tutelle administrative“, um Genehmigungsprozeduren zu beschleunigen. Wie wollen Sie das bewerkstelligen, ohne zu viel Kontrolle abzugeben?
Im Rahmen der Reform des Gemeindegesetzes habe ich beschlossen, die „Tutelle administrative“ vorzuziehen. Noch in diesem Jahr will ich das Gesetzesprojekt vorlegen. Die Prozeduren sollen vereinfacht und die Zahl der Genehmigungen soll verringert werden. Manche Genehmigungen kann man einfach abschaffen oder durch andere ersetzen, weil sie heute keinen Sinn mehr ergeben. Natürlich bleibt die Kontrolle in Bereichen wie Urbanismus, Bebauungpläne oder Finanzen bestehen.
Die Gemeinden beschweren sich häufig über langwierige Prozeduren. Wie können die Gemehmigungsprozeduren beschleunigt werden?
Aktuell ist es so, dass das Ministerium keine Fristen hat und es tatsächlich lange dauern kann, bis ein Dossier genehmigt wird. Für kleinere Transaktionen richten wir daher ein System der „transmission obligatoire“ ein, eine digitale Plattform im Stile von guichet.lu, auf der die Gemeinden Genehmigungen einreichen, doch schon mit der Umsetzung von Projekten beginnen können, bevor eine definitive Antwort des Ministeriums vorliegt.
Wie geht es konkret mit der Reform des Gemeindegesetzes weiter?
Im Herbst beginnen die regionalen Workshops, Kolloquien und Bürgersymposien, die bis in das nächste Jahr hinein andauern werden. Sowohl die politischen Verantwortlichen als auch das Gemeindepersonal und die Bürger sollen miteinbezogen werden. Erst danach werden wir den Gesetztext ausarbeiten.
Die Probleme beim Wohnungsbau betreffen auch Ihr Ressort. Der Großteil der bebaubaren Grundstücke in Luxemburg ist in privatem Besitz. Die Gemeinden verfügen insgesamt nur über knapp 6 Prozent (182 Ha). Trotzdem gibt es noch Gemeinden, die ihr Bauland zu Marktpreisen an Privatinvestoren verkaufen. Wie kann der Staat dagegen vorgehen?
In der Aktualitätsstunde im Parlament habe ich kürzlich betont, dass ich Grundstücksverkäufe nicht genehmigen werde, wenn die Gemeinden damit einen hohen Gewinn machen. An sich halte ich mich damit nur an das Gesetz, denn es steht den Gemeinden nicht zu, Gewinn zu erzielen.
Wie wollen Sie die Gemeinden dazu bringen, sich stärker im Wohnungsbau zu engagieren?
Viele Gemeinden sind schon im Wohnungsbau aktiv. Zusammen mit der Wohnungsbauministerin Sam Tanson will ich das „Pacte logement“-Gesetz überarbeiten. Mein Vorgänger Dan Kersch hatte das Gesetzprojekt zum Baulandvertrag vorgelegt. Der Baulandvertrag wird zwischen einer Gemeinde und einem Grundstücksbesitzer abgeschlossen und besagt, dass das Grundstück innerhalb eines bestimmten zeitlichen Rahmens erschlossen werden muss. Es bleiben noch einige juristische Fragen zu klären, doch ich möchte das Gesetzprojekt schnellstmöglich schnell auf den Instanzenweg bringen.
Weiter ist angedacht, die Regel des obligatorischen Anteils von 10 Prozent an erschwinglichem Wohnraum bei Teilbebauungsplänen mit über 25 Wohneinheiten zu überarbeiten. Die Regel ist eigentlich gut, doch in der Praxis funktioniert sie nicht, weil viele dieser Wohnungen zu schnell die Marktpreise erreichen. Zusammen mit dem Wohnungsbauministerium arbeiten wir an einer Strategie, um dieses Instrument anders auszulegen.
Ist der Anteil von 10 Prozent erschwinglichem Wohnraum ausreichend?
Wir prüfen, ob wir bei den 10 Prozent bleiben. Wichtig ist aber, dass die erschwinglichen Wohnungen tatsächlich erschwinglich bleiben und nicht nach kurzer Zeit wieder teuer verkauft werden.
Zur Reform der Grundsteuer, die noch nach einem Modell von 1941 berechnet wird, wurde eine interministerielle Arbeitsgruppe einberufen. Liegen bereits Ergebnisse vor?
Der Bericht der Arbeitsgruppe liegt noch nicht vor. Für die Reform der Grundsteuer gelten drei Dinge: Erstens muss der Berechnungsmodus angepasst werden. Zweitens brauchen wir Daten, um die Berechnungen durchzuführen. Diese Angaben können wir den neuen Flächennutzungsplänen (PAG) entnehmen, die ja bis zum 1. November in der Prozedur sein müssen. Und drittens brauchen wir ein Gesetz. Mir ist wichtig, dass wir im Rahmen der Reform einerseits die Immobilienspekulation in den Griff bekommen und andererseits soziale Aspekte berücksichtigen. So könnten zum Beispiel ein Steuernachlass oder gar eine steuerliche Entlastung für Erstwohnungen oder für Wohnungen, in denen Menschen tatsächlich leben, eingeführt werden. Stattdessen soll die Grundsteuer dort greifen, wo spekuliert oder Vermögen angehäuft wird.
Mir ist wichtig, dass wir im Rahmen der Grundsteuer-Reform einerseits die Immobilienspekulation in den Griff bekommen und andererseits soziale Aspekte berücksichtigen.
Die Gemeinden hätten ja schon jetzt die Möglichkeit, ihre Hebesätze anzupassen oder eine Spekulationssteuer einzuführen. Wieso nutzt kaum jemand diese Gelegenheit?
Manche Gemeinden haben eine Spekulationssteuer eingeführt. Andere haben sie zwar eingeführt, aber nicht erhoben. Daran sieht man, dass es nicht so einfach ist. Wenn eine Wohnung leer steht, bedeutet das nicht automatisch, dass damit spekuliert wird. Es ist nicht einfach, die notwendigen Daten zu sammeln und sich ein umfassendes Bild zu machen. Die Daten der neuen Flächennutzungspläne bieten uns andere Möglichkeiten, um eine bessere Übersicht zu bekommen.
Bis zum 1. November müssen alle Gemeinden ihren neuen Flächennutzungsplan (PAG) in der Prozedur haben. Wie viele Gemeinden sind bislang im Zeitplan?
Mehr als die Hälfte der Gemeinden haben die Prozedur schon eingeleitet. Das heißt, dass die erste Abstimmung über den PAG im Gemeinderat bereits erfolgt ist. Einige werden die Abstimmung nach der „Rentrée“ vornehmen.
Muss die Frist erneut verlängert werden?
Nein, sie wird nicht mehr verlängert. Darauf habe ich von Anfang an bestanden. Im Frühjahr habe ich die Gemeinden in einem Rundschreiben darüber in Kenntnis gesetzt, weil das Gerücht verbreitet wurde, dass mit einer neuen Ministerin vielleicht doch noch einmal ein Aufschub kommen könnte. Ich habe deutlich gemacht, dass ich mich an das Regierungsabkommen halten werde, denn wir brauchen die neuen Pläne, um die Landesplanung weiterzubringen. Die Frist wurde mehrmals verlängert, doch einmal muss auch Schluss sein.
Was passiert mit den Gemeinden, die ihren PAG nicht rechtzeitig einreichen?
Sie sind blockiert. Ab dem 1. November dürfen sie keine Teilbebauungspläne (PAP) mehr einreichen und auch keine Änderungen am PAG mehr vornehmen. Erst wenn die erste Abstimmung über den neuen PAG erfolgt, wird die Blockade aufgehoben. Der zuständige Dienst des Innenministeriums steht im Kontakt zu den Gemeinden, bei denen sich das Risiko einer Blockade abzeichnet, um ihnen zu helfen, die Frist doch noch einzuhalten. Ich bin zuversichtlich, dass der Großteil der Gemeinden rechtzeitig in die Prozedur geht.
Ein wichtiges Thema bei der Landesplanung waren in den letzten Jahren die Gemeindefusionen. Wollen Sie die Fusionen weiter vorantreiben?
Bei den Fusionen ist mir wichtig, dass die Initiative von den Gemeinden ausgeht.Es ist nicht Aufgabe der Regierung und der Innenministerin, die Landkarte zu zeichnen und den Kommunen vorzuschreiben, dass sie fusionieren sollen. Wenn sich dann zwei oder mehr Gemeinden freiwillig zusammentun wollen, können wir sie beraten, begleiten und unterstützen. Wir schreiben auch das Gesetzprojekt, aber die Orientierung muss von ihnen selbst kommen. Zurzeit arbeiten wir an einer Broschüre, um noch einmal die Vorzüge von Fusionen insbesondere für sehr kleine Gemeinden aufzuzeigen.
Nach der Gemeindefinanzreform ihres Vorgängers Dan Kersch fühlten sich einige kleinere Gemeinden benachteiligt. Muss noch einmal nachgebessert werden?
Für manche Gemeinden wurde ja noch eine finanzielle Unterstützung bereitgestellt, um eventuelle Einbußen auszugleichen. Nächstes Jahr soll eine Bilanz der Reform gezogen werden. Ich will dem nicht vorgreifen, doch ich werde das System sicherlich nicht infrage stellen. Ich habe die Reform als Abgeordnete mitgetragen und finde das Prinzip der Solidarität, das darin zur Anwendung gelangt, absolut richtig.
Wo verbringen Sie Ihren Urlaub?
Ich bleibe in Europa und freue mich, wieder etwas Zeit mit Familie und Freunden verbringen zu können.
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PAG Prozedur. Hoffentlich wird nicht alles so genehmigt, in manchen Gemeinden ist das irres Flickwerk. Kriegt der Roberto denn jetzt sein Terrain genehmigt oder nicht?