Interview / Team um Luxemburger Wissenschaftler benennt neue Spezies nach Nightwish-Sängerin Floor Jansen
Der Luxemburger Wissenschaftler Ben Thuy hat zwei Leidenschaften: eine für Fossilien und eine für laute Musik. Thuy und seine Kollegen haben nun ein Fossil, das bislang keinen Namen hatte, nach der Nightwish-Frontfrau Floor Jansen benannt. Das Tageblatt hat sich mit Thuy über den 66,7 Millionen Jahre alten Schlangenstern und über die Liebe zur Musik unterhalten.
In einer Arbeit, die er und zwei Kollegen (Lea Numberger-Thuy, John Jagt) am Montag veröffentlicht haben, wird das Fossil eines Tieres beschrieben, das vor 66,7 Millionen Jahren gelebt hat und bislang noch keinen Namen hatte. Benannt haben sie das Fossil nach Nightwish-Sängerin Floor Jansen. Ihre Erkenntnisse über den Schlangenstern „Ophiomitrella floorae“ veröffentlichten sie am Montag im Fachblatt PeerJ.
Es ist nicht das erste Mal, dass Ben Thuy vom Naturhistorischen Museum und seine Kollegen ihre Leidenschaft für laute Musik in ihrer Arbeit zum Ausdruck bringen. Unter anderem haben sie 2018 zwei Fossilien auf eine ähnliche Weise benannt, und zwar nach der schwedischen Band Arch Enemy und deren Sängerin Alissa White-Gluz. 2019 benannten Ben Thuy und Lea Numberger ein in Düdelingen gefundenes Fossil eines Schlangensterns nach einem anderen Luxemburger Urgestein, der Metalband Desdemonia.
Tageblatt: Ich weiß, dass Sie bei der Arbeit gerne Metal hören. Wie können Sie sich dabei konzentrieren?
Ben Thuy: Das kommt ganz auf die Arbeit an. Bei Arbeiten im Labor, draußen und auch bei Routinearbeiten funktioniert das schon. Dabei ist es sogar hilfreich. Schwierig wird es erst beim Schreiben. Metal ist keine Musik, die man nebenher hört. Dafür ist sie zu emotional und anspruchsvoll. Das lenkt mich zu sehr ab, wenn ich kreativ sein will. Es gibt aber genug Momente bei meiner Arbeit, in denen die Musik ihren Platz hat.
Um was handelt es sich bei dem Schlangenstern, über den Sie am Montag eine Arbeit veröffentlicht haben?
Schlangensterne sind die Cousins der Seesterne. Zusammen mit den Seeigeln, den Seegurken und den Seelilien gehören sie zu den sogenannten Stachelhäutern. Das sind wirbellose Wesen, die im Meer leben. Schlangensterne leben auf dem Meeresboden. Manchmal sind sie auch darin eingegraben. Die meisten sind recht klein. Sie sind ungefähr so groß wie eine Hand. Manche werden aber größer – wenn die ihre Arme ausstrecken, sind sie so groß wie das Rad eines Autos. Sie verarbeiten alles, was auf den Meeresboden fällt.
Wie lange gibt es diese Tiere bereits?
Es handelt sich um eine sehr alte Gruppe. Nachgewiesen sind sie seit dem Ordovizium, das bedeutet seit rund 450 Millionen Jahren.
Wie ist es möglich, dass eine so fragile Kreatur so lange überlebt?
Fragil sind sie erst ab dem Moment, in dem sie nicht mehr leben. Die Tiere werden durch ein sehr starkes Bindegewebe zusammengehalten. Sie sind ein Erfolgsmodell, wenn man so will. Genau wie Insekten, die ja auch schon seit zig Millionen Jahren ihre Nischen haben. Natürlich haben sie sich in dieser Zeit verändert. Sie haben eine intensive Evolution hinter sich gebracht, die wir gerade erforschen. Offensichtlich haben sie bei der Evolution etwas richtig gemacht. Heute wie früher sind sie überall im Meer anzutreffen: sowohl im tiefen Meer als auch in der Strandgegend.
Dieser spezielle Stern hat von seiner Entdeckung bis zur Beschreibung ein Abenteuer von 20 Jahren hinter sich gebracht. Wie ist es dazu gekommen?
Das werde ich oft gefragt. Seltsamerweise ist es aber eher die Regel als die Ausnahme, dass etwas gefunden wird und dann eine Zeit lang in der Sammlung eines Museums oder einer Privatsammlung liegt. Bei der Entdeckung wird oft nicht verstanden, um was es sich handelt. Das liegt daran, dass die Menschen, die die Fossilien entdecken, nicht die gleichen Menschen sind wie die, die sie beschreiben. Nach Fossilien suchen, ist eine andere Expertise als Fossilien zu interpretieren. Wenn wir vom Museum eine Ausgrabung machen, dann kommen dabei viele Funde zusammen, für die keiner aus unserem Team Experte ist. Dann kommt der Fund so lange in unsere Sammlung, bis ein Experte, der sich damit auskennt, uns besucht oder Kontakt hergestellt wird. Erst dann kommt es zur richtigen Beschreibung. In diesem Fall wurde das Tier vor 20 Jahren von einem Amateur ausgegraben. Dann gelangte es in die Sammlung eines Museums und jetzt erst sind die richtigen Leute zusammengekommen. Der Kenntnisstand hat sich in den letzten Jahren so entwickelt, dass wir den Fund richtig verstehen konnten.
Was ist das für ein Erkenntnisstand, der Ihnen erlaubt hat, diesen Fund zu verstehen?
Zwei Aspekte sind dabei besonders wichtig. Zum einen das Wissen darum, welche Merkmale des Skelettes dabei helfen, das Tier zu identifizieren. D.h.: Wie können die Überreste, die man vor sich hat, genutzt werden, um herauszufinden, wo in der Klassifikation das Tier hingehört? Der zweite Aspekt, der bei diesen Tieren relevant war, ist, dass wir in den letzten Jahren erst verstanden haben, wie diese Klasse überhaupt funktioniert, wie die großen Muster im Skelettbau zu verstehen sind. Wer stammt von wem ab? Mit diesen Kenntnissen kann man die Skelette interpretieren und ihren Platz in der Entwicklungsgeschichte der Gruppe bestimmen.
Welche Rolle spielt dabei das Naturkundemuseum?
Ein Naturkundemuseum ist eine Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeitsarbeit. Jedes Museum hat den Auftrag, Wissen zu vermitteln. Die Menschen, die im Museum arbeiten, haben aber auch den Auftrag, die Stücke – in meinem Fall die Fossilien – zu erforschen. Wir haben als einziges Institut der Großregion eine naturhistorische Sammlung. Damit steht uns das „Archiv des Lebens“ zur Verfügung, um wissenschaftlich zu forschen. Natürlich haben die einzelnen Mitarbeiter einen Schwerpunkt. Einige kümmern sich mehr um die Forschung und andere mehr um die Kommunikation. Ich versuche ein Gleichgewicht zu finden. In meinen Augen ist es wichtig, nicht nur die lokalen Schätze auszuwerten, sondern sie auch in einen globalen Kontext einzuordnen. Natürlich ist man für einen bestimmten Bereich Experte – in meinem Fall sind es die Stachelhäuter. Für mich ist es selbstverständlich, dass meine Expertise auch für Funde genutzt wird, die weder aus Luxemburg stammen, noch sich in Luxemburg im Museum befinden – wie es hier der Fall ist. Es ist eine berichtigte Frage, was ein Luxemburger Forscher mit Funden zu tun hat, die nichts mit Luxemburg zu tun haben. Ganz einfach: Die Expertise ist da und wird genutzt, um Phänomene weltweit zu verstehen.
Dieser spezielle Fund wurde in den Niederlanden gemacht …
Genau. In einem Zementsteinbruch in der Gegend von Maastricht und liegt dort im Museum. Maastricht ist im Übrigen auch der Ort, an dem der Schluss der Kreidezeit – das Maastrichtium – definiert wird.
Kann man das Fossil in Maastricht besichtigen?
Es ist ein Teil der Sammlung des Museums in Maastricht. Passenderweise läuft gerade eine Ausstellung mit dem Namen „Rock Fossils on Tour“, die vor zwei Jahren auch in Luxemburg Halt gemacht hat. Diese Ausstellung thematisiert genau solche Fossilien, die eine Verbindung mit der Rockmusik haben. Ich habe das Fossil vergangene Woche zurück nach Maastricht geschickt und wird jetzt wahrscheinlich auf die eine oder andere Art genutzt. Ich muss allerdings sagen, dass es nichts besonders Spektakuläres ist. Das, was für Wissenschaft interessant ist, ist nicht immer zwangsläufig interessant anzusehen und umgekehrt.
Woher kommt die Verbindung zur Rockmusik?
Diese Verbindung ist eine sehr persönliche. Ich habe bereits erwähnt, dass ich während der Arbeit Metal höre. Es geht mir darum, meine Leidenschaft für die Fossilien und die für die Musik zu kombinieren. Wenn ein Tier oder eine Pflanze als neu identifiziert wird, dann können die Personen, die sie beschreiben, einen Namen auswählen. In der Regel sind das Wissenschaftler, weil man einen wissenschaftlichen Hintergrund braucht, um eine Art richtig beschreiben zu können. Die Regeln zur Benennung von Tieren oder Pflanzen sind zwar formal festgehalten, aber im Prinzip kann man die Tiere und Pflanzen benennen, wie man will. Es gibt zwar Dinge, die man vermeiden soll: So soll man keinen Namen wählen, der jemanden verletzen könnte und man benennt auch keine Entdeckung nach sich selbst; darüber hinaus ist alles möglich. Man könnte das Tier zum Beispiel nach dem Fundort benennen oder nach der Zeit, in der es gefunden wurde. Man hätte es auch „parvus“ nennen können, weil es klein ist. Das kann man so machen, ist aber langweilig! Viel spannender ist es, wenn man eine Verbindung zu einer Welt herstellt, die auf den ersten Blick nichts mit der Wissenschaft zu tun hat. Das ist zum einen eine persönliche Entscheidung, weil wir alle drei Fans dieser Musik sind. Es ist aber auch eine bewusste Entscheidung, weil es uns erlaubt, einer Studie, die an sich nur für einen ganz kleinen Kreis von Experten interessant ist, eine Aufmerksamkeit zu geben, die weit darüber hinausgeht. So können wir auch Menschen erreichen, die sich vorher nie Gedanken über solche Studien gemacht haben oder noch nie in einem Naturkundemuseum waren, wenn sie sehen, dass ihr Lieblingsmusiker auf diese Weise geehrt worden ist. Wir hatten auf jeden Fall noch nie so viele schwarze T-Shirts im Naturkundemuseum wie vor zwei Jahren, als wir die „Rock Fossils“ Ausstellung gemacht haben.
Welcher Musiker muss denn als Nächstes dran glauben?
Wir haben schon die ein oder andere Idee. Auch andere Wissenschaftler liebäugeln damit – einige davon kenne ich sehr gut. Ich weiß von zwei Musikern, die in einer Arbeit „daran glauben müssen“, weil die Arbeit unterwegs ist. Sie befindet sich gerade im Review-Prozess, d.h. sie wird von anderen Wissenschaftlern ausgewertet, bevor sie veröffentlicht wird. Das ist ein routinemäßiger Teil des Publikationsprozesses. Bei den Musikern handelt es sich um die beiden Schlagzeuger Ian Paice von Deep Purple und Mario Duplantier von Gojira. Aus dem einfachen Grund, weil ich selber Schlagzeuger in einer Metalband bin.
Bei welcher Band spielen Sie?
Ich bin seit anderthalb Jahren der Schlagzeuger von Sleepers’ Guilt – eine lokale Band. Wir sind gerade dabei, ein neues Album aufzunehmen.
De gustibus non est disputandum. Natur sei Dank. Wo kämen wir hin wenn wir alle denselben Geschmack hätten? Dem Schlangenstern kann’s egal sein.Er ist ja schon versteinert.
Schued dat keen letzebuerger Numm den Wee an d‘Fossilienwelt fonnt huet.
Bitte, mehr von dieser Spezies 😉 Anstatt alter Mief und Selbstbeweihräucherung, eine junge, gebildete und aufgeschlossene Generation.