Arbeitswelt / Télétravail: Für Grenzgänger gibt es den meisten Klärungsbedarf
Autofahrer in Luxemburg stöhnen seit Jahren über Staus: Sechs Tage und 19 Stunden. Das ist die Bilanz, die GPS-Anbieter Tomtom dem Land für das Jahr 2019 bescheinigt. Eine der Ursachen dafür sind die täglichen Pendelströme der mehr als 200.000 Grenzgänger. Home-Office-Tage würden Abhilfe schaffen, wie die leeren Straßen der letzten Monate gezeigt haben. Dafür fehlt es allerdings an Grundsätzlichem – vor allem für die Grenzgänger.
Je nach Beruf steigt oder sinkt die Zustimmung zum Home-Office, das zu den großen Erfahrungen der Corona-Krise gehört. Virtuelle Standards, die es schon lange gibt, bislang aber nur wenigen vorbehalten waren, wurden schnell der breiten arbeitenden Bevölkerung bereitgestellt. Zunächst fremd, dann doch geliebt: Die meisten Arbeitnehmer haben sich schnell eingefunden und ziehen eine positive Bilanz.
So geht es Andrea Binsfeld (49). „Zwei Stunden Fahrt pro Tag habe ich gespart“, sagt die Dozentin im Fach Geschichte an der uni.lu. Die gebürtige Deutsche lebt in Trier und arbeitet seit 2011 an der luxemburgischen Universität. Zwei Stunden mehr Zeit am Tag ist die positive Seite des Home-Office für sie. Zu den negativen Punkten gehört der fehlende Kontakt zu den Studenten. Damit ist es hoffentlich ab dem nächsten Semester vorbei. Bis vor wenigen Tagen jedoch mussten die 25 Teilnehmer des Seminars zur griechischen Klassik sich die Grundlagen „online“ an zwei Tagen erarbeiten. Der Input dazu kam aus Trier.
Tageweise von zu Hause arbeiten
Die Lehrtätigkeit ist aber nur ein Teil der Arbeit von Binsfeld an der Uni Luxemburg. Andere Aufgaben wie Seminare vorbereiten, Bachelor-, Master- und Doktorarbeiten betreuen könnte sie sich durchaus im Homeoffice vorstellen. „Das wäre in vielerlei Hinsicht eine Erleichterung“, sagt sie. Möglich ist das theoretisch, hat aber Nachteile für Grenzgänger.
Luxemburg hat in bilateralen Doppelbesteuerungsabkommen geregelt, dass Belgier 24 Tage im Homeoffice, Franzosen 29 Tage und Deutsche nur 19 Tage pro Jahr von zu Hause aus arbeiten dürfen, ohne dass in ihren Heimatländern Steuern anfallen. Wie es für die deutschen Grenzgänger zu der Zahl 19 in dem am 26. Mai 2011 geschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen zwischen beiden Ländern kam, kann das Bundesfinanzministerium nicht beantworten. „Verhandlungssache“, heißt es dazu auf Tageblatt-Anfrage aus Berlin.
Für Grenzgänger fehlen steuerliche Regelungen
Konkret heißt das: Ab dem 20. Tag Homeoffice eines in Deutschland wohnenden und in Luxemburg arbeitenden Arbeitnehmers fallen in Deutschland Steuern für jeden weiteren Tag in Heimarbeit an. Für Belgier gilt das ab dem 25. Tag, für Franzosen ab dem 30. Tag. Dann müssen sie an ihrem jeweiligen Wohnort Steuern nach dem dort gültigen Steuerrecht zahlen.
Das Problem ist bekannt, weshalb das luxemburgische Finanzministerium in der Krise diese Regelungen in bilateralen Verhandlungen mit Beginn der Pandemie ausgesetzt hat. Für die Pendler aus Deutschland wurde diese „Verständigungsvereinbarung“ am 3. April geschlossen, wie auf der Seite des Ministeriums nachzulesen ist. Rückwirkend. Denn sie gilt für alle Arbeitstage ab dem 11. März bis zum 30. April.
Seitdem verlängert sich die Vereinbarung automatisch vom Ende eines Kalendermonats zum Ende des nächsten Kalendermonats. Die zuständigen Behörden beider Vertragsstaaten können diese Vereinbarung mindestens eine Woche vor Beginn des jeweils folgenden Kalendermonats auflösen, heißt es im Text des Dokuments, das der Redaktion vorliegt. Das wird demnächst kommen, wie sich angesichts der phasenweisen Öffnung abzeichnet.
„Télétravail“ hat breite Öffentlichkeit erreicht
Dann werden sich alle wieder in die Staus einreihen und damit abfinden müssen. Eine neue steuerliche Regelung, die es ermöglichen würde, das Modell „Télétravail“ für Grenzgänger als dauerhaftes und für die Deutschen über die 19 Tage hinaus gehendes Arbeitsmodell der Zukunft zu verankern, ist nämlich nicht in Sicht. Das ergeben Nachfragen bei den zuständigen Ministerien in Deutschland und Luxemburg, die bestätigen, dass es derzeit keine Verhandlungen dazu gibt. Die stiefmütterliche Behandlung des Themas wundert.
Gleichzeitig betonen sowohl Arbeits- als auch Finanzministerium, dass „Télétravail“ auf der Prioritätenliste der jetzigen Regierung weit oben stehe. Eine Regelung des Arbeitsmodells für die Zukunft steht im aktuell geltenden Koalitionsvertrag und klang vor zwei Jahren, als er ausgehandelt wurde, für viele noch wie Zukunftsmusik. Nach Corona ist es selbstverständlicher Teil des Arbeitsalltags. Gerade kürzlich erst hat der Direktor der Finanzaufsicht (CSSF), Claude Marx, laut über Post-Covid-Banken nachgedacht, in denen Telearbeit zum normalen Standard gehört. Eine Petition zum Thema läuft sowie eine parlamentarische Anfrage.
In seinem Schreiben vom 12. Juni an den Arbeits-, den Finanz- und den Minister für den öffentlichen Dienst verweist der „déi gréng“-Abgeordnete Charles Margue auf die Erfahrungen der letzten Wochen mit „Télétravail“ und regt eine Umsetzung in neuen bilateralen Steuerabkommen für die Grenzgänger an. Er legt zudem den Finger in die Wunde, dass es für die Heimarbeit lediglich eine Konvention zwischen den Sozialpartnern, nicht aber eine gesetzliche Regelung gibt.
Kein Recht auf Home-Office
Die Gewerkschaften OGBL und LCGB sowie der Arbeitgeberverband UEL haben sie seinerzeit ausgehandelt. Ein Recht auf „Télétravail“ ist darin nicht vorgesehen. Das wird sich wohl so bald nicht ändern. LSAP-Arbeitsminister Dan Kersch bevorzuge eine neue Konvention für eventuelle Änderungen. Erst wenn es keine Einigung gebe, „könnte es zu einer gesetzlichen Regelung kommen“, heißt es aus der Pressestelle seines Ministeriums.
Klingt irgendwie merkwürdig undynamisch angesichts des Rangs auf der politischen Prioritätenliste. Regelrecht euphorisch äußert sich im Vergleich dazu das Umweltministerium. Einer Reform des „Télétravail“ stehe man positiv gegenüber, heißt es aus dem Ministerium von Carole Dieschburg („déi gréng“). Von dort kommt der Hinweis, dass die Überarbeitung im „Plan national intégré en matière d’énergie et de climat“ (PNEC) stehe und wichtiger Bestandteil des CO2-Reduzierungsprogramms sei.
Die Mitarbeiter der ING-Bank in Luxemburg interessiert das wenig. Für sie gehört Telearbeit schon seit 2011 zum Arbeitsalltag – auch für die Pendler. Rund 900 Mitarbeiter hat das Kreditinstitut am Standort in der Hauptstadt. Ein Großteil davon sind Grenzgänger, wie die Bank auf Anfrage bestätigt. Einen Tag in der Woche dürfen sie von zu Hause aus arbeiten, was die bislang vereinbarten steuerlichen Obergrenzen deutlich überschreitet. Die Bank hat dafür eine interne Lösung gefunden, wie ING-Personalchef Pierre Knoden Ende Januar in einem Interview mit dem Quotidien bestätigt. Das war lange bevor die Covid-19-Krise in Sicht und absehbar war, dass das Thema ein Politikum werden würde.
Der „Plan national intégré en matière d’énergie et de climat“ (PNEC)
„Zur Verkehrsvermeidung soll ein reglementarischer Rahmen in Abstimmung mit den Sozialpartnern geschaffen werden, um die Telearbeit zu fördern und somit auch moderne und flexible Arbeitsbedingungen zu schaffen. Dazu soll die Steuerbehandlung für die Nutzung der Telearbeit von Pendlern angepasst und die aktuell gültigen Arbeits- und Gesundheitsgesetze modifiziert werden. Nach dem Vorbild der aktuellen Debatten mit Belgien werden Verhandlungen mit Frankreich und Deutschland aufgenommen, um eine angemessene steuerliche Behandlung zu finden, welche die Telearbeit von Grenzgängern begünstigt. Neben der Begünstigung der Telearbeit sollen auch CoWorking-Spaces im Grenzgebiet zur Reduktion des grenzübergreifenden Pendelverkehrs errichtet werden. (…)“ Der Textauszug ist auf Seite 70 des PNEC nachzulesen.
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Eine riesen Chance endlich mit demm klein klein aufzuhören und regional statt national zu denken. Wenn Luxemburg sich bereit erklärt, einen Teil des einbehaltenen Lohnsteuer den Gemeinden zur Verfügung zu stellen wo die Grenzgänger leben, wäre allen geholfen. Die schon existierene Vereinbarung mit Belgien auch auf Frankreich und auf Deutschland erweitern, mehr braucht es nicht.
Stelle mir d’Fro bei Télétravail fir Auslänner, wann déi fir e Betrib ausserhalb vu Lëtzebuerg schaffen, wéi kann ee garantéieren, dass déi Aarbechtskräfte fir de Betrib net ausgelagert ginn (zb: Roumänien), wou et méi bëlleg ass een unzestellen.
Informatesch gesinn, ginn et bestëmmt Moyene vun der Standuert-Kontroll iwwer IP-Adress (keen Expert doranner), ma et gi jo awer och Programmer, di esou Donnéeë modifizéiere kënnen.
Ist diese kleinliche Zählung der im Heimatland geleisteten Arbeitstage noch zeitgemäss? Mittlerweile setzen sich grosse Internetfirmen für die Verbreitung von „Télétravail“ ein um so Fachkräfte auf der ganzen Welt anzuheuern. Die Besteuerungsregeln sollten der Entwicklung angepasst werden, auch zum Vorteil des Arbeitnehmers.