Österreich / Terrorangst verhilft der ÖVP mit Sicherheitsthemen aus der Defensive
Die FPÖ liegt in den Umfragen nicht mehr uneinholbar auf Platz eins. Drei Wochen vor der Nationalratswahl holt die ÖVP kräftig auf. Das hat sie auch zwei Jung-Islamisten zu verdanken – und der CIA.
Vor einem Monat stand Österreich unter Schock. Drei Konzerte des Popidols Taylor Swift in Wien wurden kurzfristig abgesagt, nachdem ein 19-Jähriger festgenommen worden war, der Utensilien für den Bombenbau gekauft und schon sehr konkrete Anschlagspläne geschmiedet hatte. Aufgeflogen war der nach wie vor in Untersuchungshaft sitzende Österreicher mit nordmazedonischen Wurzeln aber nur, weil die USA den entscheidenden Tipp gegeben hatten. Wie der stellvertretende CIA-Direktor David S. Cohen inzwischen bestätigt hat, habe man Informationen über vier Personen mit Bezug zur Terrormiliz Islamischer Staat (IS) gehabt, die „geplant hatten, eine hohe Zahl an Menschen – Zehntausende – bei diesem Konzert zu töten“. Den österreichischen Behörden sei es aufgrund dieser Hinweise gelungen, den Anschlag zu verhindern.
Affären und Inflation kaum noch Thema
Die verhinderte Tragödie hat in der gerade beginnenden heißen Wahlkampfphase auch eine innenpolitische Dimension: Die ÖVP nützt die Gelegenheit, Sicherheit zu einem zentralen Wahlkampfthema zu machen. Von den Korruptionsaffären der Ära Sebastian Kurz und der ebenfalls anrüchigen Implosion des Signa-Immobilienimperiums des Kurz-Freundes René Benko redet niemand mehr. Auch die nur langsam sinkende Teuerung und die steigende Arbeitslosigkeit schaffen es kaum noch in die Schlagzeilen. Bundeskanzler Karl Nehammer und vor allem sein Innenminister Gerhard Karner schmücken sich mit der Vereitlung eines Massenmordes, unterschlagen aber keinesfalls das Verdienst ausländischer Geheimdienste.
Denn dieses ist willkommene Illustration der digitalen Blindheit österreichischer Nachrichtendienste, welche die ÖVP gegen den Widerstand anderer Parteien heilen will. Es geht um die Überwachung von Messenger-Diensten, die in den meisten europäischen Staaten längst Praxis, in Österreich aber verboten ist. Der Verfassungsgerichtshof hat ein noch von der ÖVP-FPÖ-Regierung 2019 beschlossenes Gesetz zur Installation von „Staatstrojanern“ auf Endgeräten aufgehoben. Dem neuen Koalitionspartner, den Grünen, war die verfassungskonforme Reparatur des Gesetzes kein Herzensanliegen, weshalb in der Sache nicht viel weiterging.
Seit dem verhinderten Swift-Konzert trommelt die Kanzler-Partei für die WhatsApp-, Signal- und Telegramm-Überwachung bei begründetem Verdacht. Ob diese im konkreten Fall tatsächlich geholfen hätte, ist zu bezweifeln. Denn die US-Geheimdienste dürfen im Ausland uneingeschränkt, also unabhängig von der Verdachtslage schnüffeln.
FPÖ plötzlich dagegen
Solche Fragen oder etwa technische Details einer Trojaner-Platzierung am Handy spielen in der Wahlschlacht nur eine untergeordnete Rolle. Es geht im Kern nur um das Ja oder Nein dazu. Und die ÖVP muss überrascht feststellen, dass die FPÖ diese Angelegenheit plötzlich ganz anders sieht als in der Zeit, als Parteichef Herbert Kickl als Innenminister noch selbst die Messenger-Überwachung forciert hatte. Der ist jetzt plötzlich dagegen und argumentiert mit dem Schutz der Bürger vor einem Überwachungsstaat. Vielleicht hat er aber auch weniger den gemeinen Staatsbürger als vielmehr seine Freunde bei den rechtsextremen Identitären im Auge. Diese wären nämlich neben den Islamisten potenzielle Zielobjekte staatlicher Messenger-Wächter.
Der bisher mit Law-and-order-Rhetorik punktende FPÖ-Chef befindet sich plötzlich in einer Koalition mit Linken.
Inzwischen leitete ein weiterer Jung-Islamist Wasser auf die ÖVP-Mühlen: Der in München vorigen Donnerstag von der Polizei erschossene 18-Jährige war bei seiner Radikalisierung ebenfalls unter dem Radar der Sicherheitsbehörden gesegelt. Zwar war der Salzburger mit bosnischen Wurzeln nach einer Prügelei in der Schule schon 2023 ins Visier der Polizei geraten und seine IS-Sympathie durch Propaganda-Bilder am Handy aktenkundig geworden, doch der Staatsanwaltschaft reichte das nicht für eine Strafverfolgung. Eine anschließende Überwachung der digitalen Kommunikation von Emrah I. hätte vielleicht neue Erkenntnisse gebracht. Die ÖVP wertet dies als weiteren Beweis für die Dringlichkeit einer Ausweitung der polizeilichen Möglichkeiten. „Es macht wütend, wenn man sich die Frage stellen muss, was noch alles passieren oder verhindert werden muss, damit man den Polizeibehörden das Handwerkzeug gibt, um auf Augenhöhe gegen Islamisten und Terroristen vorgehen zu können“, so Innenminister Karner nach dem Münchener Drama.
ÖVP knapp hinter FPÖ
Für die ÖVP zahlt sich die Verlagerung der Themenprioritäten von Teuerung, Inflation und Arbeitslosigkeit hin zur Sicherheit offenbar aus. Die seit gut zwei Jahren in allen Umfragen mit großem Abstand auf Platz eins liegende FPÖ spürt knapp drei Wochen vor der Parlamentswahl plötzlich den Atem eines Verfolgers im Nacken. Die aktuellste Umfrage der Lazarsfeld Gesellschaft sieht die FPÖ derzeit bei 28, die ÖVP bei 26 Prozent. Das deckt sich mit ähnlichen ÖVP-internen Umfragen. Vor drei Monaten hatte sich unter den Christdemokraten angesichts des schier uneinholbaren Vorsprunges der Rechtspopulisten schon Fatalismus breit gemacht. Vor der EU-Wahl im Juni matchten sich ÖVP und SPÖ nur noch irgendwo im unteren 20-Prozent-Bereich um Platz zwei, während Kickl die 30-Prozent-Marke ansteuerte. Schon dieser Urnengang endet anders als prognostiziert: Die FPÖ ging zwar als Erster durchs Ziel, allerdings mit 25,4 Prozent schwächer als erwartet, dicht gefolgt von der ÖVP mit 24,5 und der SPÖ mit 23,2 Prozent.
Der knappe Ausgang mobilisierte die schon vom Defätismus erfassten ÖVP-Wahlkämpfer. Nehammer positioniert sich seither offenbar erfolgreich als Sicherheitsanker und Stabilitätsfaktor. Zudem profitiert er von der zunehmenden Polarisierung, indem er als Mann der Mitte gegen linke und rechte Extreme auftritt. Die Mitte-Erzählung wurde am Samstag auch beim Wahlkampfauftakt in der Wiener Eissporthalle Steffl Arena zum Besten gegeben. „Jetzt tritt der Kommunist an auf der linken Seite“, schoss sich ÖVP-Fraktionschef August Wöginger auf den selbst manchen Genossen zu marxistisch angehauchten SPÖ-Spitzenkandidaten Andreas Babler ein. „Auf der anderen Seite, da ist ein gefährlicher Mensch“, feuerte Wöginger dann eine Salve gegen Ex-Koalitionspartner Kickl. Wer sich wie der FPÖ-Chef nicht von den Identitären distanziere, sei in einer Demokratie nicht tragbar. Nehammer hat bereits klargestellt, dass er mit Kickl nach der Wahl nicht einmal Koalitionsgespräche führen, geschweige denn mit ihm ein neues Bündnis eingehen werde.
SPÖ-ÖVP-Revival?
Auf der Strecke scheinen in diesem Duell neben den Kleinparteien die Sozialdemokraten zu bleiben. Die SPÖ wird derzeit bei 20 Prozent gehandelt, also noch schwächer als bei der EU-Wahl. Ihr Vorsitzender Babler konnte sein Versprechen eines atemberaubenden Comebacks der Sozialdemokratie bisher nicht einlösen. Entspricht das Wahlergebnis den Prognosen, wird er bald Geschichte und damit das Haupthindernis für eine neue ÖVP-SPÖ-Koalition, wenn nötig unter Einschluss der liberalen Neos, beseitigt sein. Oder die ÖVP vergisst nach dem Wahltag einfach in Adenauer’scher Tradition „ihr Geschwätz von gestern“ und macht doch wieder gemeinsame Sache mit der Rechtspopulisten. Es wäre dann ihr dritter Versuch in diesem Jahrtausend.
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