Editorial / Testkonzerte in der Rockhal: Dreifach gemoppelt
Als die Kultur wieder öffnen durfte, galt Maskenpflicht oder zwei Meter Distanz. Schon damals lobte man die Kulturhäuser für ihre Vorzeigemaßnahmen, immer wieder wurde insistiert, dass weltweit kein Kulturzentrum Cluster aufwies und zumindest in Luxemburg keine nachweisliche Infektion während eines Kulturevents stattfand. Ab Herbst 2020 wurden die Auflagen im Großherzogtum verschärft, es herrschten Maskenpflicht und Zwei-Meter-Abstand, immerhin durften die hiesigen Kulturhäuser dadurch länger geöffnet bleiben und früher wieder aufmachen als in unseren Nachbarländern. Die Testkonzerte in der Rockhal scheinen diesen Maßnahmen noch eins draufzusetzen: Ein Schnelltest entscheidet, ob der Konzertgänger hinein darf oder nicht. Immerhin ist das präziser als die Fiebermessgeräte, die grimmige Türsteher einem im Sommer wie eine Pistole an die Stirn hielten – ich erinnere mich an das Long-Distance-Calling-Konzert in München, für das ich dem Langstreckenlockruf folgte und 600 Kilometer zurücklegte, nur um ein paar Meter vor dem Eintritt in eine (ungerechtfertigte) Panik zu verfallen – und was, wenn ich jetzt Fieber haben sollte?
Auch scheint es Kohäsionsprobleme beim Testverfahren zu geben – wenn sich Menschen im Zug nach Belval anstecken, oder im Belval Plaza, weil sie sich dort das Bier holten, das ihnen auf dem Konzert verweigert wurde? Wenn man schon testet – wieso erschafft man dann Situationen, in denen die Ansteckungsgefahr quasi null ist? Aus wissenschaftlicher Sicht wäre es doch interessanter, das Verhalten des Virus unter den Rahmenbedingungen eines herkömmlichen Konzerts zu beobachten. So möchte man das Verhalten des Virus in Konzertsituationen erfassen, ohne aber eine solche authentische Konzertsituation herzustellen.
Dass sich Menschen in einem Kulturzentrum nicht anstecken, wenn sie zwei Meter voneinander sitzen, Maske tragen und jeglichen Kontakt verhindern, ist mittlerweile längst erwiesen, dafür braucht es eigentlich keine Studie mehr. Seitdem die Theater wieder geöffnet sind, sind die Kultur-Aficionados, zu denen ich mich zähle, mehrmals pro Woche wieder vor Ort. Angesteckt hat sich nachweislich dort niemand. Wenn man schon als Schnelltest-Versuchskaninchen benutzt wird, dann gebt diesen risikofreudigen Menschen, die sich in die Infektionshölle des Konzerts begeben, doch bitte auch das Vergnügen eines richtigen Live-Konzerts – und nicht eine tumbe Show, während derer sich der Musiker vor einer Reihe stummer Schaufensterpuppen in Rage mixt, ohne dass auch nur im Entferntesten so etwas wie Stimmung aufkommt.
Brennende Nasenlöcher nach dem Test, mangelnde Sauerstoffzufuhr wegen der Maske, ein Gefühl der Einsamkeit inmitten anderer Menschen: Klar sind das Luxusprobleme. Aber Kultur soll ein ästhetisches, ein sinnliches Erlebnis sein – wird Letzteres allerdings gedämpft, wird auch die kulturelle Erfahrung per se verstümmelt. Und irgendwie kommt es der kleinen paranoiden Stimme im Kopf, die mittlerweile jeder von uns wahrgenommen hat, so vor, als würde dieses Testkonzert nur dem Zweck dienen, die Auflagen abermals zu verschärfen. Fakt ist, dass ein Rock-, ein Punk- oder ein Metal-Konzert eher von Menschen besucht wird, die nicht zu den Risikogruppen gehören. Rockhal-Direktor Olivier Toth meinte denn auch, in einer nächsten Testphase könnte man vielleicht mehr riskieren. Dies wäre wohl nicht nur aus wissenschaftlichen Gründen eine hervorragende Idee.
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„Dass sich Menschen in einem Kulturzentrum nicht anstecken, wenn sie zwei Meter voneinander sitzen, Maske tragen und jeglichen Kontakt verhindern, ist mittlerweile längst erwiesen,“
Etwas Negatives kann man nicht beweisen.
Zitat : „Aus wissenschaftlicher Sicht wäre es doch interessanter, das Verhalten des Virus unter den Rahmenbedingungen eines herkömmlichen Konzerts zu beobachten.“
…und so ein paar superspreader-events organisieren? Ich vermisse zwar auch Konzerte, aber das kann doch wohl nicht ihr Ernst sein?