Analyse / Themensetzung, Zeitenwende und #Luc: Luxemburg schließt seinen Frieden mit der CSV
Die CSV hat den Abwärtstrend der vergangenen Jahre gestoppt, sich gegenüber den Prognosen sogar leicht gesteigert. Obwohl die Partei den personellen Umbruch nicht mehr aktiv weitergetrieben hat, kann sie erneut beim Wähler punkten – auch weil auf alte Bastionen wieder Verlass ist.
Luc Frieden ist da angekommen, wo er schon vor einigen Jahren sein wollte: im Staatsministerium. Der Erfolg der CSV am 8. Oktober war nicht unbedingt vorherzusehen, wurden der CSV noch im Vorfeld der Wahlen weitere Verluste vorausgesagt. Der Effekt des #NeieLuc und die PR-Kampagne haben gewirkt – auch weil die Partei mit Luc Frieden wieder eine Person in ihren Reihen hatte, hinter der sich Mann und Maus versammeln konnten. Der Erfolg ist aber nicht nur einer Person geschuldet, auch die Wahlkampfstrategie der CSV ist aufgegangen.
Die Gemeindewahlen waren erst seit einer Woche Geschichte, da hat die CSV am 19. Juni zu einer Pressekonferenz geladen. Luc Frieden, Elisabeth Margue, Claude Wiseler und Alex Donnersbach stellten damals zehn Wahlkampfprioritäten für die Chamberwahlen am 8. Oktober vor. Knappe vier Monate vor dem Wahltermin setzten die Christsozialen alles daran, den Ton im Wahlkampf möglichst früh angeben zu können. Tatsächlich drehte sich die Kampagne drei Monate später hauptsächlich um wirtschaftliche Themen: Kaufkraft und Steuerfragen, Wohnungsbau und Luxemburg als Wirtschaftsstandort im Allgemeinen. Alles Themen, die die CSV in ihren Prioritäten aufgelistet hatte und die den Wähler laut dem Politologen Philippe Poirier auch mehrheitlich beschäftigten.
Die CSV wollte noch weitere Akzente in den Bereichen Gesundheit, Sicherheit, Bildung, Klima, Mobilität und Digitalisierung setzen. Digitalisierung und Bildungspolitik waren im Wahlkampf letztendlich kaum von Bedeutung. Auch die Mobilität wurde wenig thematisiert. In der Gesundheits-, Sicherheits- und Umweltpolitik lässt sich in Kombination mit der wirtschaftsliberaleren Ausrichtung der Partei klar herauslesen, auf wen die CSV es im Wahlkampf abgesehen hatte: Wähler, die in den vergangenen Jahren eher bei der DP als bei der CSV ihr Kreuz gemacht hatten.
Für die Zeitenwende
Dass die CSV es ausgerechnet auf DP-Wähler abgesehen hatte, ist paradoxerweise der Grund, warum beide Parteien bei den Koalitionsverhandlungen inhaltlich schnell zusammenfinden könnten: Die inhaltliche Nähe ist teilweise verblüffend – auch weil viele Details bewusst vage formuliert wurden. Absolutes Ziel der CSV-Kampagne war eine erneute Regierungsbeteiligung. Und für die – so viel hat man sich bei der DP abgeschaut – muss man nach vielen Seiten hin offen bleiben. Nicht umsonst hat es Luc Frieden selbst am Wahlabend noch vermieden, den Premierministerposten für sich zu beanspruchen. Dieser hätte während Koalitionsverhandlungen noch zur Verhandlungsmasse werden können.
Neben den zehn Prioritäten legte die CSV zudem einen besonderen Wert darauf, dass unter dem #NeieLuc ein Politikwechsel eingeläutet werden würde. Das lässt sich an zwei Punkten festmachen. Einerseits konnte die CSV besonders in den Gemeinden punkten, in denen neben den Grünen die DP und/oder die LSAP starke Verluste eingefahren hatten. Andererseits konnte die CSV verhältnismäßig weitaus mehr Listenstimmen auf sich vereinen als alle anderen Parteien. Ganz nach dem Motto: Wer eine andere Politik will, muss CSV wählen.
Ein Blick auf die Wahllandkarte der CSV zeigt: Besonders stark wurde die Partei in vereinzelten Gemeinden im Osten und – mit wenigen Ausnahmen – flächendeckend im Norden gewählt. Selbst leichte Verluste in einigen Nordgemeinden konnten dem Status der CSV als Parteiprimus im Norden nichts anhaben. Von den Top-10-Gemeinden, in denen die CSV am besten abgeschnitten hat, liegen lediglich Mamer und Weiler-la-Tour nicht im Osten oder Norden – beides Ortschaften, in denen mit Gilles Roth und Vincent Reding ein CSV-Politiker der Gemeinde vorsteht. Nach dem gleichen Schema wurde auch in den Kommunen Rosport-Mompach und Wormeldingen im Osten gewählt, die seit dem 11. Juni mit Stéphanie Weydert und Max Hengel ebenfalls zwei CSV-Politiker als Bürgermeister haben.
Der Wille für einen Regierungswechsel lässt sich besonders im Norden auch daran festmachen, dass die CSV ihre stärksten Gewinne in den Gemeinden einfahren konnte, in denen die Koalitionspartner DP-LSAP-„déi gréng“ Stimmen verloren haben. Besonders in der Stauseegemeinde, Winseler, Wintger, Ulflingen, Clerf und Weiswampach konnte die CSV zulegen und von Verlusten der Gambia-Koalitionäre profitieren.
Ein ähnliches Bild zeigt sich im westlichen Speckgürtel der Stadt Luxemburg und zieht sich in den bürgerlichen Süden Luxemburgs hinein. In Kopstal, Strassen, Mamer, Garnich, Dippach, Reckingen und Monnerich konnte die CSV merklich mehr Wähler mobilisieren als noch bei den vergangenen Wahlen. Gemeinden, in denen sowohl die LSAP (Kopstal, Dippach und Monnerich) als auch die DP (Garnich, Kopstal) punktuell Federn lassen mussten. Und obwohl eine Glättung der Parteienergebnisse auf Landesebene festzustellen ist, lesen sich die Wahlkampfkarten der CSV, LSAP und DP komplementär zueinander.
Politische Wahl
Ein weiterer Erfolgsfaktor ist aber Luc Frieden. Zwar ist Gilles Roth als Spitzenkandidat im Süden „besser“ gewählt – jedoch sind im südlichen Wahlbezirk auch mehr Stimmen zu vergeben. Der Blick auf die persönlichen Stimmen offenbart den Frieden-Faktor. Auf jeden Kandidaten der CSV entfallen 11.374 Listenstimmen. Das bedeutet, dass Frieden 19.625 persönliche Stimmen gesammelt hat – weitaus mehr als Gilles Roth, der auf 14.777 persönliche Stimmen kommt. Insgesamt muss sich Frieden bei der persönlichen Stimmenausbeute nur Xavier Bettel geschlagen geben, der insgesamt 24.692 persönliche Stimmen sammeln konnte.
Zwei Drittel des Wahlergebnisses lassen sich bei Luc Frieden auf seine Person zurückführen. Nach den ereignisreichen Jahren in der Freundeskreis-Affäre brauchte es in der Partei auch ein „neues“ Gesicht, um den Wahlslogan „Zeit für eine neue Politik“ glaubhaft nach außen zu transportieren. Im Gegenzug sorgte die seit Beginn des Jahres angelaufene PR-Kampagne der CSV dafür, dass Frieden dem Wähler nicht nur als kompetenter Finanzexperte, sondern auch als Projektionsfläche für eine „neue“ Politik diente – wie auch immer diese aussehen soll.
Der Blick auf die Listenstimmen stützt die These, dass die CSV maßgeblich von Wählern gestärkt wurde, die keine dritte Dreierkoalition mehr wollten. In allen Bezirken hat die CSV, verglichen mit LSAP und DP, verhältnismäßig am meisten Listenstimmen auf sich vereint. Mit der einzigen Ausnahme von der DP im Süden, wo beide Parteien nur etwas mehr als ein Viertel ihrer Stimmen durch persönliche Stimmen einsammelten und die DP in dem Ranking leicht vor der CSV liegt. Lediglich ADR- und Piratenwähler haben am 8. Oktober weniger oft panaschiert als CSV-Wähler – beides Parteien, die, wie der Politikwissenschaftler Philippe Poirier im Tageblatt-Interview erklärt, Protestwähler am ehesten mobilisiert haben. Zumindest ein Indiz dafür, dass die Wähler, die mit der bisherigen Politik nicht einverstanden waren, eher Listen wählen als panaschieren – und somit Teil der Erklärung für das CSV-Ergebnis am 8. Oktober sind.
Fit für die Zukunft?
Ein Blick auf die Reihe hinter Frieden zeigt, dass sich die CSV strukturell wie personell eigentlich kaum verändert hat. Mit Christophe Hansen und Charel Weiler sind nur zwei neue Gesichter unter den CSV-Abgeordneten. Zwar werden noch einige (neue) Gesichter infolge der Regierungsbildung nachrücken – jedoch zeigt das jetzige Bild, dass die erste Garde der CSV zu 90 Prozent die gleiche ist wie noch vor ein paar Jahren, als sie in einer beispiellosen Implosion ihren Parteipräsidenten Frank Engel schasste und mit ihm auch Mitglieder der heutigen Parteiführung anklagte.
Neben der künftigen Regierungskoalition ist der personelle Umbruch die nächste Großbaustelle, die die Parteiführung bewältigen muss. Denn: Mit Marc Spautz, Felix Eischen, Claude Wiseler (2018 als Spitzenkandidat angetreten) oder auch Laurent Mosar ist die erste Reihe der CSV nicht mehr der Stimmenfänger, der sie einst war. Sie alle verzeichnen ein Minus bei den persönlichen Stimmen. Laurent Mosar wurde in diesem Jahr sogar nicht mehr direkt ins Parlament gewählt, wird jedoch durch die Regierungsbildung noch ins Parlament nachrücken. Dass Parteien nicht mehr unbedingt auf ehemalige Zugpferde setzen sollten, ist jedoch ein Trend, der nicht nur bei der CSV festzustellen ist. Jean Asselborn, Mars Di Bartolomeo (LSAP) oder auch Simone Beissel (DP) mussten in diesem Jahr ähnliche Erfahrungen machen.
In dem Sinne birgt die Regierungsbeteiligung der CSV durchaus Chancen. Mit Stéphanie Weydert (Osten) sowie Nathalie Morgenthaler, Françoise Kemp und Nadine Schmid (alle Süden) könnten demnächst CSV-Politikerinnen ins männlich dominierte Parlament nachrücken und frischen Wind in die CSV-Fraktion bringen. Im Zentrum stehen mit Maurice Bauer, Laurent Mosar und Alex Donnersbach zumindest zwei neue Gesichter in den Startlöchern, während im Norden mit Jeff Boonen ebenfalls ein potenzieller Chamber-Neuling bereitsteht.
In fünf Jahren ist nämlich der #NeieLuc nicht mehr so neu und die CSV wird sich dann mit aller Macht gegen einen Wechsel stemmen. Dann müssen andere Argumente her, um den Wähler von einer Regierungsbeteiligung der CSV zu überzeugen. Andernfalls könnte der Abwärtstrend der vergangenen Jahre wieder einsetzen und die CSV ihre historische Vormachtstellung endgültig verlieren.
Lesen Sie zu dem Thema auch unsere Hintergrundanalysen zu den großen Parteien:
LSAP: Nach der Wahl / Die LSAP auf dem Weg der Veränderung
DP: Analyse / Wie die DP es schafft, eine breite Mitte an Wählern zu bedienen
dei gréng: Analyse / Das grüne Desaster: Warum die Wahlniederlage viele Gründe hat
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Fit für die Zukunft kann nur sein, wer die Vergangenheit aufgearbeutet hat.
MfG
Robert Hottua