Corona-Krise / Therapiezentrum für jugendliche Drogenabhängige ist dringend notwendig
Rückfälle, Therapieausfälle und Selbstmordversuche: Drogenabhängige trifft es in der Corona-Krise besonders schlimm.
Während einer Therapie im Ausland versuchte sich ein Drogenabhängiger aus Luxemburg umzubringen. Da er als Ausländer dort nicht das Recht auf eine entsprechende Behandlung nach dem Selbstmordversuch hatte, brachte ihn René Meneghetti, Psychologe und Direktionsbeauftragter der Sucht-Beratungsstelle Impuls, selbst zurück nach Luxemburg. Eine Aufnahme in eine psychiatrische Einrichtung erwies sich aber auch hier als schwierig, erzählt Meneghetti dem Tageblatt. Da die Person nicht mehr direkt gefährdet sei, könne sie nicht stationär behandelt werden, wurde ihm gesagt. „Ja, gewiss, er war durch die lange gemeinsame Fahrt mit mir wieder ruhiger geworden, was aber nicht hieß, dass er nicht mehr gefährdet war.“ Zehn Tage lang habe er jeden Tag im Krankenhaus vorsprechen müssen, bis die Person endlich aufgenommen wurde. Das Ganze sei natürlich auch eine große Belastung für die Familie des Kranken gewesen.
Das sei nur ein Beispiel der Probleme der vergangenen Wochen. Dramatische Fälle habe es einige gegeben. In einer ersten Phase seien die Patienten noch ruhig mit der Situation umgegangen, sagt Meneghetti. Doch nach etwa zehn Tagen sei der Drogenkonsum gestiegen. Der Psychologe spricht von mehreren Selbstmordversuchen.
Therapieausfälle
Dramatisch sei es für diejenigen gewesen, die gerade eine Therapie beginnen sollten, die aber dann im letzten Moment ausgesetzt wurde. „Wir mussten viele Krisengespräche führen, da die Betroffenen große Hoffnung in die Therapie setzten, die dann nicht stattfand. Bei einigen lag die Einwilligung der Gesundheitskasse bereits vor.“
Meneghetti weiß auch von Gewaltausbrüchen bei Jugendlichen zu berichten. Weil sie nicht aus dem Haus durften, um sich ihre Drogen zu besorgen, eskalierte die Situation in einigen Familien deutlich. Meneghetti spricht u.a. von zertrümmerten Türen. In vielen Fällen handele es sich um Jugendliche mit einem alleinerziehenden Elternteil. Man könne sich vorstellen, wie das ist, wenn ein 15- oder 16-Jähriger die Kontrolle verliert. Oft sei die Polizei gerufen worden, doch ebenso oft behauptete diese, nicht dafür zuständig zu sein.
Bedingt durch die Krise sei der „dysfunktionale Konsum“ entweder wieder aufgenommen oder sogar verstärkt worden. In einigen Fällen sei es dramatisch, weil die betroffenen Jugendlichen in den zwei Monaten absolut nichts für die Schule taten und jeden Tag damit verbrachten, Playstation zu spielen und Drogen zu konsumieren. „Hier ist es jetzt besonders schwer, wieder den Anschluss zu finden“, sagt der Psychologe.
Meneghetti spricht von mindestens drei Rückfällen in dieser Zeit. Alle drei Betroffenen hätten schon eine erfolgreiche Therapie hinter sich gehabt, doch die nachfolgenden Gespräche – „die ersten 90 Tage nach einer Therapie sind die wichtigsten“ – konnten wegen der Umstände nicht stattfinden.
Die erste Maßnahme, die Impuls nach dem Lockdown traf, war, alle Klienten anzurufen. Man wollte Präsenz zeigen und die Patienten darauf hinweisen, dass sie noch immer Hilfe finden können, wenn auch anfangs nur telefonisch. „Wir gingen so vor, da wir eine aktive Aufgabe im Bereich Jugendschutz haben.“
Krise zeigt Mängel
Impuls öffnete allerdings schon nach zwei Wochen wieder seine Türen für persönliche Gespräche, weil schnell klar wurde, dass Videoschaltungen nicht alles ersetzen können. „Man kann nicht die Stimmungswechsel, die Emotionen des Patienten spüren. All das geht bei den Videokontakten verloren.“ Mehr als ein Hilfsmittel sei das nicht. Allein die Tatsache, sich wieder persönlich begegnen zu können, sei für viele Betroffene eine Erleichterung gewesen.
Die Krise habe ihm vor allem eins gezeigt, nämlich dass das Land dringend ein Therapiezentrum für Jugendliche braucht. Seit Jahren laufen diesbezüglich Gespräche mit dem Gesundheitsministerium. Daran dass es durch die momentane Krise eventuell zu einer schnelleren Lösung kommen könnte, glaubt Meneghetti nicht. Die Krise habe die ganze Diskussion wohl eher gebremst. „Gleichzeitig bin ich aber überrascht, wie viel Geld plötzlich anderswo zur Verfügung steht.“
Stärker als angenommen
Die gleiche Herangehensweise wurde auch bei der Stiftung „Jugend- an Drogenhëllef“ angewandt. Die Patienten seien alle froh gewesen, als sie kontaktiert wurden, sagt Psychologin Carmella Klestadt. Sie erzählt aber auch, dass überraschenderweise viele Abhängige gut mit der Einsamkeit umgehen konnten. „Viele haben neue Ressourcen in sich entdeckt und sahen, dass sie stärker sind, als sie dachten.“ Als Beispiel nennt sie eine Klientin, die ihre Essensgewohnheiten geändert habe. „Die Leute haben sich mit anderen Fragen und Themen befasst.“
Insgesamt dürfe der Stress aber nicht heruntergespielt werden, vor allem, weil es schwieriger war, sich Drogen zu besorgen. Auch Klestadt kennt das Problem von abgesagten Therapien. Für die Therapeuten galt es vor allem, bei den Betroffenen die Motivation, daran teilzunehmen, aufrechtzuerhalten. Während des Lockdowns stiegen auch die Mitarbeiter der „Jugend- an Drogenhëllef“ auf Telearbeit um. Ob die Stiftung diese in Zukunft beibehalten wird, sei zurzeit nicht klar. Erst müsse untersucht werden, wie sich das Ganze auf die Betroffenen ausgewirkt habe.
Obdachlose und „Bleift doheem“
Ein weiteres Problem vieler jugendlicher Drogenabhängiger sei, dass sie kein Zuhause haben. „Das ,Bleift doheem’ sei für sie eine zusätzliche Belastung gewesen, sagt Raoul Schaaf, Direktor des „Comité national de défense sociale“ (CNDS), Träger des Drogenhilfezentrums Abrigado in Bonneweg. Die Forderung nach sozialer Distanz habe die soziale Ausgrenzung verstärkt. Teile der Öffentlichkeit hätten mit dem Finger auf die Obdachlosen gezeigt, nach dem Motto: „Wir müssen daheim bleiben, die dürfen raus.“
In einem Punkt sind sich Raoul Schaaf und René Meneghetti einig: Die Krise habe die Grenzen der digitalen Arbeit gezeigt. Die Hilfesuchenden brauchen direkten Kontakt. Ganz dramatisch sei die Aufhebung der Arbeitsmaßnahmen gewesen. In normalen Zeiten würden die CNDS-Schützlinge zwischen 350 und 400 Kilometer Wanderwege sauber halten. In diesem Zusammenhang weiß Schaaf von sechs Rückfällen wegen der ausgefallenen Arbeit zu berichten. „Es gab keinen stabilisierenden Faktor mehr.“ Seiner Einschätzung zufolge habe die Einsamkeit diesen Leuten extrem zu schaffen gemacht. Nach den Überschwemmungen im Müllerthal z.B. halfen viele CNDS-Schützlinge bei den Aufräumarbeiten. „Die Dankbarkeit der dortigen Einwohner und deren Feedback hat ihnen viel bedeutet.“
Einige Projekte wiederum wurden durch die Krise beschleunigt. „Die legalen Wege wurden kürzer.“ So darf Abrigado nun auch Ersatzmittel für Heroin und Kokain ausgeben. Dies wird u.a. durch eine medizinische Begleitung von ‚Médecins du monde’ ermöglicht, die nun fünfmal die Woche vor Ort sind. Die medizinische Begleitung werde auch nach der Krise weitergeführt und werde wohl im kommenden Pandemiegesetz eine langfristige Basis erhalten, meint Schaaf.
Da sich durch die geschlossenen Grenzen die Qualität der Drogen verschlechtert habe, werde das Projekt „Drug-Checking“ um zwei Monate verlängert. Anhand dieser Tests können die Abhängigen Drogen auf ihre Reinheit analysieren.
Schaaf hat allerdings auch eine gute Nachricht. Als Glück im Unglück habe sich für einen Drogenabhängigen sein positiver Covid-19-Test herausgestellt. Dadurch musste er erst einmal ins Krankenhaus. Da dieses aber nicht für solche Fälle ausgestattet war, kam er in die Psychiatrie. Jetzt befinde sich die Person seit ein paar Wochen in einer Therapie.
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