Regionale Kultur / Thillenvogtei in Rindschleiden: Mehr als ein Museum
„Méi wéi nëmmen ee Musée“: Das verspricht das Museum Thillenvogtei im Nordwesten des Landes. In Rindschleiden gibt es nur drei Häuser und es wäre vermessen zu sagen, das Museum ist die Hauptattraktion. In einem ist das Bistro Miro untergebracht, ein großer ehemaliger Gutshof beherbergt das Museum und zu guter Letzt ist da noch die Kirche aus dem 10. Jahrhundert mit Pfarrhaus. Mehr gibt es an Gebäuden nicht. Aber es gibt eine Einsicht. Das Wort „interaktiv“ wird hier anders interpretiert als über den Einsatz moderner Technik.
Audioguides, Headsets oder Touchscreens mit Informationen zu den ausgestellten Objekten finden sich nicht im Museum Thillenvogtei. Es gibt auch keine erklärenden Texte neben den Exponaten. Das Museum im „Eislek“ setzt vielmehr auf die hier ernst gemeinte Aufforderung zum Mitmachen, um in das Leben vor hundert Jahren einzutauchen. Die Zeitreise entspricht der Geschichte der Region, die früher rein bäuerlich geprägt war. Insgesamt sind die Ausstellungs- und Aktionsräume rund 500 Quadratmeter groß.
„Patrimoine rural“ nennt es André Kirsch. Der 29-jährige Archäologe leitet das Museum seit einem Jahr. „Das hier ist der einzige Ort im Land – vielleicht sogar in der Großregion –, wo man auf lebendige Art Geschichte und Kultur vergangener Zeiten entdecken kann“, sagt er. An diesem Tag ist eine Schulklasse aus Burglinster zu Besuch, um mit ihrer Lehrerin einen Tag in Rindschleiden zu verbringen. „Brout baken – vum Kär zum Brout“ steht für sie auf dem Programm.
Grundschulklassen sind Hauptpublikum
Angela Bissen (49), eine der derzeit drei Animateurinnen oder „Guides“ des Museums, erklärt den Kindern im Hof, wo das vor ihnen liegende Getreide herkommt, wie es verarbeitet wird und wie man Teig daraus herstellt. Vor allem Roggen ist im „Eislek“ die Getreideart, die dort schon immer angebaut wurde – besonders vor hundert Jahren. Beim Dreschen, um die Körner aus den Ähren zu gewinnen, müssen die Kids selbst anpacken.
Danach geht es in die Backstube, wo der große, in die Wand eingelassene Ofen schon angeheizt ist – wie früher mit gesammeltem Reisig zum Anfachen des Feuers und Holz. Eine Minipizza oder ein großes Stück Brot oder doch beides? – das ist anschließend die Frage. Angela hat Teig vorbereitet und Teigroller liegen auf dem großen Tisch neben der Backstube bereit. Die Kinder entscheiden sich. Die, die kneten wollen, stürzen sich auf das bereitgelegte Stück Teig. Die, die lieber mit der Teigrolle arbeiten, rollen einen Pizzateig aus.
Als das Essen anschließend aus dem Ofen kommt, ist die Begeisterung groß. Vom Korn zum Mehl und vom Mehl zu Pizza oder Brot: Spielerisch will das Museum mit seinen Workshop-Angeboten Zusammenhänge vermitteln, die hundert Jahre später größtenteils Supermärkte übernommen haben. Viele Kinder kennen nichts anderes mehr. Mit „Kucken, lauschteren, maachen“, wie es auf der Webseite heißt, ist die Existenzberechtigung der Kultureinrichtung auf den Punkt gebracht und eingelöst.
„Interaktives“ Museum
Gleiches gilt für die Bedeutung von „interaktiv“ in Rindschleiden. Aber nicht nur die Kinder sind fasziniert. Für Jana Collard (19) ist das alles zwar Arbeit – sie überwacht am Ofen, dass nichts verbrennt –, aber sie genießt es sichtlich. Nach dem Abitur und drei Monaten Praktikum in einer „Maison relais“ ist sie nun als Volontärin seit dem 15. April in der Thillenvogtei. „Das hier ist etwas ganz Spezielles“, sagt die angehende Studentin im Fach „Sciences sociales et éducatives“. „So etwas findet man nirgendwo anders.“
Bis das Museum, das seit 2014 an diesem Standort funktioniert, solche Volontariate anbieten konnte, gab es einen Umzug. Unter dem gleichen Namen existierte es im Nachbardorf Wahl schon seit den 90er Jahren. Dort bewahrte der heute 74 Jahre alte Jean Ney die Alltagsgegenstände zum bäuerlichen Leben, die er jahrzehntelang zusammengetragen hatte, auf. Als der letzte Bewohner des Hofgutes in Rindschleiden stirbt, kauft der Sammler das Gebäude und baut es nach und nach als neuen Standort und Museum aus.
2014 ist dieser Prozess abgeschlossen, das Museum geht in die erste Herbstsaison. Auf dem Programm stehen schon damals Mitmachangebote wie Apfelsaft aus Äpfeln pressen und Kuchen backen aus dem Obst. Die Programme sprechen vor allem Grundschulklassen an, die nach wie vor den größten Anteil an den vor der Pandemie im Jahr 2019 gezählten rund 4.000 Besuchern der Thillenvogtei ausmachen.
Eine Reise in Luxemburgs Geschichte
Es gibt noch ein anderes geschäftliches Standbein, um Einnahmen zu generieren, auf die das Museum angewiesen ist. In der großen Scheune werden gerne Hochzeiten gefeiert. Für 2022 sind insgesamt 30 angemeldet. Getragen wird das Museum hauptsächlich von der asbl. Musée Thillenvogtei Randschelt und den zahlreichen Ehrenamtlichen, die immer wieder anpacken. Sie sind als „Alldagshelden“ auf der Webseite (www.thillenvogtei.lu) teilweise namentlich verewigt.
Außer einem Zuschuss von der Gemeinde Wahl lebt das Museum derzeit nämlich nur von einer auf drei Jahre angelegten Förderung durch die Stiftung „Œuvre nationale de secours Grande-Duchesse Charlotte“ in Höhe von 70.000 Euro, die nach 2023 ausläuft. Das Kulturministerium springt finanziell ein, wenn größere Events anstehen wie bei den acht Aufführungen von „De Spillmann ass do“, die die Thillenvorgtei 2020 und 2021 zusammen mit dem Künstlerkollektiv Kopla bunz organisiert hat.
Auf sich alleine gestellt, müssen sich Museumsleiter Kirsch und die asbl. Gedanken machen, wie es danach weitergeht. Es wäre schade, wenn dieses Kleinod in Schwierigkeiten käme und die Worte des Museumsleiters zur Bedeutung der Sammlung kein Gehör fänden. „Diese Kultur geht immer mehr verloren“, sagt Kirsch. Gemeint ist die Reise in die Welt vor hundert Jahren in der Thillenvogtei, die einen festen, aber vielfach vergessenen Platz in der Geschichte des Landes hat.
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