Milchstaße / Tiefe Einblicke in unsere galaktische Heimat
Es ist eine seltsam anmutende Frage. Wo genau ist die Erde? Jedenfalls nicht dort, wo wir sie in den letzten Jahren vermutet haben. Zu dieser Einsicht sind japanische Wissenschaftler gekommen.
Sie haben einen astronomischen Katalog angelegt, für den sie die Positionen und Bewegungen von Objekten in der Milchstraße neu berechnet haben. Dabei kamen sie zu dem Schluss, dass die Erde gut 2.000 Lichtjahre näher am Zentrum der Milchstraße liegt als bislang gedacht. Die gemessene Entfernung sank ca. 27.700 Lichtjahre auf nun etwa 25.800 Lichtjahre. Ersterer Wert war 1985 von der International Astronomical Union so anerkannt worden.
Damit ist die Erde auch rund 2.000 Lichtjahre näher an dem supermassiven Schwarzen Loch im Zentrum unserer Galaxis, wie das National Astronomical Observatory of Japan im November medienwirksam mitteilte. „Aber keine Sorge, das bedeutet nicht, dass unser Planet auf ein Schwarzes Loch zusteuert“, beruhigen die Wissenschaftler.
Daneben fanden die Forscher heraus, dass die Erde sich schneller durch die Galaxis bewegt als bislang angenommen. Die neue Karte zeige, dass die Erde sich mit 227 km/s bewegt, während sie das galaktische Zentrum umkreist. Dies sei schneller als der offizielle Wert von 220 km/s, so die Forscher.
Das japanische Projekt (VERA) wurde laut der Pressemitteilung im Jahr 2000 gestartet, um dreidimensionale Geschwindigkeits- und Raumstrukturen in der Milchstraße zu kartieren. Die japanischen Forscher verwenden eine Technik, die Interferometrie genannt wird. Dabei werden die Daten von verschiedenen Radioteleskopen kombiniert, die über ganz Japan verstreut sind. Würde man versuchen, die gleiche Auflösung mit einem einzigen Teleskop zu erreichen, müsste es einen Durchmesser von 2.300 Kilometern haben. Laut den Forschern ist die Auflösung theoretisch scharf genug, um einen auf der Mondoberfläche platzierten US-Pfennig aufzulösen.
Die Vermessung der Milchstraße ist keine einfache Angelegenheit. Die Erde befindet sich inmitten dieser großen hektischen See aus Sternen und Astronomen haben keine Möglichkeit, diese zu verlassen, um sie aus der Vogelperspektive zu beobachten, oder wie frühere Kartografen die Orte zu bereisen, die es zu vermessen gilt.
Nun hoffen die Forscher, noch mehr Objekte zu beobachten, insbesondere solche in der Nähe des zentralen supermassiven Schwarzen Lochs, um die Struktur und die Bewegungen in der Milchstraße noch besser verstehen zu können. Dazu sollen in Zukunft Radioteleskope aus Japan, Südkorea und China zusammenarbeiten. Durch die höhere Anzahl von Teleskopen, aber auch durch den höheren Abstand zwischen den Teleskopen könne die Genauigkeit noch weiter verbessert werden, so die Forscher in ihrem Schreiben.
Neue, beste Karte
Neuigkeiten gibt es in dieser Hinsicht auch von der Europäischen Weltraumagentur. Anfang Dezember hat die ESA einen riesigen Katalog mit Daten über unsere Milchstraße veröffentlicht. Damit lässt sich die bislang beste Karte der Galaxis erstellen. Astronomen sprachen von einem wahren „Tsunami“ an Daten. Diese geben die genaue Position und viele zusätzliche Daten von rund 1,8 Milliarden Objekten in unserer Heimatgalaxis. Das klingt erst einmal nach viel. Tatsächlich ist es nur winziger Bruchteil aller Objekte. In der Galaxis gibt es, sehr vorsichtig geschätzt, mindestens 100 Milliarden Sterne. Der Katalog enthält den Forschern zufolge außerdem Farbinformationen für etwa 1,5 Milliarden Objekte – viel mehr als bislang zur Verfügung standen. Auch die Genauigkeit und Präzision der Messungen hätten sich verbessert.
Gesammelt wurden die Daten durch das im Dezember 2013 gestartete Weltraumteleskop GAIA. Mit den 1,8 Milliarden Objekten ist es allerdings noch nicht getan. Der Katalog soll in Zukunft noch ausgebaut werden. Die Daten, die GAIA gesammelt hat, sind der Öffentlichkeit zugänglich und können mit diversen Tools visualisiert werden.
Das GAIA-Teleskop umkreist einen Punkt auf der sonnenabgewandten Seite der Erde, an dem durch das Zusammenspiel von Erde und Sonne ein besonderes Gleichgewicht der Schwerkräfte wirkt – den sogenannten L2-Lagrange-Punkt.
Das GAIA-Team machte außerdem in den Außenbereichen der Milchstraße eine erstaunliche Entdeckung. Die Daten zeigen, so die Forscher, dass es in den äußeren Regionen der Galaxis Sterne gibt, die sich auf eigenartigen Bahnen bewegen. Sie könnten Zeugen eines kosmischen Zusammentreffens mit einem Nachbarn der Milchstraße sein. „Dieses außergewöhnliche Muster war bisher nicht erwartet worden. Es könnte das Ergebnis der Beinahe-Kollision zwischen der Milchstraße und der Zwerggalaxis Sagittarius sein, die in der jüngeren Vergangenheit unserer Galaxie stattgefunden hat.“ Die Zwerggalaxis ist der Milchstraße im Laufe von Milliarden Jahren immer wieder zu nahe gekommen. Der letzte Vorbeiflug sei zwar kein direkter Treffer gewesen, so die ESA, aber es hätte wohl ausgereicht, um ein paar unserer Sterne ins Trudeln zu bringen. Forscher gehen heute davon aus, dass die Milchstraße dabei ist, sich die Zwerggalaxis einzuverleiben.
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