Atomkraft / Tihange 3 und Doel 4: Greenpeace stellt sich gegen Laufzeitverlängerung der belgischen Reaktoren
Belgien will die Laufzeit von zwei Atomreaktoren um zehn weitere Jahre verlängern. Greenpeace hat eine unabhängige Studie in Auftrag gegeben, um die möglichen Auswirkungen dieser Entscheidung zu analysieren. Ein Entschluss mit großen potenziellen Risiken und weitreichenden Folgen.
Die Atomenergie hat zwar große Vorteile, birgt aber gleichzeitig auch immense Gefahren in sich, wie unter anderem die Kernschmelze in Tschernobyl 1986 verdeutlichte. Eigentlich hatte Belgien den Atomausstieg schon für 2025 geplant. An dessen Umsetzung hapert es allerdings noch gewaltig. Wie Belgien am 20. März 2023 bekannt gab, soll die Laufzeit der Reaktoren Tihange 3 bei Lüttich und Namur und Doel 4 bei Antwerpen sogar um zehn weitere Jahre verlängert werden. Diese Ankündigung stößt bei Belgiens Nachbarländern allerdings auf wenig Gefallen. Eine rund 400-seitige Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP), die vom belgischen Energieministerium in Auftrag gegeben wurde, vermittelt allerdings den Eindruck, dass die Sorge der Nachbarländer unberechtigt und alles nur halb so schlimm sei.
„Die grenzüberschreitenden Auswirkungen von Unfällen bleiben begrenzt“, heißt es beispielsweise an einer Stelle des Berichts. Sowohl Greenpeace Luxemburg als auch die Diplomphysikerin Oda Becker widersprechen bei einer Pressekonferenz am Montagmorgen dieser Aussage. So sei in dem von der belgischen Regierung vorgelegten Bericht nicht einmal das schlimmstmögliche Unfallszenario durchgespielt worden. „Die größten Risiken wurden ausgelassen“, sagt Roger Spautz von Greenpeace.
Das Forschungsprojekt flexRISK hat allerdings entsprechende Szenarien durchgerechnet. Demnach bestünde eine rund dreiprozentige Chance, dass die Einwohner Luxemburgs nach einer derartigen Katastrophe abgesiedelt werden müssten und weite Teile Europas kontaminiert werden könnten. Belgien als Epizentrum und die nordöstlich davon gelegenen Gebiete würden bei einem schweren Unfall aufgrund der Windverhältnisse die schwersten Folgen zu tragen haben.
„Die Bevölkerung und die Politik haben ein Recht darauf, zu erfahren, welche Defizite Doel 4 und Tihange 3 im Vergleich zu den aktuellen Sicherheitsanforderungen aufweisen. Des Weiteren sollten sie Informationen erhalten, welche Nachrüstungen technisch möglich wären, aber aus wirtschaftlichen Gründen nicht erfolgen sollen“, sagt Spautz. An beiden Atomkraftwerken seien während ihrer Laufzeit Betonschäden an sicherheitsrelevanten Gebäuden festgestellt worden, berichtet Becker. Es sei nicht klar, ob der Ursprungszustand der Infrastruktur nach den Reparaturen wiederhergestellt werden konnte oder ob es bereits Fehler oder Schäden bei der Konstruktion gab. Diese Schäden würden mit zunehmendem Alter verstärkt auftreten. Zwar könne man der physischen Alterung mit Alterungsmanagement entgegentreten, doch unvorhergesehene Vorfälle sollten keinesfalls ausgeschlossen werden.
Belgien ohne Alternativen?
Auch das Sicherheitssystem würde altern und werde dadurch anfälliger gegenüber terroristischen Attacken. Die UVP zeige, dass Abstiche bei der Aktualisierung des Sicherheitssystems gemacht werden: Es werde nämlich zwischen notwendigen und möglichen Anwendungen unterschieden – und nur die notwendigen sollen durchgeführt werden. Dabei sollten besonders Terroranschläge bei der Bewertung eine wichtige Rolle spielen, wo doch Doel 4 bereits 2014 Ziel einer Sabotageaktion wurde, meint Becker. Auch die Gefahrenevaluierung durch extreme Naturereignisse sei veraltet – sie stamme aus dem Jahr 2011.
Doch nicht nur die Sicherheitsrisiken sorgen bei Greenpeace Luxemburg für Kopfschütteln: Die angekündigte Laufzeitverlängerung sei „vollkommen unlogisch“ und eine rein „politische Entscheidung“, meint Becker. Belgien ist ihrer Meinung nach nicht so alternativlos, wie es im Bericht dargestellt wird. Die Stromsicherheit zu garantieren, ist Primärziel der Regierung. Da die beiden Reaktoren, im Falle einer Laufzeitverlängerung, vom Winter 2025 bis Herbst 2027 ohnehin komplett abgeschaltet werden müssen, um nötige Vorbereitungsarbeiten durchzuführen, bliebe Belgien ausreichend Zeit, um Alternativlösungen wie Offshore-Parks zu errichten. Damit könnte Belgien seinen Strombedarf wieder nahezu decken. Demnach seien Alternativlösungen nicht zur Genüge geprüft worden, so Becker.
Die Laufzeitverlängerung bringe auch Herausforderungen bei der Endlagerung des Atommülls mit sich: Dadurch müssten weitere 810 Brennelemente, also zusätzliche 7,3 Prozent an Material, gelagert werden, wofür ein 1,2 Kilometer langer Stollen sowie weitere Zwischenlager notwendig würden.
Doel 4 und Tihange 3 wurden 1985 in Betrieb genommen und sollten eigentlich nach einer Betriebszeit von 40 Jahren 2025 abgeschaltet werden. Mittels einer länderübergreifenden Konsultation müssen Belgiens Nachbarländer über die mögliche Laufzeitverlängerung informiert werden. Interessierte können bis zum 20. Juni 2023 Beobachtungen und eigene Vorschläge beim Luxemburger Umweltministerium einreichen. Mit einer Verlängerung würde das Datum auf spätestens den 31. Dezember 2037 aufgeschoben werden. Luxemburg hat sich bereits mehrmals gegen die Atomenergie ausgesprochen.
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