Berufungsprozess / Tödlicher Schuss aus der Polizeidienstwaffe: Staatsanwaltschaft fordert fünf Jahre Haft mit integraler Bewährung
Vor dem Berufungsgericht musste sich diese Woche ein ehemaliger Polizist verantworten. Bei einer Verkehrskontrolle, die aus dem Ruder lief, hat M. am 11. April 2018 einen Menschen mit einem Schuss aus der Dienstwaffe tödlich verletzt. Notwehr oder Absicht lautet die Frage, mit der sich beschäftigt wurde.
Die Tat des Beschuldigten bezeichnet die Generalstaatsanwältin am Freitagmorgen als etwas sehr Außergewöhnliches. Ihr Plädoyer bewegt sich zwischen Vorwürfen und Verständnis. Zunächst lässt sie die Ereignisse Revue passieren. Sie spricht vom Opfer, einem 51-jährigen Niederländer, der Alkohol- und Drogenprobleme gehabt habe. Aber auch vom Angeklagten, der zum Zeitpunkt der Tat 22 Jahre alt war und seit sieben Monaten im Dienst. Sie erwähnt zudem die sichtbaren Beschädigungen am Mercedes des späteren Opfers, welche die Polizisten vor Ort zu Recht intrigiert hätten, und die vergeblichen Aufforderungen, den Fahrer zum Stehen und Aussteigen zu bringen.
„Keine Notwehr“
Auch wenn der Fahrer mit seinem Auto auf M. zufuhr, müsse dies nicht zwingend der Versuch gewesen sein, den Polizisten zu überfahren. Vielleicht habe er um ihn herumfahren wollen. So kann man die Generalstaatsanwältin verstehen. M. sei also nicht unbedingt in echter Lebensgefahr gewesen. Er habe auch keinen zwingenden Grund gehabt, zum ultimativen Mittel, nämlich dem Gebrauch der Schusswaffe, zu greifen. Laut Generalstaatsanwältin habe M. auf den Fahrer gezielt und geschossen und dabei in Kauf genommen, diesen tödlich zu verletzen. Legitime Verteidigung, Notwehr, sieht sie nicht. Dazu wären andere Voraussetzungen nötig gewesen. Es fehle die absolute Notwendigkeit, jemanden auszuschalten, von dem eine große Gefahr ausgegangen wäre oder der ein schweres Verbrechen begangen hätte. Wie sich M. hätte verhalten sollen, sagt die Generalstaatsanwältin nicht.
Was sie anschließend sagt, klingt ansatzweise nach Verständnis. Das Verhalten des Polizisten am 11. April sei nachvollziehbar. Hätte er aber nicht doch eine andere Möglichkeit gehabt, sich der Gefahr zu entziehen? Musste er schießen? Allerdings sei alles sehr schnell gegangen. „Wir haben gut reden, er stand da“, sagt sie.
In erster Instanz hatte die Staatsanwaltschaft 30 Jahre Haft gefordert. Die Richter verhängten fünf Jahre, drei davon auf Bewährung. Grund dafür sei die Provokation, die vom Autofahrer ausging. Anders als die Richter in erster Instanz sieht die Staatsanwältin aber noch weitere mildernde Umstände.
Der 22-jährige Polizist sei damals unerfahren und unreif gewesen. Wenn er sich, wie frühere Kollegen sagen, hinsichtlich seiner Waffe und dem Wunsch, schießen zu wollen, merkwürdig benommen und geäußert habe, sei das schlimm. Schlimm sei dann aber auch, dass scheinbar niemand etwas dagegen unternommen habe. M.s Vorstrafenregister sei leer, so die Vertreterin der Generalstaatsanwaltschaft.
Mildernde Umstände
Aufgrund aller Erwägungen und den in ihren Augen mildernden Umständen könnte die Freiheitsstrafe von fünf Jahren deshalb zur integralen Bewährung ausgesetzt werden. Voraussetzung dafür wäre eine psychologische Nachbetreuung.
Nach der Generalstaatsanwaltschaft hatte die Verteidigung das Wort. Es würde bei diesem Prozess über viel praxisferne Theorie geredet, so konnte man Me Philippe Penning am Freitagmorgen verstehen. Er bleibt dabei, dass sein Mandant in Lebensgefahr war und aus Notwehr gehandelt hat. Ein Auto sei eine Waffe, besonders wenn es mit hoher Geschwindigkeit auf jemanden zufahre. Alles habe sich in wenigen Sekunden zugetragen. M. habe sein Leben retten wollen, er habe überhaupt nicht die Möglichkeit gehabt, sich andere Reaktionsmöglichkeiten zu überlegen. Wer etwas anderes behaupte, verkenne die Lage, in der M. sich damals befunden habe. Deshalb, so Me Penning, könne nur ein Freispruch infrage kommen.
Das Urteil wird am 28. November erwartet.
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