Bissen / Tornado oder nicht? Jetzt reagiert Meteolux
Was passierte am 29. Juni in Bissen? Die europäische Sturmdatenbank ESWD hat dort erst einen Tornado verortet – das dann aber wieder zurückgezogen. Der Grund: Meteolux hatte neues Material geschickt. Der Luxemburger Wetterdienst erklärt seinen Standpunkt nun gegenüber dem Tageblatt.
Es war eine Karriere von äußerst kurzer Dauer: Der Bissener Tornado ist seit vergangenem Samstag kein Tornado mehr. Die europäische Sturmdatenbank ESWD hat das Wetterereignis vom 29. Juni über Luxemburg zurückgestuft. Erst am 2. Oktober hatte die ESWD – nachdem Meteorologen dort Material des Luxemburger Wetterexperten Philippe Ernzer gesichtet hatten – zum Tornado erklärt.
Ernzer, der auch die Wetterberichte fürs Tageblatt verfasst, sah sich vergangene Woche bestätigt. Er hatte in den Tagen nach dem Sturm das Epizentrum vor Ort in Bissen untersucht. Für ihn deutete alles darauf hin: Hier hatte ein Tornado getobt. Der staatliche Wetterdienst Meteolux war aber anderer Ansicht, hatte am 18. Juli einen eigenen Bericht veröffentlicht – und begründete seine Einschätzung unter anderem mit einem Verweis auf die ESWD, die den Tornado damals eben noch nicht anerkannt hatte.
Weitere Bilder von Meteolux
Am vergangenen Donnerstag berichtete das Tageblatt darüber, dass die Organisation die Ereignisse in Bissen doch als Tornado einstufte. „Basierend auf Informationen von einem Zeitungsbericht, einer Schadensanalyse eines Wetterexperten, eines Berichts eines Wetterdienstes, Fotos und/oder Videos der verursachten Schäden“, hieß es bei der ESWD. Auf Nachfrage erklärte die Sturmdatenbank, die vom „European Severe Storms Laboratory“ (ESSL) betrieben wird, dass ein 36 Seiten großer Bericht von Meteo Boulaide die „Hauptquelle“ für die Änderung gewesen sei. Am Freitagmorgen fragte das Tageblatt bei Meteolux nach: Ändert der staatliche Wetterdienst jetzt auch seine Einschätzung?
Das ist jetzt nicht mehr nötig. Denn die ESWD hat das Sturmereignis bei Bissen zwei Tage nach der Tageblatt-Berichterstattung wieder zum „starken Wind“ herabgestuft. Bereits am späten Nachmittag des vergangenen Freitags hatte ein Sprecher des ESSL gegenüber dem Tageblatt in einer E-Mail erklärt, dass „noch nicht das gesamte Material gesichtet wurde“. Es könnten „noch mehr Informationen zu dem Report hineinkommen“, es könnte „noch Änderungen im Status geben“.
Wie kam es zu dieser erneuten Änderung? „Wir haben weitere Bilder von Meteolux gesichtet, die tendenziell wieder auf keinen klassischen Tornado schließen lassen“, antwortet ein Sprecher der Datenbank. Generell sei bei derart schwachen Tornado- oder Downburst-Verdachtsfällen die Rekonstruktion im Nachhinein schwer, da sich um Gebäude oder die Topografie auch Verwirbelungen bilden könnten. Bissen bleibe ein „ganz knapper Grenzfall“ und werde in der ESWD jetzt als „schwere Windböe mit Tornadoverdacht“ geführt.
Windkanaleffekt durch Gebäude
Und auch Meteolux selbst hat sich inzwischen gegenüber dem Tageblatt geäußert. Die Meteorologen vom Findel erklären, dass sie nach einem „konstruktiven Austausch“ mit der ESSL „übereinstimmend mit der ESSL bei der Einschätzung bleiben, dass die dokumentierten Schäden in Bissen nicht eindeutig auf einen Tornado zurückzuführen sind.“ Meteolux lieferte der Sturmdatenbank demnach einen Hinweis auf den Windkanaleffekt durch die Gebäude. „Einen Faktor, an den die ESSL zuerst nicht gedacht hatte“, wie die Wetterbehörde schreibt. Die ESSL stimmte laut Meteolux zu, dass „eine Böenfront, die sich über komplexes Gelände bewegt, Wirbelbewegungen im Windfeld erzeugen“ könne.
Die verschobenen Gegenstände seien relativ leicht gewesen und hätten auch von „stärkeren Böen angehoben oder bewegt“ werden können. „Im Falle eines Tornados wäre dies deutlicher zu erkennen gewesen“, schreibt Meteolux. „Nach Prüfung des Falls ist sich die ESSL einig, dass es schwierig ist, einen Tornado definitiv zu bestätigen und gleichzeitig die Möglichkeit einer schweren Windböe oder sogar eines kurzlebigen Gustnados (Böenfrontwirbels) komplett auszuschließen.“ Daher sei der Bericht in der ESWD-Datenbank von Tornado auf „Severe Winds“ – starke Winde – aktualisiert worden.
Analyse ohne Ortsbesuch
Meteolux erklärt, eine „ausführliche Analyse“ verfasst zu haben, „unter anderem basierend auf den in den Medien ausreichend verfügbaren Schadensbildern“. Eine Ortsbegehung sei nicht gemacht geworden. Das kritisiert Philippe Ernzer wiederum. „Meteolux hätte, egal wie, eine ausführliche Analyse vor Ort durchführen müssen“, sagt er am Donnerstag gegenüber dem Tageblatt. Im Falle einer Untersuchung zu einem möglichen Tornado, bei dem der Trichter aufgrund von Dunkelheit nicht gesehen werden konnte, sei eine Untersuchung vor Ort zwingend notwendig.
Auch das Argument, dass die Gebäude die Wirbel verursacht haben könnten, stellt Ernzer infrage. „Die Rotationsspuren waren auch an Stellen sichtbar, bei denen kein einziges hohes Gebäude in der Nähe war“, sagt Ernzer. Davon abgesehen könne geradliniger Wind oder ein Gustnado nicht einfach eine Sitzbank, deren Sockel aus dickem Metall ist, verbiegen. „Ich bleibe bei der Meinung, dass hier ein faules Spiel gespielt wird“, sagt Ernzer. Der staatliche Wetterdienst habe „dazwischengefunkt“, meint er.
Ernzer betont, dass der Tornado im Merscher Ortsteil Essingen am 30. Mai noch immer von der ESWD anerkannt werde. „Damals wurde auch behauptet, es sei keiner gewesen“, sagt er. Durch seine Untersuchung vor Ort konnte er bestätigt werden. „Andernfalls wäre er unter den Teppich gekehrt worden“, sagt Ernzer. „Ich gehe davon aus, dass es Meteolux darum geht, nicht mit Vorwürfen konfrontiert zu werden, da sie ja nicht davor gewarnt hatten.“
- Tornado oder nicht? Jetzt reagiert Meteolux - 2. November 2024.
- Deutschland weist 32 Menschen zurück – aber nur zwei kommen in Luxemburg an - 31. Oktober 2024.
- So bereitet die Polizei Luxemburger Schulen auf den Amok-Notfall vor - 26. Oktober 2024.
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können.
Melden sie sich an
Registrieren Sie sich kostenlos