/ Totgeschwiegenes Frauenleiden: Eine von zehn Frauen ist von Endometriose betroffen
Kim Nguyen hat Endometriose. Damit ist sie nicht allein: Es ist eine weit verbreitete Frauenkrankheit – und eine der häufigsten Ursachen für Unfruchtbarkeit. Kim wartet zehn Jahre auf ihre Diagnose, wird von einem Arzt zum nächsten geschickt. Genau wie sie auch erfahren die meisten Betroffenen erst sehr spät von ihrer Erkrankung.
„Endo … was?“ Das ist meist die erste Antwort, die Kim Nguyen erhält, wenn sie von ihrer Krankheit erzählt. Bei der Endometriose handelt sich um eine der eigenartigsten gynäkologischen Krankheiten. Jede zehnte Frau ist betroffen. Bei 40 bis 60 Prozent der Frauen, die ungewollt kinderlos bleiben, steckt diese Krankheit dahinter.
Leidet eine Frau an Endometriose, taucht Gewebe der inneren Schicht des Uterus – des Endometriums – außerhalb der Gebärmutter auf. An Stellen, an die es überhaupt nicht hingehört, meist in der Bauchhöhle. Die sogenannten Endometriome, die normalerweise während der Menstruation abgestoßen werden, sammeln sich in Form kleiner Knötchen an den Eierstöcken, den Eileitern, aber auch in der Harnblase oder dem Darm an. In sehr seltenen Fällen sollen sie sogar bis in die Lunge, das Zwerchfell, den Bauchnabel oder das Gehirn wandern.
Diese Endometriome reagieren auf Hormone, sie sind also zyklusabhängig und bluten, wenn die Frau ihre Periode hat – genau wie das ihre Aufgabe in der Gebärmutter ist. Nur dass dieses Blut nirgendwohin abfließen kann. „Das führt zu Entzündungen und Vernarbungen“, sagt Dr. Sandra Calvetti, Gynäkologin mit eigener Praxis in Esch.
Die häufigsten Symptome von Endometriose sind laut Calvetti starke Regelschmerzen und Schmerzen beim Geschlechtsverkehr. Die Gynäkologin weist darauf hin, dass die Symptome der Endometriose nicht unbedingt im Verhältnis zum Schweregrad der Störung stehen. Es gebe auch betroffene Frauen, die nie Beschwerden haben und erst herausfinden, dass sie die Krankheit haben, wenn ihr Kinderwunsch unerfüllt bleibt. Sie betont auch, dass Endometriose zwar sehr lästig sei, in den meisten Fällen aber behandelbar und nicht bösartig. Eine Bauchspiegelung sei meist nicht nötig, da die Symptome durch die Einnahme der Anti-Baby-Pille verschwinden, sagt die Ärztin. Extremfälle, wie der von Kim Nguyen, seien sehr selten. In ihrer 22-jährigen Karriere als Frauenärztin sind ihr bisher drei solch schlimme Fälle begegnet.
Erste Symptome mit 13
Trotzdem gibt es Extremfälle, die allzu häufig unerkannt bleiben. Bei Kim tauchen die ersten Symptome mit 13 auf. Die heute 28-Jährige hat damals einen Monat ununterbrochen ihre Periode. Perioden, die länger als acht Tage dauern, sind ebenfalls ein Symptom von Endometriose. „Damals habe ich sehr viel Blut verloren und bin furchtbar blass geworden“, sagt sie. Ihre Mutter geht mit ihr zum Frauenarzt, der verschreibt die Anti-Baby-Pille. Damit der Zyklus sich reguliert, sagt er. „Anstatt zu hinterfragen, wieso mein Zyklus derart unregelmäßig ist“, regt Kim sich heute auf.
Die Regelschmerzen sind trotz Pille während ihrer Menstruation kaum zu ertragen. Sie spricht verschiedene Frauenärzte jahrelang immer wieder darauf an. Die Antwort ist immer die gleiche: Es ist normal, dass du während deiner Regel Schmerzen hast. „Niemand hat sich gefragt, wieso meine Schmerzen so schlimm sind“, sagt Kim. Sie sieht ein großes Problem darin, dass Mädchen genau das so häufig gesagt wird. Dass sie auf die Zähne beißen müssen.
Das tut Kim. Sie boxt sich durch jede Situation. „Mir wurde das so eingeredet. Irgendwann habe ich selbst daran geglaubt, dass ich einfach eine Memme bin. So ergeht es den meisten Frauen“, sagt sie. Die Pille will sie schon länger absetzen. Sie will keine Hormone mehr zu sich nehmen. Aber sie traut sich nicht. Die unregelmäßigen Blutungen könnten zurückkommen, warnt der Gynäkologe. „Hätte ich früher mit der Pille aufgehört, hätte ich die Diagnose womöglich eher bekommen“, glaubt sie heute.
Die Diagnose
Mit 24 wagt sie den Schritt und setzt die Pille ab. Damit bricht die Endometriose schlimmer denn je aus. Kim hat keinen Hunger mehr, isst und trinkt nichts. „Mir war durchgehend übel“, sagt sie. Die zarte Frau nimmt viel an Gewicht ab.
Erst soll sie zur Magenspiegelung, dann entscheiden sich die Ärzte für einen Nierencheck. Nach einem Ultraschall und einem Scan finden sie die Ursache: Kims Darm hat sich durch das Narbengewebe an ihre linke Beckenmauer geklebt und so den Kanal von der Niere in die Blase zugedrückt. Ihre Niere ist dabei, abzusterben. „Die Ärzte haben mich gefragt, wie ich überhaupt noch stehen konnte, so schmerzhaft müsste das Ganze sein.“ Sie hat gelernt, die Zähne zusammenzubeißen.
Das Narbengewebe hat sich auch auf die Nerven im linken Bein ausgebreitet. Was ihr Bein, ihre Niere und eine Krankheit namens Endometriose miteinander zu tun haben, versteht sie zunächst nicht. „Innerhalb eines Tages habe ich die Diagnose bekommen und mit ihr so viele Informationen auf einmal.“
Dann geht alles ganz schnell. Kim wird innerhalb von einem Monat dreimal operiert. Ihr wird eine Sonde von der Niere zur Blase eingesetzt. Diese verrutscht und sie muss noch einmal in die Narkose. Bei der dritten Operation führen die Ärzte eine Bauchspiegelung durch. Dabei wird der Bauch mit einer Art Ball aufgeblasen und die Endometriome werden weggelasert. „Das hat zum Teil geholfen“, sagt Kim. Nur zum Teil, denn der Laser kommt nicht überall hin. Die betroffenen Nerven am Bein können nicht behandelt werden. „Ich habe chronische Schmerzen im Bein, ein Kribbeln oder einfach gar keine Kraft mehr.“ Am Anfang ist es so schlimm, dass Kim von einem Moment auf den anderen umkippt. Ihr wird angeraten, solle es nicht besser werden, den Invalidenstatus zu beantragen. „Ich dachte mir, das kann nicht sein. Ich bin 24 und habe noch mein ganzes Leben vor mir.“
Mit Physiotherapie, gesunder Lebensweise und Yoga hat Kim dieses Problem heute unter Kontrolle. Sie will sich nicht über ihre Krankheit definieren, wirkt fröhlich und nennt sich selbst eine große Optimistin mit starker Willenskraft. Daran, wie es ist, keine Schmerzen zu haben, kann sie sich nicht erinnern. „Ich habe meinen Weg gefunden“, sagt sie. Allgemein verzichtet sie auf Medikamente und nimmt zum Beispiel keine Schmerzmittel ein. Nur ein Medikament nimmt sie täglich: Visanette, eine Art Anti-Baby-Pille speziell für Endometriose-Patientinnen. Sie verhindert, dass Kim ihre Periode bekommt – dadurch können sich die Endometriome nicht weiter verbreiten.
Stacheldraht im Bauch
Der Winter ist – trotz allem Optimismus – besonders schlimm für die 28-Jährige. Bei Feuchtigkeit und Kälte hat sie starke Schmerzen. An solchen Tagen tut ihr von der linken Rippe bis in den linken Zeh alles weh. „Ich habe das Gefühl, jemand würde zwischen meine Rippen drücken und gleichzeitig ziehen, meinen Darm zusammendrehen, als wäre es ein feuchter Lappen, der ausgewrungen wird – und es fühlt sich an, als wäre Stacheldraht um meine Gebärmutter gewickelt“, beschreibt sie den Schmerz.
An solchen Tagen bleibt Kim nicht etwa im Bett liegen. Sie geht zum Hot Yoga: 90 Minuten intensives Yoga in einem 40 Grad heißen Raum. „Alle erklären mich deswegen für verrückt“, sagt sie. Aber so kann sie abschalten. Hitze und Bewegung helfen ihr, mit dem Schmerz fertig zu werden. Kim bedauert, dass Yoga nicht von der Krankenkasse rückerstattet wird. Immerhin helfe es bei sehr vielen Leiden, die Kurse seien aber extrem teuer. Nicht jeder kann es sich leisten.
Durch die Krankheit schläft Kim sehr schlecht. Sie hat Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren. Das hat große Auswirkungen auf ihre Arbeit als Sekretärin. „Ich denke gar nicht mehr daran, Karriere zu machen“, sagt sie. Sie ist zufrieden mit dem, was sie hat. Ihr Team hat Verständnis dafür, wenn sie sich spontan abmeldet, wenn es ihr wirklich schlecht geht. Im Winter schaffe sie es aufgrund der starken Schmerzen nie, fünf Tage am Stück im Büro zu sein. Dann arbeitet sie von zu Hause aus.
Das Medikament Visanette löst bei ihr starke Hitzewallungen aus. Von der Endometriose ist ihr Bauch häufig sehr aufgebläht – auch aufgrund der Bauchspiegelung. Dass ihr Bauch danach nie wieder flach sein wird – für Kim ein Schönheitsideal –, hat ihr niemand vorher gesagt. Hosen trägt sie schon lange keine mehr, sie zwicken zu sehr am Bauch. Die Endometriose beeinflusst alle Bereiche ihres Lebens. Sie macht sich 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche bemerkbar.
Das Schwerste daran
Den Kinderwunsch aufzugeben, war für Kim das Schwerste. Würde sie die Visanette absetzen, wäre es für sie aufgrund der Krankheit sehr schwer, schwanger zu werden. Wahrscheinlich müsste künstlich nachgeholfen werden. Die Symptome, die wiederkehren, wenn sie Visanette nicht mehr einnimmt, will sie nicht in Kauf nehmen.
Derzeit ist sie bei einem Osteopathen in Behandlung. Falls die täglichen Schmerzen damit nicht besser werden, überlegt Kim, sich die Gebärmutter und die Eierstöcke entfernen zu lassen. Eine mögliche „Heilung“ bei Endometriose. „Das ist für mich der letzte Ausweg. Ich schließe ihn nicht aus.“
Community
Kim Nguyen teilt ihre Erfahrungen mit Endometriose auf Instagram. Dort ist sie unter dem Namen „pandastic.kia“ unterwegs. Auf Instagram findet man unter den Hashtags #endowarriors, #endofighters oder #endosisters eine ganze Community von Betroffenen, die sich untereinander austauschen.
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