/ Trotz Parteiaustritt eines Gemeinderats rettet sich die Koalition in Betzdorf
In einem unterscheidet sich Betzdorf von anderen ländlichen Gemeinden im Großherzogtum. Es geht ihr finanziell sehr gut. Der weltweit operierende Satellitenbetreiber SES beschert von jeher sprudelnde Gewerbeeinnahmen. Finanzielle Sorgen bedrücken die Betzdorfer Politiker wenig. Dafür gestalten sich politische Koalitionen umso schwieriger.
Zur Person
Jean-François Wirtz ist von Beruf Ingenieur. Im Alter von 24 Jahren wird er im Jahr 2000 Schöffe in der damaligen Majorzgemeinde. Er bleibt es bis 2011 und zieht sich dann wegen der Geburt seines zweiten Kindes aus der Gemeindepolitik zurück. Ehrenamtlich engagiert er sich weiter in der „Elternvereinigung“, die außerschulische Aktivitäten für die Betzdorfer Kinder organisiert. 2016 wird er Mitglied der LSAP und tritt nach der Pause bei den Kommunalwahlen 2017, die zum zweiten Mal in Betzdorf im Proporzsystem stattfinden, wieder an. In jungen Jahren war er Chef der örtlichen Pfadfindersektion.
LSAP-Bürgermeister Jean-François Wirtz hat wenig erholsame Osterferien hinter sich. In der Woche vor Ostern steht der Gemeindechef ohne sichere Mehrheit im Gemeinderat da und möglicherweise selbst zur Disposition. Spekulationen über eventuelle Neuwahlen machen die Runde und Wirtz übt sich im Urlaub im „Farbenspiel“. „Grün-Blau und ein Parteiloser, Grün-Blau-Schwarz, Rot-Schwarz-Blau, Rot-Grün, da war vieles möglich“, sagt er, „das schwirrt einem dann im Kopf herum.“
„Ich stehe zu dem Abkommen“
Und dann gibt es kurz vor Ostern noch ein wichtiges Telefonat. Der vor Kurzem aus der Partei ausgetretene Ex-CSV-Gemeinderat Christopher Lilyblad (30) meldet sich. Von dessen Parteiaustritt sei er „kalt erwischt“ worden, sagt Wirtz, der inzwischen Gespräche mit den DP-Räten aufgenommen hat. „Zu schnell“, kommentiert Wirtz selbstkritisch dieses Vorgehen. Am Tag nach Ostern beendet eine schmallippige Pressemitteilung der Gemeinde das Rätselraten. Man mache weiter, heißt es darin. Unterzeichnet haben das alle LSAP- und CSV-Räte sowie Christopher Lilyblad. Bürgermeister Wirtz zeigt sich erleichtert.
Mit jedem anderen Koalitionspartner hätte man bei „Null“ anfangen müssen. „Ich hatte nicht die Absicht, mit meiner Entscheidung die Mehrheit in Betzdorf zu gefährden“, sagt Lilyblad, „ich stehe zu dem Abkommen.“ Darin ist der 30-Jährige als „Nachrücker“ in der Mitte der Mandatsperiode für Reinhold Dahlem (LSAP) vorgesehen. Dabei soll es laut Lilyblad bleiben. „Das steht dort so“, sagt er. Er wird dies als „Parteiloser“ tun, denn mittlerweile tritt er auf der Liste der paneuropäischen Partei „Volt“ für die Europawahlen an.
Austritt aus Protest
Ende gut, alles gut? So wie es jetzt aussieht, ist es das. Politische Koalitionen sind offensichtlich keine Kür in Betzdorf. Die aktuelle LSAP-CSV-Zusammenarbeit ist bereits der zweite Versuch, nach dem Wahlergebnis von 2017 eine Mehrheit im elfköpfigen Gemeinderat zu etablieren. Der Wahlsieger gemessen an den Einzelstimmen heißt Jean-François Wirtz, aber LSAP, „déi gréng“ und CSV haben alle rechnerisch drei Sitze im elfköpfigen Gemeinderat. Noch am Wahlabend unterzeichnen LSAP und „déi gréng“ ein Koalitionsabkommen. „Zu überstürzt“, sagt Wirtz heute. Im Rückblick zeigt er sich „menschlich“ enttäuscht über den Umgang der Grünen mit den LSAP-Kollegen.
„Die Vereinbarung platzt. Mit der CSV kommt es schlussendlich zur Einigung. Beide unterschreiben. Wirtz spricht von „spürbarer“ Aufbruchsstimmung unter den beiden vormaligen Oppositionsparteien im Gemeinderat. Ein Jahr hält sie an, dann kommt der nächste Schlag. Ende März 2019 gibt Gemeinderat und CSV-Mitglied Christopher Lilyblad aus Protest seine Parteikarte zurück. Er wird von seiner Partei nicht für die Liste zur Europawahl nominiert und zieht Konsequenzen. Die Mehrheit in Betzdorf ist gefährdet. Dabei haben Wirtz und die Schöffen gerade genug damit zu tun, Wahlversprechen einzulösen. Die LSAP-Betzdorf ist laut Bürgermeister mit dem Versprechen in die Wahl gezogen, bezahlbaren Wohnraum in der Gemeinde zu schaffen.
Stressreaktionen sind nie gut
Drei Projekte sind in Planung, der Rat wird sie noch verabschieden müssen. Im Ortsteil Berg entsteht auf gemeindeeigenem Gelände eine „Cité“ mit 25 Einheiten in Zusammenarbeit mit der „Société nationale des habitations à bon marché“ (SNHBM). Lilyblad spricht davon, dass diese „Öko-Cité“ Null-Emissionen haben soll und sich von anderen unterscheidet. „Wir wollen diese Wohnanlage mit Baustoffen aus der Region verwirklichen, die komplett recycelbar sind, wenn sie irgendwann weichen muss“, sagt er.
Der nachhaltige und gleichzeitig soziale Charakter sei ihm „sehr wichtig“. Das zweite Projekt ist auf dem Gelände der ehemaligen Primärschule in Betzdorf in der Planungsphase. Das Mehrgenerationen-Wohnen soll in „Logement subventionné“-Form entstehen mit einem Hausmeister, der nach dem Rechten sieht. In Roodt-Syr soll es mit dem Wohnungsbau weitergehen. Das Projekt steckt aber noch in der Entwicklungsphase.
Nach der ganzen Aufregung werden diese Projekte nun unter der gewohnten politischen Koalition weitergehen. Eine Lehre hat der Bürgermeister aus allem gezogen: „Stressreaktionen sind nie gut.“
Zur Gemeinde
Die Gemeinde Betzdorf besteht aus fünf Dörfern und hat mittlerweile knapp über 4.000 Einwohner. Sie wächst durchschnittlich um 2,8 Prozent Einwohner pro Jahr. Die SES trägt maßgeblich zu den Gewerbesteuereinnahmen bei, die der Gemeinde eine komfortable Finanzsituation bescheren. Seit der Reform der Gemeindefinanzen 2017 sind die Einnahmen zwar „gedeckelt“, was Betzdorf aber in den Augen des Rathauschefs mehr Sicherheit bringt. „Wir waren als Gemeinde sehr von den Einnahmen einer einzigen Firma abhängig“, sagt er, „jetzt haben wir mehr Planungssicherheit.“ Laut neuem „Plan d’aménagement général“ (PAG) hat die Gemeinde Potenzial für 2.200 zusätzliche Einwohner.
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