Editorial / Trotz Vorbildfunktion ausgegrenzt: Warum Luxemburgs Zivilgesellschaft nicht wegschauen darf
Die Ausschreitungen in Frankreich beherrschen derzeit die Schlagzeilen. Dabei ist der Ursprung der Krawalle – der Tod des 17-jährigen Nahel – längst in den Hintergrund gerückt.
Schulen werden abgefackelt, Ratshäuser zerstört, ganze Städte nachts quasi lahmgelegt: Die Bilder, die uns derzeit aus Frankreich erreichen, sind geprägt von Wut, Angst, Verzweiflung – und der bitteren Erkenntnis, dass viele der Protagonisten auf den Videos der Realität in den „Banlieues“ nie wirklich entfliehen werden können. Als würden nicht gerade ihre Innenstädte brennen, streitet die französische Politik über die moralische Deutungshoheit der Geschehnisse. Die Erklärungsversuche reichen von einem Extrem zum anderen: Ein Pulverfass, das irgendwann explodieren musste und demnach auch die Art und Weise der Krawalle rechtfertigt – oder doch nur Jugendliche, denen die „guten französischen“ Manieren fehlen? Mit „zwei Backpfeifen und ab ins Bett“, wie der Präfekt des französischen Departements Hérault, Hugues Moutouh, meinte, dürfte den systemisch verankerten Problemen der Ghettoisierung (Rassismus, generationenübergreifende wirtschaftliche und soziale Perspektivlosigkeit und Integration) kaum beizukommen sein.
Dennoch versuchen vor allem rechtsextreme Populisten, die Gunst der Stunde auszunutzen, um ihre hasserfüllten und rassistisch triefenden Parolen an Mann und Frau zu bringen. Ein Gedankengut, das sich aber immer mehr auch in Luxemburg auszubreiten droht, wie zwei rezente – wenn auch vergleichsweise harmlose – Vorfälle auf den Luxemburger asozialen Medien zeigen.
So hat ein Video der Escher muslimischen Gemeinschaft, die gemeinsam zum Opferfest auf einem Trainingsfeld der Escher Jeunesse beteten, für einiges an Aufmerksamkeit gesorgt. Kommentare der Luxemburger Wutbürger-Kaste blieben natürlich nicht aus. Es könne doch nicht sein, dass im öffentlichen Raum islamische Gebete angestimmt würden. Und der Klassiker: Warum machen sie das nicht bei sich oder in einer Moschee? Erstens: Die Moschee war aufgrund des großen Andrangs zu klein. Zweitens: Das Trainingsgelände ist kein öffentlich zugänglicher Raum und es obliegt der Gemeinde, wer wann Zutritt erhält. Mal ganz davon abgesehen, dass des Luxemburgers heiligstes Gut – der Fußball – in keinster Weise beeinträchtigt wurde.
Die Gemüter in Esch waren noch nicht abgekühlt, da wagte es die frisch gewählte Gemeinderätin in Luxemburg-Stadt Antonia Afonso Bagine doch tatsächlich zu fordern, die Politik müsse auch auf die Nicht-Luxemburger hören. Cue the Shitstorm! In einem Land, in dem fast die Hälfte der Einwohner keinen Luxemburger Pass besitzt, ist die Forderung wahrlich nicht aus der Luft gegriffen. Hätte Luxemburgs Wutbürger aber mehr als nur den Titel des Artikels beim Radio 100,7 gelesen, wüsste er, dass sich Antonia Afonso Bagine vor allem für das Lohngefälle und die Logement-Problematik einsetzen will. Probleme, die auch die Menschen mit einem Löwen auf dem Pass betreffen. Und um die ganzen „Lezeboia“-Hardliner zu besänftigen: Luxemburgischkurse belegt die Drittgewählte der LSAP-Liste auch.
Eines der größten Probleme, die Luxemburg in Zukunft zu bewältigen hat, ist das steigende Demokratiedefizit. Verschiedene Kommentare zeigen immer wieder: Anstelle sich konstruktiv an der öffentlichen Debatte zu beteiligen, werden (Rechts-)Populisten immer wieder versuchen, das „wahre Volk“ von „Außenstehenden“ abzugrenzen – selbst dann, wenn die „Außenstehenden“ Paradebeispiele für gelebte Integration sind. Sie sind die Aushängeschilder, zu denen Jugendliche verschiedener Ethnien und Religionen aufblicken, wenn „Stacklëtzebuerger“ diese nicht erreichen (können). Und es sind sie, die einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, dass es in Luxemburg nicht zu Bildern kommt, wie sie derzeit aus Frankreich übertragen werden.
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Momentan sehe ich allerdings ein großes Problem auf uns zukommen, was die neusten Entwickelungen angehen. Einer unserer stärksten Punkte der Integration war es immer, dass wir stark gemischte Klassen mit Kinder aus vielen unterschiedlichen Kulturen hatten. Natürlich gab es dort schon immer einige Probleme, jedoch konnte sich jedes Kind nach dem absolvieren der Schule als „richtiger Letzeboia“ fühlen, und wurde auch so akzeptiert. Sie hatten von kleinem an kontakt mit anderen „Letzeboia“ und konnten die Vorteile mehrerer Kulturen geniessen. Allerdings mussten sie hierfür auch einige schulische Hürden auf sich nehmen. Diese Hürden wurden nun entfernt (European Schools), sodass sie unter sich bleiben können und lediglichen Kontakt mit anderen Kulturen vermeiden können. Diese Generation wird sich hier im Land nicht mehr so gut integrieren können oder müssen als vorherige, welche den sozialen Zusammenhalt des Landes nur weiter gefärdet und Situationen wie jenen in Frankreich auch hier im Land erst denkbar macht!
„fast die Hälfte der Einwohner keinen Luxemburger Pass besitzt“, ja stimmt aber 90% sind Europäer. es ist ein unterschied, man schaue in unsere nachbachländer, ob man 120.000 Portugiesen, oder 120.000 wie soll ich sagen „kulturfremde“ Einwohner „sein eigen nennt“. das müsste sogar unser Jang national verstehen. wenn man selbst nix auf die reihe bekommt, ist es immer der Kapitalismus, Rassismus und die böse, böse Gesellschaft. zur info die Gesellschaft schuldet dem einzelnem gar nichts.