/ Trübe Aussichten: Der Wasserschutz in Luxemburg bleibt eine Herkules-Aufgabe
Umweltverbände wie „natur&ëmwelt“ schlagen Alarm: Nur 3 Prozent aller luxemburgischen Gewässer sind in gutem Zustand. Das wirft Fragen nach den Gründen auf – vor allem weil die Brüsseler EU-Direktive zum Gewässerschutz 2027 ausläuft und Sanktionen vorsieht. Es steht zu befürchten, dass die geltende Gesetzgebung aufgeweicht wird.
Sätze wie diese wirken wie ein Schlag in den Nacken. „Kein Land in Europa hat die Ziele der Direktive zum Schutz der Gewässer erreicht.“ Das sagt Laure Cales von „natur&ëmwelt“ (Foto). Die 28-jährige Soziologin ist verantwortlich für politische Arbeit und Kampagnen bei dem Umweltschutzverband. Die Bilanz für Luxemburg ist noch ernüchternder. „Nur 3 Prozent aller Gewässer in Luxemburg sind in gutem Zustand.“ Stand aktuell. Ungenießbares Trinkwasser will jedoch niemand, wenn er den Hahn aufdreht.
2015 lief die erste Deadline für sauberes Wasser in Europa aus. Umweltschutzverbände befürchten, dass auch die zweite Deadline bis 2027 nicht eingehalten wird. Sie hegen Befürchtungen. Entweder werden die Bewertungskriterien entschärft oder aber die letzte Deadline 2027 mit einer Verlängerung aufgeweicht. „Die Messlatte nach unten zu legen, wäre eine Katastrophe“, sagt Jean-Paul Lickes, Direktor der „Administration de gestion de l’eau“, „das darf auf keinen Fall passieren.“ Er vertritt Luxemburg als „Water Director“ in Brüssel. 50 Prozent des Trinkwassers im Land kommen aus Quellen und Bohrungen zum Grundwasser. Die andere Hälfte steuert der Stausee im Norden bei.
Cales nennt drei Ursachen für den Umstand, dass Luxemburg schlecht abschneidet: Die hohe Belastung des Wassers durch Schadstoffe wie Pestizide, die Veränderung des natürlichen Laufs von Flüssen und Bächen durch Kanalisierung in den letzten 200 Jahren sowie die unzureichende Reinigung des Abwassers durch Kläranlagen, die der Bevölkerungszunahme nicht mehr gerecht werden.
Das bestätigt Wasserexperte Lickes (Foto) und fügt noch eine vierte Besonderheit hinzu. „Luxemburg liegt an der Wasserscheide von Meuse- und Rheinbecken, weshalb es in Luxemburg zwar viele Quellen, aber außer der Mosel nur kleinere Flüsse und Bäche gibt.“ Die vorhandene Menge an Wasser ist eines der Kriterien dafür, den Zustand des Wassers zu beurteilen. Und: „Wenn in einen Fluss wie dem Rhein geklärtes Abwasser geleitet wird, kommen bei der Wassermenge andere Messwerte zustande als an kleineren Flüssen wie der Alzette“, sagt Lickes. Das ist aber nicht alles.
Funktionswäsche und Medikamente
Die EU-Wasserrahmenrichtlinie wurde 2000 verabschiedet und 2008 in nationales Recht umgesetzt. Seitdem sind neue Substanzen aufgetaucht. Einer dieser neuen Stoffe stammt von Funktionswäsche, die beispielsweise Skifahrer tragen. Wird sie gewaschen, gelangen perfluorierte Tenside ins Abwasser. „Das hat 2000 keine Rolle gespielt, ist aber heute bei der biologischen Bilanz brisant“, sagt Lickes. „Viele Kläranlagen filtern sie nicht heraus.“
Das gilt auch für Medikamente wie das Schmerzmittel Voltaren, die den Wasserexperten Kopfzerbrechen bereiten. Mit der Aufhebung der Verschreibungspflicht gelangt das darin enthaltende Diclofenac beim Duschen vermehrt ins Abwasser, wird vielfach nicht herausgefiltert und gelangt über die Kanalisation in Oberflächen- und Grundwasser.
Die „Hausaufgaben“: drei Herausforderungen
Der Wirkstoff verändert die Stabilität der Eierschalen der Tiere, die in dem Gewässer leben, was sich ebenfalls negativ auf die Bewertung des Wasserzustandes auswirkt. Das Gleiche gilt für die in Verhütungsmitteln enthaltenen Hormone, die über den Toilettenabfluss via Kläranlage in Gewässer gelangen. „Das beeinträchtigt die Spermienqualität männlicher Fische“, erklärt Lickes. „2027 werden die Ziele nicht erreicht“, sagt Lickes, „da brauchen wir uns nichts vorzumachen.“ Eine der großen Aufgaben wird die Aufrüstung der Kläranlagen werden.
„Wir brauchen eine weitere Filterstufe, um den Medikamenten und Mikroplastikpartikeln Herr zu werden“, sagt der Wasserexperte, „vor allem bei großen Verursachern.“ Deshalb sind Mitarbeiter seiner Abteilung an den Planungen für das neue „Südspidol“ und beim Neubau des „Centre hospitalier de Luxembourg“ beteiligt. „Wir brauchen auch ein gut ausgebautes Kanalnetz sowie die kluge Nutzung von Regenwasser“, sagt Lickes, der in diesem Punkt zuversichtlich ist. 100 Millionen Euro pro Jahr, die über den staatlichen Wasserfonds investiert werden, stimmen positiv.
Die zweite große Aufgabe sind Renaturierungen. „Wir brauchen Platz, um die Flüsse wieder an ihren angestammten, natürlichen Platz zu leiten“, sagt Lickes. Das verbessert die ökologische und biologische Bilanz. Das bedeutet den Ankauf von Boden in einem Land, wo dieses Gut teuer ist und wo laut Lickes „viele nicht verkaufen wollen“. Die dritte große Aufgabe wird sein, die Schadstoffe der konventionellen Landwirtschaft zu begrenzen. 20 Prozent Biolandwirtschaft bis 2025, wie sie der neue Koalitionsvertrag vorsieht, sind ein Anfang. Auch die unter der ersten „Gambia“-Koalition ausgeweiteten Wasserschutzzonen von einer auf 22 sind ein zweiter wichtiger Schritt. 21 weitere Schutzzonen sind in der Bewilligungsphase und acht weitere werden laut Umweltministerium im Frühjahr auf den Instanzenweg geschickt.
Und was passiert in Brüssel? „Wir sind gerade dabei zu überlegen, wie wir den Wasserschutz in Europa hochhalten können“, sagt Lickes. Die EU-Direktive droht den Sündern mit Klage vor dem Europäischen Gerichtshof, wenn die Ziele bis 2027 nicht erreicht sind.
Deshalb kursiert in Brüssel ein Arbeitspapier der europäischen Wasserexperten, das nicht nur auf die aktuellen Probleme aufmerksam macht. Die Fachleute schlagen darin auch einen weiteren Aktionsplan zum Gewässerschutz über 2027 hinaus vor. „Die Ziele sollen hoch gesteckt bleiben, aber die Mitgliedstaaten und die Ökosysteme brauchen mehr Zeit“, sagt Lickes. Kommt das nicht, werden einige Länder angesichts der drohenden Klage versuchen, die Kriterien für die Beurteilung zu senken. Dann hätten die Umweltschutzverbände recht behalten mit ihren Befürchtungen. Mit dieser Zwickmühle wird sich die nächste Brüsseler Kommission nach den Europawahlen in diesem Jahr beschäftigen müssen.
Der EU-weite „Fitness-Check“
Die Wasserrahmenrichtlinie (2000/60/EG) aus dem Jahr 2000 will europaweit Flüsse und Bäche zu unbedenklichen Lebensräumen für Flora, Fauna und den Menschen machen. Für die einen als Lebensraum und um die Qualität des Wassers zu sichern, für den Mensch zur Gewinnung von Trinkwasser und anderen Arten der Wassernutzung.
„Die Wasserrahmenrichtlinie sieht vor, dass bis Ende 2019 überprüft wird, ob die Richtlinie im Hinblick auf ihre Ziele ihren Zweck erfüllt“, heißt es bei ec.europa.eu. „Ziel dieser Konsultation ist es, Informationen und Ansichten von Interessengruppen über die unter diese Eignungsprüfung fallenden Politikmaßnahmen einzuholen“, heißt es dort weiter und gilt für Bürger wie Fachleute.
Noch bis zum 4. März läuft die Befragung auf der erwähnten Webseite. Fragen sind u.a.: Glauben Sie, dass Wasser derzeit nachhaltig bewirtschaftet und genutzt wird? Oder: Glauben Sie, dass sich die Qualität des Oberflächen- und Grundwassers in Ihrem Land oder Ihrer Region seit der Einführung der Wasserrahmenrichtlinie verbessert hat? Und: Was sind die größten Herausforderungen für die Wasserwirtschaft in Ihrem Land oder Ihrer Region?
Unter www.naturemwelt.lu/livingrivers können sich Interessierte beteiligen. Umweltverbände wünschen sich eine rege Teilnahme. „natur&ëmwelt“ will allein in Luxemburg 1.000 Unterschriften sammeln.
EXTRA I:
Die Kriterien für den Zustand
Die biologischen, ökologischen und mengenmäßigen Kriterien, nach denen der Zustand des Wassers beurteilt wird, folgen dem Prinzip „one out, all out“. Das heißt, wenn nur eines der Kriterien nicht mit „gut“ bewertet wird, fällt das Gesamtergebnis automatisch „schlecht“ aus. Wenn der mengenmäßige, der chemische und der Fischindex „gut“ ausfällt, aber der „Kieselalgenindex“ als „schlecht“ bewertet wird, steht im Endergebnis ein „schlecht“. In Luxemburg gibt es vor allem im Norden ein Problem mit dem Zustand der Pflanzenvielfalt, im Süden ist es der „Kieselalgenindex“. Als Ursachen fungieren wahrscheinlich chronische Pestizidbelastungen im Norden und chronische Belastungen mit sogenannten „PAKs“, polyzyklischen Kohlenwasserstoffen, wie sie in historisch-industriereichen Gegenden anzutreffen sind. Dazu gehört der Süden Luxemburgs. „Als ,gut‘ bewertete Gewässer finden sich nur noch in Gegenden Europas, wo fast keiner lebt“, sagt Lickes, „dementsprechend weit unten rangieren die dicht besiedelten Benelux-Länder.“ Das gilt auch für bevölkerungsreiche Bundesländer wie Nordrhein-Westfalen. Finnland oder Teile Rumäniens, die nicht oder nur schwach besiedelt sind, schneiden dagegen weitaus besser ab, wie aus dem letzten Statusbericht der „European Environment Agency“ (EEA) von 2018 hervorgeht.
EXTRA II:
Kanalisierung
Als „erheblich in ihrem Wasserlauf verändert“ gelten folgende Flüsse und Bäche: Mosel, Alzette in Esch/Alzette und Luxembourg-Stadt, Düdelingerbach, Sauer am Lac de la Haute-Sûre, Our am Lac du Barrage, Pétrusse und Chiers. 700 Renaturierungsprojekte stehen laut der „Administration de gestion de l’eau“ in Luxemburg an. 2018 wurden 20 Revitalisierungen, das sind kleinere Renaturierungen, durchgeführt, heißt es aus der gleichen Quelle.
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Mit stinkenden Kläranlagen ist leider kein Staat zu machen. Langsam werden auch hier südafrikanische Verhältnisse geschaffen. Hoffentlich werden die Rosporter nicht an die Schweizer verkaufen, 🙁
Das wird jetzt einfacher wenn erst die Yoghurtfabrik in Bettembourg ist und Googles Datacenter in Bissen.
Die sorgen für Frischwasser.