Märkte / Ukraine-Angriff löst Börsenbeben aus – Ölpreis steigt auf über 105 Dollar
Die Börsen weltweit taumeln nach dem russischen Angriff auf die Ukraine einem ihrer schwärzesten Tage entgegen. Investoren warfen am Donnerstag panikartig Aktien aus ihren Depots.
Im Rohstoffsektor rechnen Börsianer mit einer massiven Angebotsverknappung durch Sanktionen gegen den Öl- und Erdgaslieferanten Russland, was die Preise nach oben katapultierte. Im Zuge dessen stieg der Ölpreis erstmals seit 2014 wieder über 100 Dollar je Fass, was Ängste vor einem neuen Inflationsschub schürte. „So unberechenbar die politische Eskalation und Lage ist, so greifbar sind jetzt doch die denkbaren weltwirtschaftlichen Auswirkungen“, fasste Thomas Böckelmann vom Vermögensmanagement Euroswitch zusammen.
Weltweit stieß das Vorgehen Russlands auf Fassungslosigkeit. Die EU kündigte ein neues und beispielloses Sanktionspaket an. Dax und EuroStoxx50 steuerten mit einem Minus von jeweils etwa fünf Prozent auf 13.903 und 3.793 Punkte auf den größten Tagesverlust seit etwa zwei Jahren zu. Die Terminkontrakte auf die US-Indizes rutschten um bis zu 2,9 Prozent ab. Der Luxemburger Börsenindex LuxX verbuchte ein Minus von 4,3 Prozent. In Asien rutschen die Börsen in Tokio und Shanghai um jeweils etwa zwei Prozent ab. Anleger flohen auch aus russischen Vermögenswerten: Der Moskauer Leitindex RTS brach um knapp 40 Prozent ein, der russische Rubel fiel in der Spitze auf ein Rekordtief.
„Ich glaube nicht, dass sich bereits viele Anleger mit der Kombination aus steigender Inflation, die zuletzt Anfang der 80er Jahre wirklich zu sehen war, und einer umfassenden Militäroperation in Europa, die wiederum zuletzt im Zweiten Weltkrieg stattfand, auseinandersetzen mussten“, sagte Neil Wilson, Chefmarktanalyst bei Markets.com. „Das ist ein Vertrauensverlust. Das ist für viele Leute eine Art Neuland.“
Rekord-Kurssturz an russischer Aktienbörse
US-Präsident Joe Biden gab bereits grünes Licht für Sanktionen gegen die umstrittene Gas-Pipeline Nord Stream 2 von Russland nach Deutschland. Aktien des Gasförderers Gazprom verloren knapp 40 Prozent. In hohem Bogen aus den Depots flogen auch die Papiere des deutschen Versorgers Uniper und des österreichischen Ölkonzerns OMV, die an der Finanzierung der Pipeline beteiligt sind. Uniper-Titel verbuchten einen Rekord-Kurssturz von 16,8 Prozent. OMV-Papiere brachen in Wien um 7,7 Prozent ein.
Der russische Angriff auf die Ukraine und die geplanten westlichen Sanktionen treffen einen Sektor ganz besonders: die Banken. Denn die schärfste Waffe des Westens sind Strafmaßnahmen gegen das russische Finanzsystem. Das würde aber auch die westeuropäischen Geldinstitute treffen, wie die Börsianer am Donnerstag bereits antizipierten: Der europäische Banken-Index brach um knapp acht Prozent ein, das größte Minus aller europäischen Sektor-Indizes. Der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) zufolge halten europäische Banken den Löwenanteil des Auslandsengagements mit Russland, das insgesamt auf fast 30 Milliarden Dollar veranschlagt wird. Drei Banken sind besonders betroffen: Die österreichische RBI, deren Aktien um fast 19 Prozent absackten, sowie Société Générale aus Frankreich und die italienische UniCredit, deren Aktien jeweils elf Prozent nachgaben.
Sorgen vor weiter steigender Inflation
Gleichzeitig verteuerte sich die Rohölsorte Brent aus der Nordsee um bis zu 9,2 Prozent und markierte mit 105,79 Dollar je Barrel (159 Liter) ein Siebeneinhalb-Jahres-Hoch. Der europäische Erdgas-Future steuerte mit einem Plus von gut 40 Prozent auf 118 Euro je Megawattstunde auf den größten Tagesgewinn seit zweieinhalb Jahren zu.
Das im Automobil- und Flugzeugbau eingesetzte Aluminium und das in Lebensmittel-Dosen verwendete Zinn, zu deren wichtigsten Exporteuren Russland ebenfalls gehört, kletterten auf Rekordhochs von 3.449 Dollar beziehungsweise 45.410 Dollar je Tonne. „Durch die Sanktionen wird Russland seine Rohstoffe nicht an den Westen verkaufen können oder wollen“, warnte Analyst Ricardo Evangelista vom Brokerhaus ActivTrades. „Dies wird die aktuellen Angebotsengpässe noch verschärfen.“
Aus dem gleichen Grund kletterte der europäische Weizen-Future auf ein Rekordhoch von 344 Euro je Tonne. „Die Ukraine steht für ein Viertel des weltweiten Agrarhandels“, gab Analyst Jochen Stanzl vom Online-Broker CMC Markets zu bedenken.
Da die steigenden Rohstoffpreise den Inflationsdruck verschärfen und gleichzeitig die Konjunkturaussichten verschlechtern, rätselten Börsianer über die Reaktion der Notenbanken darauf. Thomas Gitzel, Chef-Volkswirt der VP Bank, dämpfte allerdings Hoffnungen auf frische Geldspritzen, da die wirtschaftlichen Folgen des Konflikts bislang überschaubar seien. „Die Inflationsrisiken wiegen zu schwer.“
Ein Ausschluss Russlands aus dem internationalen Zahlungssystem Swift steht mehreren EU-Insidern zufolge vorerst nicht auf der Tagesordnung. Dies würde sehr weitreichende Konsequenzen haben, auch in Europa, wie eine mit den Überlegungen vertraute Person sagte. Ein weiterer EU-Diplomat sagte, es gebe keine Einigung, Swift in die jetzt im Raum stehenden Sanktionen gegen Russland einzubeziehen. Ein Swift-Ausschluss gilt als eine der schärfsten Sanktionsmaßnahmen.
Unterdessen flüchteten einige Anleger in „sichere Häfen“ wie Gold. Der Preis für die „Antikrisen-Währung“ stieg um bis zu 3,5 Prozent auf ein 18-Monats-Hoch von 1.973 Dollar je Feinunze (31,1 Gramm). Analyst Jeffrey Halley vom Brokerhaus Oanda traut dem Edelmetall einen Sprung über das bisherige Rekordhoch von 2.072,50 Dollar vom August 2020 zu.
Die Weltleitwährung war ebenfalls begehrt. Der Dollar-Index, der den Kurs zu wichtigen Währungen widerspiegelt, stand mit einem Plus von 1,1 Prozent vor dem größten Tagesgewinn seit zwei Jahren.
Die Energie im Fokus
Bei jeder Auseinandersetzung mit Russland drängt sich das Thema Energie in den Fokus der Aufmerksamkeit. Immerhin ist das flächenmäßig größte Land der Erde für den Westen Europas sowohl ein wichtiger Gas- als auch ein wichtiger Öl-Lieferant. Nach dem Angriff auf die Ukraine sind die Preise für beide Energieträger nun deutlich in die Höhe gesprungen. Der Markt preist eine mögliche massive Angebotsverknappung ein.
Doch auch wenn die Gas-Lager von Gazprom in Europa derzeit nicht so gut gefüllt sind wie in normalen Jahren, so gibt es derzeit kaum Sorgen um die Versorgungssicherheit. Die Gasversorgung der Europäischen Union ist nach Einschätzung der EU-Kommission trotz des Konflikts mit Russland sicher. „Wir haben wochenlang daran gearbeitet, auf das Schlimmste vorbereitet zu sein“, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Donnerstag in Brüssel. Mitgeholfen hat ein milder Winter, in dem wenig Gas zum Heizen benötigt wurde. Zudem haben einige Länder angeboten, ihre Lieferungen erhöhen zu können.
Agenturmeldungen zufolge gibt es derzeit zudem keinen Rückgang bei den Gaslieferungen aus Russland zu verzeichnen. „Alle vertraglich vereinbarten Mengen werden geliefert“, sagte beispielsweise ein Firmensprecher des Energiekonzerns OMV gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. Auch der russische Gaskonzern Gazprom hält, nach eigenen Angaben, seine Gasexporte durch die Ukraine nach Europa aufrecht. Die Liefervereinbarungen würden erfüllt.
Luxemburg ist derweil etwas weniger abhängig von russischem Gas als andere europäische Länder. Nur etwa 14 Prozent vom hierzulande verbrauchten Gas stammen aus Russland. Das in Luxemburg verbrauchte Gas stammte zum Großteil (42 Prozent) aus Norwegen und aus den Niederlanden (31 Prozent). Bei etwa 13 Prozent handelt es sich um Flüssiggas (LNG).
Was den hierzulande verbrauchten Strom anbelangt, so betrug der Anteil der fossilen Energie 2020 hierzulande nur noch rund 31 Prozent. Gas steht für 7,3 Prozentpunkte. Erneuerbare jedoch stehen für satte 59 Prozent. Für fast 47 Prozentpunkte davon steht die (mehrheitlich importierte) Energie aus Wasserkraft.
In Deutschland, wo etwa 55 Prozent des importierten Erdgases aus Russland kommen, macht man sich für den laufenden Winter nur wenig Gedanken. „Die Energieversorgung in Deutschland ist gesichert“, sagt Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck. Dies gelte auch für den Fall eines kompletten Stopps der russischen Gaslieferungen. Man stellt sich jedoch Fragen zu dem kommenden Winter. Dabei gilt es zu bemerken, dass das russische Gas selbst während des Höhepunkts des Kalten Krieges immer nach Europa geflossen ist.
Die höheren Preise für Energie auf den Weltmärkten dürften derweil nicht ohne Folgen für die Verbraucher bleiben. Die Preissteigerungsrate, die zuletzt immer neue Rekordhöhen erreichte, dürften mit dieser Entwicklung noch weiter angetrieben werden. Europa sieht sich mit einer Rekord-Inflationsrate von 5,1 Prozent konfrontiert. Haupttreiber der Inflation sind die stark gestiegenen Preise für Energie, die nun im Zuge des russischen Angriffs auf die Ukraine noch weiter angeheizt werden.
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