Editorial / Umstrittener Wählerwille: Heuchlerischer Umgang mit dem Resultat der Gemeindewahlen
Knapp eine Woche ist es her, dass die Luxemburger Einwohner zum ersten Mal in diesem Jahr zur Urne schreiten mussten. Für Politiker und Journalisten wurde es ein langer Tag, doch ab dem späten Nachmittag trudelte ein Ergebnis nach dem anderen ein. Nach und nach wurde klar, wem die Wähler ihre Gunst geschenkt hatten, wer mehr oder minder böse Enttäuschungen einstecken musste und wer zu den Wahlgewinnern zählen durfte.
Doch was nicht gleich überall klar war: Wer hat in der Gemeinde künftig das Sagen? Erreicht eine Partei, wie zum Beispiel die LSAP in Rümelingen, eine absolute Mehrheit, dann muss eigentlich nur ausgehandelt werden, wer denn nun im Schöffenrat das Heft in der Hand hat. In der Regel hat der Meistgewählte dann beste Chancen auf den Bürgermeisterposten. Doch es ist „keng Mussesaach“. Theoretisch kann jeder aus der Mehrheitspartei in den Schöffenrat gewählt werden.
Liegt niemand über der 50-Prozent-Grenze, dann darf in Luxemburg eigentlich jeder mit jedem, bis eine Koalition die Mehrheit im Gemeinderat stellen kann. Was das derzeitige Koalitionsfieber erklärt. Denn einfach so, ohne Regeln und Abmachungen, miteinander ins Bett zu springen, ist für die Parteien schlichtweg nicht drin. Es soll ja schließlich eine stabile Partnerschaft werden und kein One-Night-Stand.
Dabei finden sich einige Parteien natürlich weitaus attraktiver als andere: Gute Kommunikation sowie übereinstimmende Werte und Pläne können eine Zweckpartnerschaft so richtig beleben. Während in manchen Gemeinden die Koalitionsparteien quasi in einer Dauerehe sind, können andere Lokalsektionen es gar nicht erwarten, mal neue Optionen auszuloten. Und für wieder andere gilt der Spruch: Auf keinen Fall zurück zum Ex!
Egal, wer am Ende mit wem welche politischen Stellungen ausprobieren wird: Beim politischen Speed-Dating nach den Wahlen hat theoretisch jeder die gleichen Chancen (wenn auch nicht gleich große Argumente). Ein formelles Anrecht, den Schöffenrat zu stellen, gibt es aber nicht! Auch nicht für die meistgewählte Partei. Da kann man den berühmten Wählerwillen noch so oft bemühen. Ein solcher Anspruch ist weder im Wahlrecht angesiedelt, noch gibt es – auf nationaler Ebene – eine Tradition, dass automatisch die mehrheitlich gewählte Partei den Regierungsauftrag bekommt. Das wissen unsere Politiker nur allzu gut.
Es ist natürlich frustrierend, wenn man aus dem schon sicher geglaubten Machtbett herausbefördert wird und stattdessen von der harten Oppositionsbank aus zusehen muss, wie die Koalitionsparteien glücklich durch die nächsten sechs Jahre segeln. Das musste die CSV 2013 und 2018 bei den Nationalwahlen erfahren, als sich DP, LSAP und Grüne ineinander verliebten. Das gilt aber auch für die LSAP in Esch und Bettemburg bei den Gemeindewahlen 2023. Sich darüber zu ärgern und mit den Zähnen zu knirschen, ist normal, insbesondere, wenn die Koalitionsparteien einen nicht mal zum Schein zu einem Date eingeladen haben.
Doch den eigenen Sympathisanten die Mär von einer gestohlenen Wahl zu erzählen, ist brandgefährlich. Wozu das, in seiner extremsten Form, führen kann, sieht man in den USA. Die politischen Gräben werden immer tiefer, wenn man den koalierenden Parteien vorwirft, illegitim gegen den „Willen der Wähler“ zu handeln. Denn damit meint man am Ende nur „seine“ Wähler, nicht die der anderen Parteien.
Viel überzeugender – und vielleicht auch attraktiver – ist es, die eingegangenen Partnerschaften zu akzeptieren und in den kommenden sechs Jahren zu zeigen, wieso man eigentlich der viel bessere Partner gewesen wäre. Vielleicht führt das sogar dazu, dass man am Ende, wie die LSAP in Rümelingen, das Gemeindebett ganz für sich alleine hat.
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Der Wählerwille ist immer zu respektieren, sei es in einer Proporzgemeinde oder in einer Majorzgemeinde. Sonst muss man sich die Frage stellen: Weshalb geht man wählen?
@jung.luc.lux : Was ist „DER“ Wählerwille?