„MammOmmaM“ / (Un-)gehört und unerhört: Theater-Performance erzählt Geschichten über das Muttersein
Was ist eine Mutter? Und wie hat eine Mutter zu sein? Warum diese Fragen so viele Assoziationen wecken, befriedigende Antworten aber zugleich schwer zu finden sind, versucht die Theater-Performance „MammOmmaM“ zu ergründen. Das Stück erscheint als narrativer Patchwork-Teppich, der aus den persönlichen Erfahrungen der Mitwirkenden gestrickt wurde. Er ist bunt und vielfältig, jedoch weist er auch einige Lücken auf.
Mutterschaft. So heißt der Begriff, der die mütterliche Existenz, das Mutter-Sein bezeichnet. Doch was mag er bedeuten? Auf diese Frage gibt es eine ganze Reihe von Antworten. Die meisten davon sind emotional aufgeladen – und hochgradig normiert. Die Mutterrolle ist auf kulturelle Gegebenheiten zugeschnitten: Frauen, die Kinder gebären und/oder erziehen, haben es bis zum heutigen Tage schwer, aus dem überlangen Schatten, den Kirche, Staat und Gesellschaft auf sie werfen, hinauszutreten. Wahrscheinlich können sie es gar nicht. Und doch hat sich in den vergangenen 70 Jahren einiges getan – oder nicht?
Diese Frage umkreist das Theaterstück „MammOmmaM“. Allein mit der Wahl des Aufführungsortes werden die Türen zum Assoziationsraum, in den sich das Werk einordnet, wie mit einer Brechstange aufgestoßen. Immerhin fand die Inszenierung in der Sankt-Donatus-Kirche in Grevels statt: einem Ort, in dessen DNA das kulturelle und spirituelle Erbe, mit dem sich Frauen wie Männer nach wie vor auseinandersetzen müssen, eingeschrieben ist. Als Galionsfigur für das weibliche Ideal im Christentum blickt die Heilige Jungfrau Maria mit Holzaugen auf die Darstellerinnen und das Publikum hinab. Die Statue erinnert unweigerlich an die Unerreichbarkeit, an die schier unvorstellbare Monumentalität dessen, was eine Frau nach patriarchalen Maßstäben zu sein hat: unbefleckt, rein, liebevoll, selbstlos. Mit diesen normativen Vorstellungen spielt das Stück durchgehend.
Eine Zusammensetzung aus Geschichten
„MammOmmaM“ ist eine Produktion des Künstlerkollektivs „MASKéNADA“. Der Text stammt aus der Feder von Claudine Muno, Regie führt Tammy Reichling. Für die Kostüme und das Bühnenbild ist Sophie Meyer verantwortlich, als Darstellerinnen hauchen Mady Durrer, Fabienne Elaine Hollwege, Rahel Jankowski, Piera Jovic, Lou Krier und Catherine Richard den Dialogen Leben ein. Als biografisches Stück basiert „MammOmamM“ auf den persönlichen Erfahrungen der Schauspielerinnen und Beteiligten. Laut Claudine Muno habe man bei den Vorarbeiten versucht, wiederkehrende Themen herauszufiltern und sie in die Performance zu integrieren.
Durch die Verknüpfung dieser subjektiv und kollektiv erlebten Leitmotive möchte das Stück einen diskursiven Flickenteppich aus (un-)gehörten und unerhörten Geschichten knüpfen. (Un-)gehört deswegen, weil sowohl gesellschaftlich verbürgte als auch unterdrückte Sichtweisen auf Mutterschaft und Mütterlichkeit Eingang in die Performance finden sollen. Die unerhörte Dimension des Stücks betrifft jene Aspekte der Frauen- und Mutterexistenz, mit denen sich die Gesellschaft nach wie vor schwertut – zum Beispiel ihre Körperlichkeit, die sich bei physischen Vorgängen wie der Menstruation, der Geburt, dem Stillen und natürlich auch Sex ausdrückt.
Das Collagenhafte an dem Stück, für dessen Textgrundlage sich Muno an einem durchmischten Korpus verschiedener Lebensgeschichten inspirierte, schlägt sich auch im Bühnendekor nieder. Vor dem Altar aufgerichtet ist ein riesiges Baldachin aus semi-transparentem Stoff, auf dem (erst beim zweiten Blick erkennbar) ein Mosaik aus Sepia-Fotos abgedruckt ist. Wie den Zuschauern nach der Vorstellung mitgeteilt wird, handelt es sich bei den Bildern um private Familienaufnahmen der Mitwirkenden. Dass sich Performerin Piera Jovic diesen Vorhang während einer intensiven Tanzeinlage als Kleid überzieht und sich damit dicht über dem Boden fortbewegt, machte deutlich, wie sich die individuellen Erlebnisse mit dem Allgemeinen verbinden; wie jede und jeder den durch Erziehungsmethoden und Verhaltensmustern tradierten Lebenswandel vergangener Generationen als assoziatives Puzzle in sich mit- und weiterträgt – leider oftmals als Bürde.
Das Kind als Gegenstück der Mutter
Das Stück behandelt auch die komplementäre Seite zur Mutterschaft: das Tochter-Sein, für das es bezeichnenderweise keinen entsprechenden Begriff gibt. Die Gegensätzlichkeit und das Aufeinander-Bezogensein der beiden Pole der menschlichen Fortpflanzung, Elternteil und Kind, leistet die Inszenierung durch zahlreiche Mutter-Tochter-Gespräche Rechenschaft. Wie ambivalent ihr Miteinander sein kann, unterstreicht eine choreografische Darbietung von Piera Jovic und Rahel Jankowski: Ihre Tanzpartnerin umfasst Jovic eng, während beide Frauen Flugbewegungen machen.
Dabei erreichen sie immer wieder eine Synchronizität, die zerfällt, sobald sich Jankowski aus der erdrückend wirkenden Umarmung von Jovic befreien möchte. Dem schmerzhaften Prozess des Flügge-Werdens, der mit dem Aushandeln neuer Grenzen einhergeht, wird damit Ausdruck verliehen. Letztlich trägt auch der große Altersunterschied zwischen den Schauspielerinnen – Lou Krier ist 2011 und Mady Durrer 1950 geboren – dazu bei, dass dem Publikum bewusst wird, welche Lebensphasen eine Frau durchläuft und wie sie, zumindest potenziell, von einer Tochter zur Mutter wird – und dabei doch immer das Kind einer anderen Frau bleibt.
Die toten Winkel im Diskurs
„MammOmmaM“ versucht, ein ganzes Spektrum an Stimmen mit einzubinden und so ein differenziertes Bild vom Typus „Mama“, hinter dem sich immer auch eine einzigartige Person verbirgt, zu zeichnen. Dass sie dabei auf die Lebenserfahrungen der Mitwirkenden zurückgreift, ist Garant für Vielfältigkeit. Letztlich kann diese Vorgehensweise aber auch, je nach Zusammenstellung der Gruppe, blinde Flecken erzeugen und dazu führen, dass verschiedene Diskussionen über Mutterschaft nach wie vor nur am Rande geführt werden.
Denn auch wenn mit dem Erscheinen der Studie „Regretting motherhood“ von Orna Donath im Jahr 2015 die Problematik bereuender Mütter ihr diskursives Debüt in der Öffentlichkeit gefeiert hat, lässt das Thema nach wie vor eine allgemeine Salonfähigkeit vermissen. In „MammOmmaM“ wurde zwar punktuell auf diese und andere Schattenseiten des Mutterseins aufmerksam gemacht, jedoch beugt sich der Text größtenteils dem Mythos der Superhelden-Mutter, die durchweg präsent, stark und belastbar ist. Dass damit unwillentlich Stereotype zementiert werden und andere Geschichten weiterhin nicht oder kaum gehört werden, ist das Risiko dabei. Sogenannte „Rabenmütter“, vernachlässigende oder grausame Mütter, die ihre Kinder im Stich lassen oder ihnen Gewalt antun, klammert das Stück aus. Doch auch diese Narrative gehören zur großen Erzählung der Mutterschaft dazu. Durch ihre Aufarbeitung würde der gesellschaftliche Diskurs über Mütter und Töchter, Weiblichkeit und Frausein einen großen Schritt nach vorn machen – eine Hinwendung zu den Abgründen der mütterlichen Existenz wagt „MammOmmaM“ aber leider nicht.
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Muttersein ist eine Aufgabe, der so manch Frau heute nicht mehr gewachsen ist. Glücklicherweise kann man die Kinder heute den ganzen Tag in kostenfreie Abschiebehaft sprich Kinderhorte setzen und bei Freigang die Vereine für die Betreuung zuständig sind.
@Wieder Mann
„Glücklicherweise kann man die Kinder heute den ganzen Tag in kostenfreie Abschiebehaft sprich Kinderhorte setzen“
Ja ‚kostenfrei‘. Sie sind wahrscheinlich ein alter Mann der nie einen Hort von innen gesehen hat, noch jemals eine Rechnung bezahlt.
Kinderhorte sind wie Freibier, gell?
@Sally:Freibier mag ich nicht , weder möchte ich etwas geschenkt, noch dafür bedanken. Kinderhorte sind billige Institutionen sich seiner Verantwortung der elterlichen Erziehung zu entledigen.Das Resultat solch einer Erziehung sieht man , wenn Eltern mit Kindern in den öffentlichen Räumen ihrer Sprösslinge nicht mehr Herr werden, diese bestimmen „ wou et lang geet „. Wenn diese Kinder später in den Betrieben genauso beherrschend auftreten „ ass den Herr nach just Max“ , auf solche Angestellte verzichte ich gerne.
Viele Familien sind auf zwei Gehälter angewiesen um zu überleben. Nicht jede Familie hat Eltern/Grosseltern, welche die Kleinchen betreuen können.
Die betroffenen Eltern sind auf Kinderkrippen angewiesen und es ist billig und traurig, diesen Eltern zu unterstellen; sie würden sich der Verantwortung der Erziehung entledigen.👎
@Miette:Weniger Luxus, weniger Handys , weniger Konsum ,…. wird ein Zweitjob in der Familie nicht nötig.Für die Kinder ein Mehr . Unsere Vorfahren haben in der Zeitgeschichte bewiesen, es auch anders geht. Natürlich wenn eine Gesellschaft den Luxus, den Konsum an erste Stelle des Lebens stellt, nicht der Kinder wegen verzichten möchte, sollte sie auf Kinder verzichten.