Covid-Kids II / Uni.lu-Projekt: Wie es den Kindern vom Lockdown bis heute erging
Das Uni.lu-Projekt Covid-Kids über das Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen wird weitergeführt. Der erste Teil im Frühjahr 2020 erfasste die damalige Situation im Lockdown. Der zweite Teil befasst sich unter anderem mit dem, was die Kinder vom Anfang der Pandemie an bis heute erlebt haben. Die Fragebögen für die Kinder können seit letzter Woche abgerufen werden.
Sie waren die Ersten, die den Kindern und Jugendlichen in Luxemburg eine Stimme gaben. Das war im ersten Lockdown, im Frühjahr 2020. Mit ihrem Projekt Covid-Kids haben die Projektleiterinnen an der Uni.lu, Prof. Dr. Claudine Kirsch und Prof. Dr. Pascale Engel de Abreu, das Wohlbefinden von jungen Menschen in dieser außergewöhnlichen Situation analysiert. Die Daten von über 3.000 Kindern zwischen 6 und 16 Jahren wurden in Luxemburg, Deutschland, Brasilien und der Schweiz erhoben. Die Ergebnisse wurden bereits in wissenschaftlichen Fachzeitschriften publiziert. Nun geht das Projekt weiter.
Seit einigen Tagen ist Covid-Kids II angelaufen. Es ist die Fortsetzung des ersten Teils. Projektleiterin Claudine Kirsch sagt im Tageblatt-Gespräch: „Wir sind stolz darauf, dass wir das Projekt Covid-Kids nun weiterführen können.“ Der zweite Teil baut demnach auf dem ersten auf, der im vergangenen Jahr zwischen Mai und Juli durchgeführt wurde. Damals wie heute arbeiten die Forscherinnen der Uni.lu mit der Unicef Luxemburg zusammen. Das neue Projekt hat zudem weitere Partner wie zum Beispiel den OKaJu (Ombudsmann für Kinder und Jugendliche) und wird von der „Oeuvre nationale de secours Grande-Duchesse-Charlotte“ finanziert.
Nun geht es darum, zu erfragen, wie die Kinder die Pandemie zwischen dieser Zeit und heute erlebt habenWissenschaftlerin an der Uni.lu
Covid-Kids I war eine Momentaufnahme aus der ersten Welle im Frühjahr 2020. „Nun geht es darum, zu erfragen, wie die Kinder die Pandemie zwischen dieser Zeit und heute erlebt haben“, sagt Kirsch. Der Zeitpunkt sei einerseits gut gewählt, da sich das Schuljahr nun dem Ende entgegenneigt. „Wir können die Kinder nicht während der Schulferien befragen, dann ist die Schule nicht mehr so präsent in den Köpfen.“ Deshalb läuft die aktuelle Online-Umfrage, die letzte Woche angefangen hat, bis zum 15. Juli. Andererseits ist der Zeitpunkt auch nicht so ideal, gibt Kirsch zu bedenken. Denn zurzeit laufen zwei weitere Studien mit Fragebögen für Kinder, eine vom „Observatoire de la qualité scolaire“ in Zusammenarbeit mit der Universität Lüttich und eine weitere vom Liser über das Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen. „Die Kinder werden ein wenig bombardiert“, sagt die Projektleiterin von Covid-Kids II. Um aber Vergleiche mit den Erkenntnissen der ersten Welle herstellen zu können, also den Daten der Studie Covid-Kids I, sei es gerade jetzt wichtig, noch einmal bei den Kindern nachzufragen.
Beim ersten Projekt im Frühjahr 2020 waren die Forscherinnen der Uni.lu die Ersten, die Daten zum Wohlbefinden junger Menschen erhoben. Die Forschungsergebnisse von Covid-Kids I stießen nicht nur in Luxemburg auf reges Interesse. Claudine Kirsch und Pascale Engel waren gefragte Gesprächspartnerinnen und erhielten zahlreiche Einladungen zu Vorträgen, unter anderem von mehreren Partnerorganisationen der Weltgesundheitsorganisation WHO. Vor ein paar Wochen publizierten die Forscher einen Artikel zu den Erfahrungen mit Homeschoolings der Kinder und Jugendlichen in Luxemburg, Deutschland und der Schweiz. Vor einer guten Woche wurde zudem ein begutachteter wissenschaftlicher Beitrag mit dem Titel „Subjective well-beeing of adolescents in Luxembourg, Germany and Brazil during Covid-19 pandemic“ im renommierten Journal of Adolescent Health veröffentlicht. Darin werden die Forschungsergebnisse dieser länderübergreifenden Studie erläutert.
Die psychische Gesundheit der Kinder
Covid-Kids I kam demnach zum Schluss, dass im ersten Lockdown vor allem Mädchen im Allgemeinen sowie Jugendliche aus einkommensschwachen Familien im Besonderen von den sekundären Folgen der Pandemie betroffen waren. Diese wiederum wirkten sich negativ auf die psychische Gesundheit dieser Kinder aus. Die Ergebnisse zum Wohlbefinden junger Menschen waren in den drei Ländern Luxemburg, Deutschland und Brasilien überraschend ähnlich, obwohl die drei Länder unterschiedlich von der globalen Gesundheitskrise betroffen waren. Die Forscher verzeichneten in den drei Staaten einen deutlichen Rückgang der Lebenszufriedenheit bei den Jugendlichen. Eine Reihe weiterer Faktoren wurden mit dem Wohlbefinden der Kinder in Verbindung gebracht, wie die Angst vor Krankheit, Hausaufgaben, Aktivitäten zu Hause, die Zufriedenheit mit der Freiheit und die Zufriedenheit mit der Art und Weise, wie Erwachsene den Jugendlichen zuhören.
Die Angst vor Krankheiten war in allen drei Ländern der stärkste Indikator für das emotionale WohlbefindenWissenschaftlerin an der Uni.lu
„Die Angst vor Krankheiten war in allen drei Ländern der stärkste Indikator für das emotionale Wohlbefinden“, sagt Pascale Engel de Abreu im Tageblatt-Gespräch. So sollten die Ergebnisse der ersten Studie dazu beitragen, Interventionen zur Förderung der mentalen Gesundheit von jungen Menschen während der Pandemie voranzutreiben. Zudem könnten Interventionen aus Ländern mit höherem Einkommen wie Luxemburg oder Deutschland möglicherweise auch Kindern und Jugendlichen aus Ländern mit mittlerem Einkommen, wie z.B. Brasilien, helfen, sagt Engel.
Da Covid-Kids I, wie beide Forscherinnen betonen, eine Momentaufnahme aus der frühen Phase der Pandemie ist, sehen Kirsch und Engel die Notwendigkeit, weitere Untersuchungen anzustreben, um die langfristigen Auswirkungen der Pandemie auf das Wohlbefinden von jungen Menschen zu verstehen. Dies war der Grund, das Folgeprojekt Covid-Kids II zu entwickeln. Dieses aktuelle Projekt soll sich allerdings nur auf Luxemburg beschränken. Zudem besteht das Projekt nicht mehr aus zwei, sondern aus drei Teilen.
Wieso wird das neue Projekt nur auf Luxemburg beschränkt? Bei Covid-Kids I waren die Situationen im Frühjahr 2020 in den drei Ländern sehr ähnlich, auch wenn sie sich in manchen Punkten unterschieden haben, erklärt Engel. „In den drei Ländern war damals Lockdown, jetzt ist es anders.“ Engel sagt, dass in Brasilien noch immer viele Kinder nicht in der Schule sind, in Luxemburg dagegen schon. „Das wäre schwieriger geworden, diese Daten dann so zu verstehen, weil es einfach zu viele unterschiedliche Faktoren gibt“. Statt des internationalen Teils entschieden die Forscherinnen, einen dritten Teil in das aktuelle Projekt zu integrieren. Außerdem wurden die ersten beiden Teile vergrößert, erklärt Kirsch
Seit dem Lockdown ist viel passiert
Wie bereits beim ersten Projekt besteht der erste Teil aus Interviews. Claudine Kirsch schreibt die gleichen Eltern an wie im vergangenen Jahr. „Innerhalb weniger Stunden haben alle Eltern zugesagt“, sagt Kirsch. „Man merkt, dass das Projekt den Eltern wichtig ist“, sagt sie. Kirsch betont, dass diese Interviews eine einmalige Gelegenheit sind, die gleichen Kinder zwischen 10 und 17 Jahren nochmals zu interviewen und dadurch herauszufinden, was bei den jungen Menschen im Laufe der Pandemie passiert ist. Die Forscherinnen wollen herausfinden, wie diese Kinder die Corona-Pandemie erlebt haben. Zusätzlich werden auch die jüngeren Geschwister dieser Kinder interviewt.
Wir wollen von den jungen Leuten wissen, was sich in der Schule verändert hat, wie viel Homeschooling sie hatten, wie sie damit zurechtkamen und wie sie sich entwickelt habenWissenschaftlerin an der Uni.lu
Seit dem ersten Lockdown ist viel passiert, sagt Kirsch. „Anhand unserer Fragen versuchen wir die Kinder auch daran zu erinnern, was sie alles erlebt haben“. Kirsch zählt auf: Lockdown und Homeschooling, A/B-Gruppen mit alternierendem Unterricht, wieder Präsenzunterricht, nochmals Homeschooling, Quarantänen, Covid-Infektionen. „Woran genau können sich die Kinder erinnern?“, fragt die Projektleiterin. „Wir wollen von den jungen Leuten wissen, was sich in der Schule verändert hat, wie viel Homeschooling sie hatten, wie sie damit zurechtkamen und wie sie sich entwickelt haben.“ Kinder aus unterschiedlichen Alterskategorien haben zudem unterschiedliche Sichtweisen über das Erlebte, ergänzt Kirsch.
Der zweite Teil des Projekts umfasst den Fragebogen, den die Kinder auf covidkids-uni.liser.lu beantworten können. Die Fragen wurden gegenüber letztem Jahr angepasst, um herauszufinden, welche Erfahrungen die Kinder und Jugendlichen während der Pandemie gemacht haben und welche Veränderungen sie sehen, so die Forscherin. Wie im Vorjahr drehen sich die Fragen auch um das Wohlbefinden der jungen Leute. Allerdings gehen die Fragen weniger in die Tiefe als bei den Interviews im ersten Teil des aktuellen Projekts. „Bei den Fragebögen versuchen wir eine möglichst große Bandbreite an Kindern zu befragen. Bei den Interviews ist die Anzahl der Kinder kleiner, dafür gehen wir mehr ins Detail“, sagt Kirsch.
Die Fragebögen sind anonym und stehen dementsprechend nicht mit einem jeweiligen Kind in VerbindungWissenschaftlerin an der Uni.lu
Ergänzt wurden die digitalen Fragebögen dieses Jahr durch eine Print-Version, „pen & paper“ genannt. Bei Online-Befragungen habe man stets einen „Bias“, eine Verzerrung, so die Wissenschaftlerin. Ein solcher Fragebogen setze voraus, dass die Kinder zu Hause einen Computer und ausreichend gutes Internet haben. „Das sei in der Regel eine Bevölkerung mit einem höheren sozioökonomischen Status“, sagt sie. So ergab die Auswertung der Fragebögen im letzten Jahr einen Anteil von 77 Prozent an Kindern aus eher einkommensstärkeren Haushalten. Mit der Print-Variante sollen gezielt unter anderem „Maison relais“ oder Jugendhäuser kontaktiert werden, welche die ausgedruckten Bögen den Kindern aushändigen können. Dies sei eine Möglichkeit, diese 77-Prozent-Quote herunterzudrücken, so Kirsch.
Die Rolle von Unicef beim Projekt
„Die Fragebögen sind anonym und stehen dementsprechend nicht mit einem jeweiligen Kind in Verbindung. „Wir können allerdings Gruppenvergleiche machen, zum Beispiel je nach Alterskategorie oder Einkommensklasse“, sagt Kirsch. Dennoch sind beide Projekte longitudinal angesetzt. Deshalb sind einige Fragen genau gleich wie im Vorjahr, andere wiederum leicht modifiziert, damit man Vergleiche zwischen heute und der ersten Welle ziehen kann. Auch kamen Fragen dazu.
Uns geht es darum, das Ganze im Sinne der Kinderrechte aufzuarbeitenPressesprecher von Unicef Luxemburg
Paul Heber, Pressesprecher von Unicef Luxemburg, sagt im Tageblatt-Gespräch, dass die Rolle seiner Organisation darin bestehe, das Covid-Kids-Projekt bekannter zu machen und unter die Leute zu bringen. Der technische Teil und die Expertise laufen über die Uni.lu. „Uns geht es darum, das Ganze im Sinne der Kinderrechte aufzuarbeiten“, sagt er. In der Zeit des Lockdowns war die Unicef sehr aktiv, indem sie Kindern und Eltern mit Informationen aushalf, um gut durch diese Zeit zu kommen. Unicef versucht, so Heber, die Komplexität aus dem Projekt herauszunehmen, um es den Leuten zugänglicher zu machen.
Laut Claudine Kirsch schauen die Kinder eher auf die kindgerechte Unicef-Webseite als auf jene der Uni.lu. „Das gibt uns eine ganz andere Öffnung“, sagt sie. Isabelle Hauffels von Unicef ist zudem in die Social-media-Arbeit involviert. So soll Covid-Kids über die Kanäle von Unicef und anderen Partnern verteilt und der Öffentlichkeit bekannter gemacht werden. Paul Heber sagt: „Wir unterstützen das Covid-Kids-Projekt, wo wir nur können.“ Aber auch das Unicef-Team sei nicht so groß.
Auf Basis der Ergebnisse aus der Studie haben wir versucht, den Kindern Lösungen anzubietenUnicef
„Wir haben auf Basis der Ergebnisse von Covid-Kids I Empfehlungen geschrieben“, sagt Hauffels gegenüber dem Tageblatt. Zusammen mit einer weiteren Mitarbeiterin und mit der finanziellen Unterstützung von „Oeuvre“ haben Isabelle Hauffels und ihre Kollegin Michèle Schmit die Informationen kindgerecht verarbeitet und hochgeladen. Zudem hat Hauffels Empfehlungen für die Kinder und ihre Eltern ausformuliert, wie sie das Wohlbefinden der jungen Menschen konkret verbessern können. „Auf Basis der Resultate aus der Studie haben wir versucht, den Kindern Lösungen anzubieten“. Beim aktuellen Projekt will sie dies auch so tun. Pascale Engel sieht die Zusammenarbeit mit Unicef als perfekte Konstellation. „Wir arbeiten als Wissenschaftler daran, dass die Methoden robust sind, und die Unicef bezieht sich auf unsere wissenschaftlichen Ergebnisse, um praxisorientierte Lösungsansätze auszuarbeiten.“
Wie es den Kindern in Heimen ergeht
Was bei Covid-Kids I zu kurz kam, war die Analyse der Situation bei wirklich vulnerablen Kindern, sagt Claudine Kirsch. „Das sind Kinder, denen es wirklich nicht so gut geht“, so die Forscherin. „Vulnerable Kinder ist ein großer Begriff, weil viele Kinder es sind“, sagt Pascale Engel. „Es wäre schön, wenn wir eine Studie mit allen möglichen vulnerablen Kindern machen könnten, was aber leider nicht geht“, sagt sie. Man müsse spezifischer vorgehen. In Teil drei wollen sich die Forscherinnen deshalb auf Kinder konzentrieren, die nicht mehr bei ihren eigenen Familien leben. Das sind junge Menschen in Heimen oder Pflegefamilien. Da dieser Teil sehr aufwendig ist, planen die Wissenschaftlerinnen die Datenerhebung erst für Oktober.
Diesen eher klinischen Teil wird Pascale Engel als Psychologin leiten, da der Schwerpunkt hier viel mehr auf der mentalen Gesundheit liegt. Ein wichtiger Partner ist hier zum Beispiel das ONE („Office national de l’enfance“), das dem Bildungsministerium untersteht, aber auch Fedas Luxemburg, OKaJu und Ances asbl sind Partner. Claudine Kirsch leitet als Erziehungswissenschaftlerin die beiden ersten Teile, deren Fokus einerseits auf den schulischen Aspekten und andererseits auf dem Wohlbefinden der Kinder und Jugendlichen liegt. „Dennoch hängt alles zusammen“, sagt Engel. In der internationalen Forschung sei bislang sehr wenig über vulnerable Kinder bekannt. Sie wirft folgende Fragen in den Raum: Geht es den Kindern dort während der Pandemie noch schlechter als anderen Kindern, weil sie in Heimen wohnen? Oder, im Gegenteil, macht die Pandemie ihnen weniger aus, weil sie vielleicht durch andere schlimme Erlebnisse oder Traumata abgehärtet sind und die Krise besser wegstecken können? Dies seien lediglich Hypothesen, betont Engel, auf die sie sich durch das Projekt Antworten erhofft.
- Was Jugendliche im Internet treiben: Bericht zeigt Nutzungsverhalten auf digitalen Geräten - 8. Februar 2023.
- Kritik am FDC: Die „schmutzigen“ Investments des „Pensiounsfong“ - 7. Februar 2023.
- Ein Plan für mehr Naturschutz in Luxemburg - 3. Februar 2023.
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können.
Melden sie sich an
Registrieren Sie sich kostenlos