Covid-Kids-Projekt / Uni.lu-Studie analysiert Auswirkungen von Corona auf Kinder und Jugendliche
Welche Auswirkungen hat die Corona-Krise auf Kinder und Jugendliche? Was denken sie? Was sind ihre größten Ängste und Wünsche? Wie geht es ihnen? Die Antworten auf diese und andere Fragen sind nun Gegenstand einer Studie der Uni Luxemburg. Ein Gespräch mit zwei Forscherinnen, die das Projekt initiiert haben.
Elina ist sechs Jahre alt. Das Coronavirus hat einen großen Einfluss auf ihre Lebenssituation. Sie kann weder Freunde noch Schulkameraden sehen. Ihre Schule ist zu. Sie hockt den ganzen Tag zu Hause. Ihre einzigen Kontaktpersonen sind Eltern und Geschwister. Vielen Kindern und Jugendlichen geht es genauso. Wie Elina über das Coronavirus denkt, fragt aber niemand.
Zwei Forscherinnen der Uni Luxemburg und einer ihrer Kollegen von der Uni Tübingen haben die Situation erkannt und wollen das nun ändern. Alle drei haben Kinder. Sie haben festgestellt, dass die Schließung der Schulen ihr eigenes Leben und das ihrer Kinder verändert hat. Sie arbeiten im Home-Office, da die Uni geschlossen ist. Ihre Kinder machen Homeschooling. „Wir kennen die Situation aus zweifacher Sicht“, sagt Claudine Kirsch, Projektleiterin der Studie „Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf Kinder und Jugendliche“, kurz „Covid-Kids“.
Das hat die Forscher auf die Idee gebracht, diese Studie über den Einfluss des Coronavirus auf den Alltag, den Unterricht und das Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen durchzuführen. Am vergangenen Donnerstag wurde der Fragebogen in fünf Sprachen online gestellt. In den ersten Tagen hatten bereits viele Personen daran teilgenommen. Auch Elina hat die 69 Fragen zusammen mit ihrem Vater beantwortet. „Ich finde das gut, dass auch die Kinder mal gefragt werden, was sie vom Corona halten“, sagt sie.
Es gibt Studien über den Einfluss von Quarantäne auf Erwachsene und Kinder, andere über den Hurrikan Katrina und auch welche über Homeschooling. Aber es gibt keine Studie, die uns hilft, zu verstehen, was gerade in Luxemburg passiert.Projektleiterin Covid-Kids
Genau das ist auch das Anliegen der Studie. „Es ist wichtig, Kindern und Jugendlichen eine Stimme zu geben”, sagt Projektleiterin Claudine Kirsch. Sie ist bei der Studie für den Bereich Erziehung zuständig. Damit das Projekt mehrere Facetten bekommt, hat sie die Psychologin Pascale Engel de Abreu und den Kindheitsforscher Sascha Neumann mit ins Boot geholt. Der Fragebogen sollte eigentlich bis zum 20. Juni laufen. Je nach Entwicklung der Krise könne man die Laufzeit allerdings verlängern.
Mit Kindern über das Virus sprechen
„Es ist nicht immer einfach, mit den Kindern über das Virus zu sprechen“, sagt Kirsch. Als Forscherin und als Mutter habe sie sich die Frage gestellt, was es eigentlich für Kinder heißt, zu Hause zu bleiben und in Isolation zu sein. Sie hat herausgefunden, dass es nicht viele Studien zu dem Thema gibt. „Es gibt Studien über den Einfluss von Quarantäne auf Erwachsene und Kinder, andere über den Hurrikan Katrina und auch welche über Homeschooling. Aber es gibt keine Studie, die uns hilft, zu verstehen, was gerade in Luxemburg passiert“, sagt Kirsch.
Man könne zurzeit lediglich Vermutungen anstellen. Manche Kinder haben wahrscheinlich Angst, die vielleicht später zu einer psychischen Auffälligkeit oder sogar Krankheit führen kann. Auch sei es wahrscheinlich, dass die sozialen Ungleichheiten durch die Isolation und durch das Homeschooling weiter verstärkt werden könnten. Deshalb wolle man nun eine Bestandsaufnahme machen und herausfinden, was gerade passiert. Aus diesem Grund habe man die Studie jetzt sofort ins Leben gerufen.
Der Fragebogen deckt eine Reihe Fragen zum Homeschooling ab, wie die Kinder Schule zu Hause erleben, wie sie Technologien einsetzen, wer ihnen helfen kann. Andere Fragen gehen mehr in den Bereich des Wohlbefindens: Wie erleben die Kinder die Coronazeit zu Hause? „Das ist eine große Bereicherung, wenn man interdisziplinär arbeitet“, sagt Pascale Engel. Laut Engel gibt es nur wenige Studien, bei denen Kinder direkt befragt werden. Das sei aber hier möglich. Alle Antworten sind anonym und es ist nicht möglich, die Identität der Kinder, Schulen oder Lehrer zu erschließen. „Natürlich können Sechsjährige den Fragebogen nicht alleine ausfüllen. Sie brauchen die Hilfe ihrer Eltern.“ Das sei trotzdem etwas anderes, als wenn man die Eltern darüber befragen würde, wie es ihren Kindern geht.
Wir hoffen, dass die Ergebnisse dieses Projekts uns helfen, besser zu verstehen, wie Covid-19 das Wohlbefinden von Kindern beeinflusstPsychologin und Co-Forscherin des Covid-Kids-Projekts
Vieles wurde in den vergangenen Wochen beschlossen und umgeändert. Über die Köpfe der Kinder hinweg. Aber wurde eigentlich mit den betroffenen Kindern selbst gesprochen? „Das machen wir jetzt“, sagt Engel. „Wir hoffen, dass die Ergebnisse dieses Projekts uns helfen, besser zu verstehen, wie Covid-19 das Wohlbefinden von Kindern beeinflusst.“
Befunde aus Studie könnten nützlich sein
Die Befunde, die später aus der Studie hervorgehen werden, könnten vor Ort nützlich sein, sagt Kirsch. Diese könnten an die Schulen, Eltern oder andere Akteure weitergegeben werden. „Brauchen unsere Kinder Hilfe? Psychologische Hilfe? Soziale Hilfe? Hilfe in der Erziehung?“, fragt Kirsch. In einem weiteren Sinne könnten die Auswertungen auch in der Zukunft für eventuell andere Pandemien oder Ähnliches benutzt werden. Engel sagt, dass auch Therapeuten auf diese Studie zurückgreifen könnten, die einen Einblick in die Sorgen und Ängste der Kinder in der Covid-19-Zeit geben kann. Zum Beispiel wenn sich später herausstellen würde, dass viele Kinder unter psychischen Störungen wie Angstzuständen oder Depressionen leiden.
Hier war ganz klar der Ansatz, etwas zu tun, was in erster Linie den Leuten auf dem Terrain und den Eltern nützlich sein kannPsychologin und Co-Forscherin des Covid-Kids-Projekts
„Für Wissenschaftler stehen oft Publikationen in wissenschaftlichen Fachzeitschriften im Vordergrund, aber hier war ganz klar der Ansatz, etwas zu tun, was in erster Linie den Leuten auf dem Terrain und den Eltern nützlich sein kann“, betont Engel. Kirsch erklärt, dass eine Idee ist, die Resultate in einer für das breite Publikum zugänglichen Form zu publizieren, als kurzen Bericht zum Beispiel.
Im Fragebogen sind bei einer Reihe Fragen die Antworten vorgegeben. Die Kinder klicken die entsprechende(n) Antwort(en) an. Daneben gibt es auch „open ended questions“, also Fragen, bei denen die Antworten nicht vorgegeben sind und die Kinder diese frei formulieren können. Der Fragebogen richtet sich auch an jüngere Kinder. Sie brauchen jedoch beim Beantworten der Fragen die Hilfe der Eltern, wenn auch nur, um die Fragen vorzulesen. Durch das Ausfüllen des Fragebogens mit seinen Kindern könne man auch mit seinem Nachwuchs anders ins Gespräch kommen, sagt Kirsch. „Weil Fragen anders gestellt werden als sonst. Weil die Distanz zum Thema durch den Fragebogen gegeben ist und man trotzdem darüber redet. Da wird man vielleicht auf Ängste aufmerksam, die man sonst als Eltern nicht so mitkriegt“, sagt Engel.
Neben den Fragebögen besteht die Studie auch aus Interviews. Die Interviews erlauben es, gezielter und in die Tiefe zu forschen. Kirsch nennt das „qualitatives“ Vorgehen. Die Online-Umfrage erzeugt große Mengen an Daten, die mit „quantitativen“ Methoden analysiert werden. Stets an die jeweilige Sprache und Kultur angepasst, wird die Umfrage auch in Deutschland, Frankreich, Belgien, England, Portugal, der Schweiz und Brasilien durchgeführt. Die Interviews in Luxemburg werden von Kirsch online mit jeweils zwei bis drei Kindern durchgeführt. Hier könne man zum Beispiel eventuelle Ängste der Kinder, wie vor Masken zum Beispiel, thematisieren, so Kirsch. Die Fragen würden sich aber nach einem internationalen Leitfaden richten, der ebenfalls in anderen Ländern eingesetzt wird, damit man später auch Vergleiche ziehen könne.
Je mehr Daten, desto besser
Diese sogenannte „Mixed method“-Forschung, bei der qualitative Daten aus Interviews und quantitative Daten aus Fragebögen in einer Studie gesammelt werden, hat viele Vorteile. „Sie bietet ein vollständigeres und umfassenderes Verständnis der Situation als nur quantitative oder qualitative Ansätze allein“, sagt Engel.
Wir haben nur eine Uni hier in Luxemburg. Es ist wichtig, dass wir unsere eigene Forschung hier machen können, sonst sind wir auf die Studien anderer Länder angewiesen. Dann können wir nichts zu unserem Bildungssystem beitragen.Psychologin und Co-Forscherin des Covid-Kids-Projekts
Wie aussagekräftig sind nachher die Daten? Vieles hängt von der Anzahl der Teilnehmer ab. Eine genaue Zahl wollten die Forscher nicht preisgeben. Nur so viel: Je mehr, desto besser. „Wenn alle Altersklassen vertreten sind, dann haben wir am Ende mehr Möglichkeiten, die Daten zu analysieren“, so Engel. Wenn nicht genug Schüler eines bestimmten Alters mitmachen, dann müsse man die Studie nachher auf bestimme Altersgruppen beschränken.
Engel sagt: „Wir haben nur eine Uni hier in Luxemburg. Es ist wichtig, dass wir unsere eigene Forschung hier machen können, sonst sind wir auf die Studien anderer Länder angewiesen.“ Diese würden aber nicht ganz auf Luxemburg zutreffen. „Dann können wir nichts zu unserem Bildungssystem beitragen.“ Die Forscher werden das Gefühl nicht los, dass in der Coronazeit viel Forschung im Bereich der Medizin und der Wirtschaft betrieben wird. Man versucht, die Auswirkungen des Covid-19 auf diese Bereiche zu konzentrieren, was wichtig ist. Man sollte aber den Einfluss der Krise auf die Kinder, deren Erziehung und Bildung nicht vergessen. Deshalb ist es den Forschern wichtig, dass möglichst viele Kinder und Jugendliche zwischen 6 und 16 Jahren mitmachen. Den Fragebogen findet man unter folgendem Link: ulsurvey.uni.lu/index.php/729472.
Die ersten Resultate der Studie könnten bereits im September oder Oktober verfügbar sein. Doch wie alles in der Coronazeit sei auch diese Planung nur vorläufig. Mittlerweile seien noch weitere Länder an der Teilnahme der Studie interessiert. Würde man die mit reinnehmen, dann müsse man die Studie länger laufen lassen. Die Priorität haben aber die Daten aus Luxemburg. Diese werde man als erste auswerten. Die Forscher hoffen, dass die Befunde der Studie für das neue Schuljahr hilfreich sein könnten.
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War daat alles. Kennt neischt méi.