/ Unsichtbare Erzählstränge in Venedig: Die Einweihung des luxemburgischen Pavillons
Marco Godinho ist der erste Luxemburger Künstler, der im „Arsenale“ den luxemburgischen Pavillon bespielen darf. Nachdem voriges Jahr das LUCA in Zusammenarbeit mit der Universität Luxemburg den neuen Pavillon im Rahmen der Architektur-Biennale einweihte, thematisiert der luxemburgisch portugiesische Künstler Marco Godinho nun mit seinem Projekt „Written By Water“ Themen wie Nomadismus, Identität und Zeitlichkeit in einer imposanten Pyramide.
Eines hat Marco Godinho wohl nicht verstanden: Sein Kunstprojekt, das Videoinstallationen, Performances und eine in portugiesisch-luxemburgischem Schnapshybrid eingeweichte chinesische Steinfrucht unter einer Halbpyramide vereint, ist so gigantisch, dass für den mondänen Empfang am Donnerstag kaum Platz blieb. Dabei weiß ein jeder, dass Empfänge und der in Italien unumgängliche Aperol-Spritz das A und O einer gelungenen Pavillon-Einweihung sind – so will es auf jeden Fall das gängige luxemburgische Klischee. Welches Godinho jedoch kaum zu interessieren scheint: Für ihn soll die Kunst so viel Platz einnehmen wie nur möglich.
So belegt die Spitze des Kunsteisbergs die gesamte verfügbare Oberfläche des Pavillons: Betritt man den Pavillon und begibt sich zu dessen Südseite, sieht man eine weiße, schiefe Oberfläche, die an ihrem nördlichen Ende fast die Decke berührt und die an ihrem südlichen Ende, wo das Tageslicht die Halbpyramide durchflutet, den Boden berührt. Auf dieser schräggestellten Oberfläche betrachtet der Beobachter eine Collage von Hunderten Notizheften, deren weiße Seiten Marco Godinho im Laufe zahlreicher Reisen (u.a. nach Lampedusa, Nice, Marseille) durch das Mittelmeer zog.
So wird das Mittelmeer, dessen Erwähnung in Kunstwerken ja aufgrund der „Migrationswellen“ und EU-Politik diesbezüglich automatisch politisch aufgeladen ist und mittlerweile etwas klischeehaft ausfallen kann, zum unsichtbaren Verfasser unlesbarer Zeilen.
Poetische Dekonstruktion
Wie Milo Rau es für sein Theaterstück „Empire“ tat, ging es Marco Godinho darum, die Route der Geflüchteten rückwärts zu gehen – um Gegensätzlichkeiten wie Orient und Westen, Heimat und Exil in der Kunst (etwas utopisch) aufzulösen.
Innerhalb dieser pyramidalen Konstruktion sieht man einen Dokumentarfilm, im Laufe dessen der Schauspieler Fábio Godinho (der Bruder des Künstlers) Homers „Odyssee“ liest, anschließend Seite für Seite herausreißt und dem Meer opfert. Fernab jeder historischen Konnotation, die das Zerreißen eines Buches haben könnte, sollen dem Schicksal des exilierten Ulysses im heutigen politischen Kontext neue, poetische Sinnebenen hinzugefügt werden. In einem weißen Raum hört man, wie Godinho sich mit Migranten, die vom Leben im küstenlosen Luxemburg berichten, und mit blinden Menschen unterhält, die die vom Meer runzelig gewordenen Notizhefte ertasten und dazu traumhafte Erzählungen spinnen.
Der gesamte Pavillon funktioniert wie ein poetisches Flanieren – die wellenartige Konstruktion bietet durch ihre Eingänge, die Brüche in der Naturgewalt des Meeres darstellen, Unterschlupf und Ruheinseln, in denen sich Zeitebenen und Schicksale überlappen. Durch den Pavillon flaniert auch Alberto, ein Ausstellungsaufseher der Biennale, der an jedem der 201 Öffnungstage der Ausstellung ein T-Shirt, auf dem jeweils ein anderer Vers eines Gedichtes, das der Künstler geschrieben hat, abgebildet ist, tragen wird.
„Für mich ist die narrative Ebene meines Schaffens wichtig. Aber gleichzeitig geht es mir darum, diese erzählerische Dimension zu dekonstruieren. Eine lineare Erzählung interessiert mich nicht“ – vielleicht, weil das Schicksal der meisten Migranten den Zufälligkeiten der Natur und der politischen Entscheidungsträger ausgesetzt ist. Ganz klischeefrei sind die bedeutungsschwer vom Wind verwehten Notizhefte zwar nicht, das Verstricken von Videos, Performance, Installation ergibt in seiner poetologischen, opaken Dimension aber einen meditativen Pavillon, in dem die Zeitlichkeit und die Identitäten durchlässig werden.
Mondäner Klassenausflug
Während der Eröffnung drängelte sich alles, was in der Luxemburger Kunst- und Kulturwelt Rang und Namen hatte (und sich bereits am Vortag auf dem Findel wie bei der Verabredung zur Klassenfahrt einfand), in den drei schmalen Korridoren, die die Pyramide übrigließ, um beim Empfang dabei zu sein. Der Kontrast zur Ca’ Del Duca, in deren Hof man ein Schlaraffenlandbuffet errichtete, ist deutlich: Hier steht die Kunst im Zentrum, man muss sein Werk zudem nicht auf unterschiedliche Räume verteilen, sondern kann, wie Marco Godinho meint, „ein größeres Gesamtprojekt vorstellen“.
Für Kulturministerin Sam Tanson liegt der Erfolg am Donnerstag jedoch nicht nur an der Open Bar, wo dann doch zuhauf Aperol kredenzt wurde: „Es war definitiv eine gute Entscheidung, ins Zentrum der Biennale umzuziehen. Der Andrang ist schon relativ beeindruckend – was vielleicht auch daran liegt, dass Marco Godinhos Pavillon bereits positiv erwähnt wurde: Er gilt als einer der 15 Pavillons, die man gesehen haben sollte, anderswo wird er gar als einer von vier Anwärtern für den Goldenen Löwen gehandelt.“
Bereits im letzten Jahr ließ sich eine erhebliche Steigerung der Besucherzahlen des luxemburgischen Pavillons feststellen, was nur logisch ist – verlor man sich noch vor zwei Jahren auf dem Weg zur Ca’ Del Duca in den verwinkelten Gassen von Venedig und fühlte sich gezwungenermaßen an Visconti, Aschenbach und Thomas Mann erinnert, so bleibt die Sale d’Armi für fast jeden Besucher der Biennale unumgänglich. „Dies ist einer der Gründe, wieso wir unseren finanziellen Einsatz auch auf 400.000 Euro erhöht haben.“ Letztes Jahr war der Pavillon dem Kulturministerium immerhin 350.000 Euro wert.
- Barbie, Joe und Wladimir: Wie eine Friedensbotschaft ordentlich nach hinten losging - 14. August 2023.
- Des débuts bruitistes et dansants: la première semaine des „Congés annulés“ - 9. August 2023.
- Stimmen im Klangteppich: Catherine Elsen über ihr Projekt „The Assembly“ und dessen Folgeprojekt „The Memory of Voice“ - 8. August 2023.
Wahrscheinlech muss een op esou Bienalen wirklech een politisch korrekten Kommentar ofginn fir eirens erwähnt ze ginn. Dann hoffen mir mol das mir an beschter Lëtzebuerger Maneier och hei als politesch korrekt durchginnn an den Marco den Preis gewönnt!