Parlament: Rifkin und viel Wirtschaft / Unterschiedliche Sichtweisen zum Handel mit Diktaturen
Wirtschaftsthemen standen am Mittwoch im Mittelpunkt der Parlamentssitzung. Materialprobleme der Betriebe, die künftige Strategie zum Handel mit „Nicht-Demokratien“, aber auch erneut die Rifkin-Studie wurden im Rahmen von erweiterten Fragen an die Regierung und von Aktualitätsstunden behandelt.
Zwei erweiterte Fragen an die Regierung machten den Auftakt der Sitzung, nachdem die Abgeordneten Sylvie Kerger als neues Mitglied des CET („Centre pour l’égalité du traitement“) gewählt hatten. Wie sich die Rohstoff-Engpässe, insbesondere bei nicht erneuerbaren Materialien, auf die Luxemburger Betriebe auswirkten, wollte André Bauler (DP) von Wirtschaftsminister Franz Fayot (LSAP) wissen. Bauler verwies auf die Engpässe im Rahmen der Lieferketten, auf stark gestiegene Energiepreise und auf Personalnot. Tatsächlich sei es wichtiger denn je, die Widerstandsfähigkeit der Wirtschaft zu steigern, so der Minister, der als Beispiel von Lieferschwierigkeiten Elektrokabel und Holz aus der Ukraine, aber auch Nebenprodukte der Ölherstellung (Russland) für die Reifenindustrie nannte. Stahl, Halbleiter und andere Produkte würden fehlen.
Elektrokabel aus der Ukraine
Dabei seien die Auswirkungen des erneuten Lockdowns in China noch nicht abzusehen. Immerhin importiert Luxemburg nur wenig Weizen, Mais und Gerste direkt aus Russland und der Ukraine. Das globalisierte Wirtschaftsmodell müsse in Frage gestellt werden, so Fayot, der einen Systemwandel hin zu mehr Unabhängigkeit und Autonomie bei der Versorgung ansprach und eine Stärkung der Kreislaufwirtschaft anmahnte.
Laurent Mosar (CSV) wollte zum wiederholten Male Neuigkeiten vom Düdelinger Liberty Steel-Werk, mit denen der Wirtschaftsminister öffentlich nicht aufwarten wollte, um die Arbeit hinter den Kulissen, sprich die Suche nach einem ernstzunehmenden Investor, nicht zu gefährden.
Und auch der Rifkin-Prozess wurde wieder ein parlamentarisches Thema: Die CSV-Abgeordnete Diane Adehm hatte eine entsprechende Aktualitätsstunde angefragt und sparte nicht mit Kritik an dem Prozess, dessen Umsetzung nicht vom Fleck komme. Fotovoltaik-Anlagen auf öffentlichen Gebäuden würden immer noch fehlen, von einer emmissionsfreien Mobilität sei Luxemburg noch weit entfernt und setze z.B. kaum auf die Förderung von Wasserstoff-Antrieb. Der angekündigte Nachhaltigkeitscheck bei neuen Projekten fehle immer noch und es werde eine falsche Industriepolitik gemacht. André Bauler (DP) sieht dies anders; er verwies auf die nicht vorhersehbaren Krisen wie die Covid-Pandemie. Der Rifkin-Prozess müsse zwar angesichts dieser Entwicklungen um zusätzliche Strategien erweitert werden; viele Projekte der Studie, die zu einer nachhaltigeren nationalen Wirtschaft führen soll, seien aber bereits realisiert. Dies sieht auch Francine Closener (LSAP) so. Sie verwies außerdem darauf, dass die Klimakrise weiter aktuell sei und wir mehr denn je von fossiler Energie unabhängig werden müssten. „Smart, umweltfreundlich und sozial“ müssten die wirtschaftlichen Abläufe künftig sein. Semiray Ahmedova („déi gréng“) verwies u.a. auf Projekte wie den kostenlosen öffentlichen Verkehr, das fast fertige Abfallgesetz und die zunehmende Elektromobilität. Sie sieht zahlreiche Fortschritte im Rahmen des Rifkin-Prozesses, räumte aber ein, dass noch viel Strecke vor dem Land liege.
„Prozess so gut wie tot“
So gut wie tot sei der Rifkin-Prozess, meinte hingegen Fernand Kartheiser (ADR) und verwies ausführlich auf die Gefahren der Digitalisierung – ein zentrales Element der Rifkin-Studie.
Rifkin stelle das Prinzip Wachstum nicht in Frage, seine Studie sei zum großen Teil „warme Luft“, so Myriam Cecchetti („déi Lénk“). Sie sei altmodisch: Profitorientierung und Kapitalinteressen würden sie prägen. Die Piraten, so Sven Clement, würden für eine Neugestaltung der Wirtschaft eintreten. Die Bereiche Arbeit und fossile Energien müssten endlich entkoppelt werden. Mit der Umsetzung der Studie sei noch nicht einmal begonnen worden, so seine Analyse. Diese teilte Wirtschaftsminister Franz Fayot nicht. Er hob die positiven Aspekte dieser bereits öfters im Parlament besprochenen Wirtschaftsstrategie hervor und nannte querbeet verschiedene realisierte Projekte, wie die Förderung „grüner Finanzen“, die Diversifizierung der Industrie, die zahlreichen „Chargy“-Ladestationen für E-Autos …
Nathalie Oberweis („déi Lénk“) warf in einer nächsten Aktualitätsstunde die Frage auf, welche Handelsbeziehungen das Land künftig mit Diktaturen pflegen wolle. Dies, nachdem der Wirtschaftsminister geäußert hatte, es dürfe nach dem Schock der Ukraine-Invasion durch Russland nicht mehr mit jedem Handel betrieben werden. Oberweis forderte nicht, wie von der Regierung geplant, ein europäisches Lieferkettenreglement abzuwarten, sondern hier national tätig zu werden. Eine entsprechende Motion sollte aber scheitern, denn die meisten Redner nahmen eine nuanciertere Position ein als die Politikerin der Linken, die jeglichen Handel mit Diktatoren und Autokraten ablehnte. Diese Position sei nicht realistisch, so etwa Claude Wiseler (CSV). Auch André Bauler (DP) verwies auf die Möglichkeiten, durch Dialog mit undemokratischen Staaten hilfreich wirken zu können. Putins Einmarsch in die Ukraine habe zu einem Paradigmenwechsel geführt, so Carlo Weber (LSAP), der wie die Vorredner die Sanktionen gegen Russland verteidigte, dabei aber auch unterstrich, bei politischen Gesprächen (etwa bei Wirtschaftsmissionen in Länder, die in puncto Demokratie Nachholbedarf haben) würden die Menschenrechte konsequent angesprochen.
„Wandel durch Handel“ ist vorbei
Das Prinzip „Wandel durch Handel“, so Charles Margue („déi gréng“), sei definitiv nicht mehr zeitgemäß. Allerdings, so auch er, müsse in der Frage pragmatisch vorgegangen werden. Ganz allgemein müssten die Standards (in Sachen Umwelt, Soziales, Menschenrechte) im Welthandel verschärft werden. Dirigismus warf hingegen Fernand Kartheiser (ADR) den Linken vor und zeigte sich überzeugt davon, dass Restriktionen im Welthandel zu Armut und Arbeitslosigkeit führen und ohnehin nicht auf diverse Produkte aus Diktaturen verzichtet werden könne. Für ein nationales Lieferkettengesetz sprach sich dagegen auch Pirat Sven Clement aus, der begrüßte, dass Luxemburg nun offensichtlich eine neue Doktrin beim Außenhandel anstrebe, nachdem er den jüngsten Besuch des Großherzogs in China erneut kritisiert hatte.
Es gelte in der Frage ein Gleichgewicht zu finden, so Franz Fayot schließlich, der auf die Problematik zahlreicher bestehender kommerzieller Verbindungen zu problematischen Staaten verwies. Der Wirtschaftsminister glaubt an ein europäisches Vorgehen im Handel und verwies auf das Lieferkettengesetz der EU, das demnächst Antworten geben könne.
Schließlich verabschiedeten die Abgeordneten fünf Gesetzestexte, die europäische Direktiven in nationales Recht umsetzen. Diese behandeln u.a. Autorenrechte sowie die Entsorgung und Weiterverwertung von Schiffswracks.
Die Sitzung von heute Donnerstag wird nach dem Wirtschaftsmarathon vom Mittwoch im Zeichen der Schule stehen. U.a. wird die Frage der Einschulung ukrainischer Flüchtlinge thematisiert werden.
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