Caritas / Mitarbeiter unterzeichnen HUT-Verträge unter Druck – OGBL kritisiert Zustände
Einen Tag bevor „Hëllef um Terrain“ (HUT) die Aufgabe der sich in Auflösung befindenden Caritas übernimmt, sind deren Mitarbeiter aufgerufen, ihre neuen Arbeitsverträge zu unterschreiben. Sofort entbrennt eine hitzige Diskussion über deren Form und Inhalt – und den Druck, zu unterzeichnen.
Boris Westemeier ist erleichtert. Am Montagmittag sitzt er in einem Café im Bahnhofsviertel, wenige Gehminuten vom Sitz seines Arbeitgebers, der Caritas, entfernt. Wobei man genauer sagen müsste: Noch-Arbeitgeber. Westemeiers Vertrag mit der NGO läuft noch genau einen Tag. Morgen wird er bei „Hëllef um Terrain“ (HUT) anfangen. „Wir hatten schwierige zwei Wochen“, sagt Westemeier. Die vergangenen drei Monate seien stressig gewesen für jeden Angestellten der Caritas. Bis zuletzt habe Ungewissheit geherrscht unter den Mitarbeitern der NGO. Wer darf seinen Job weitermachen? Wer wird unter welchen Bedingungen von der Nachfolgestruktur HUT übernommen? Am Dienstag wird HUT die Arbeit der scheidenden luxemburgischen Caritas übernehmen. Und einen Teil ihrer Mitarbeiter. Aus diesem Grund hat die neue Entität mehr als 300 Mitarbeiter am Montag eingeladen, ihre neuen Arbeitsverträge zu unterschreiben. Verträge, die seit Tagen im Zentrum einer hitzigen Debatte im Sozialsektor stehen.
Westemeier ist Sozialarbeiter in einer Tagesstruktur für Obdachlose, seit 2022 ist er bei der Caritas angestellt. Den Vertrag mit HUT hat er bereits am Freitag unterschrieben. „Der Vertrag, den ich unterzeichnet habe, hatte genau die gleichen Konditionen wie mein alter Arbeitsvertrag bei der Caritas.“ Auch seine Arbeitsjahre bei der Caritas würden in der neuen Entität berücksichtigt, so Westemeier. „Bei HUT komme ich jetzt deshalb in mein drittes Jahr.“ Eine Probezeit gibt es nicht. Das gelte für alle mit einem unbefristeten Arbeitsverhältnis bei der Caritas, so der künftige HUT-Mitarbeiter. Westemeier ist Gewerkschafter und Personalvertreter bei der „Caritas accueil et solidarité“ (CAS), er ist Mitglied einer von zwei Personalvertretungen, die Gespräche mit Krisenkomitee und HUT geführt haben. „Ich habe nicht jeden Vertrag gesehen“, sagt er. „Ich vertraue aber dem Krisenkomitee. Wenn sie mir dieselben Bedingungen angeboten haben, sehe ich keinen Grund, warum sie das nicht auch bei den anderen tun sollten.“
OGBL kritisiert Flexibilisierung von Arbeitszeiten
Nora Back hat eine andere Meinung zu den neuen HUT-Verträgen, die sie in wenigen Worten zusammenfassen kann. „Illegal und moralisch verwerflich“, sagt die OGBL-Präsidentin am Montagmittag gegenüber dem Tageblatt. Die Verträge, die die Caritas-Nachfolgestruktur den Noch-Mitarbeitern der NGO vorlege, seien „schlimm“, sowohl von der Form als auch vom Inhalt her, so die OGBL-Präsidentin. Die Arbeitsbedingungen würden sich im Vergleich zur Caritas verschlechtern. Menschen, die vorher zu normalen Bürozeiten gearbeitet hätten, hätten nun Wochenendarbeit in ihren Verträgen stehen. Während früher nur die Mitarbeiter, die mit Kindern arbeiten, Nachtschichten vertraglich festgelegt hätten, tauche das nun bei allen auf, sagt Back.
Die Flexibilisierung von Arbeitszeiten ist jedoch noch nicht alles. Die Mitarbeiter müssten sich mit den Werten der HUT identifizieren, so die OGBL-Präsidentin. „Was genau diese Werte sind, steht dort aber nicht.“ Außerdem dürften die neuen HUT-Mitarbeiter vertraglich festgeschrieben nicht mit ihren Kollegen über ihr Gehalt sprechen. „Das sind Amazon- und PWC-Verhältnisse“, empört sich Back. Der schlimmste Passus in den neuen Verträgen sei ihrer Meinung nach jedoch folgender Satz: „Les Parties déclarent avoir disposé du temps de réflexion et des conseils néccesaires avant de signer le présent accord et confirment que leur consentement est libre et exempt de tout vice.“ Trotz dieses Satzes im Vertrag würden die Caritas-Mitarbeiter am Montag unter Druck gesetzt werden, den Vertrag mit HUT zu unterzeichnen – ohne Bedenkzeit, ohne Beratung, ohne ein Foto machen zu dürfen.
„Das Problem ist subjektiv“, sagt Westemeier. Er persönlich habe genug Zeit gehabt. „Ich war in dem Raum, in dem die Leute unterschreiben, da ist niemand mit einer Waffe, der sagt: Du musst jetzt unterschreiben“, sagt der Personalvertreter. „Aber es ist klar, dass da ein Druck besteht, dass man jetzt einen Tag hat zu unterschreiben.“ Westemeier versteht diese Kritik von Nora Back. „Was ich nicht nachvollziehen kann, ist, dass der OGBL immer wieder angreift“, sagt Westemeier. Die Wahl der Caritas-Mitarbeiter liege gerade zwischen Job oder keinem Job. Auch die LSAP meldet sich am Montag in einer Pressemitteilung zu Wort. Es sei skandalös, wie mit den Caritas-Mitarbeitern umgegangen werde. Man habe ernsthafte Zweifel ob der Legalität dieser Methode und fordere Premier Frieden (CSV) dazu auf, einzugreifen.
Frage der Personalvertretung ungeklärt
Wie viele Caritas-Mitarbeiter genau schon bei HUT unterschrieben haben, wissen Back und Westemeier am Montagmittag noch nicht. Der Caritas-Mitarbeiter habe am Montagmorgen schon zehn, zwanzig Leute am Hauptsitz in der rue Michel Welter getroffen. Insgesamt schätzt Westemeier die Zahl der Unterzeichner auf vierzig bis fünfzig. „Leute, die jetzt bei HUT unterschreiben, sind Leute, die Angst um ihren Job haben“, sagt Nora Back. Der OGBL rät den Caritas-Mitarbeitern weiterhin, keine neuen Verträge zu unterzeichnen. Fühlt es sich für den Gewerkschafter Westemeier unsolidarisch an, dennoch unterzeichnet zu haben? „Solidarität ist in diesem Fall ein großes Wort“, sagt Westemeier. Für ihn als Personalvertreter sei es am wichtigsten gewesen, dass so viele Menschen wie möglich ihren Job weitermachen können. „Da lag meine Solidarität.“
Aus gewerkschaftlicher Sicht weiterhin ungeklärt ist die Frage der Personalvertretung bei der neuen Entität. „Ich habe keine Informationen dazu, wie das mit der Personaldelegation bei HUT ablaufen wird“, sagt Westemeier. Man habe ihm gesagt, HUT sei in Kontakt mit der „Inspection du travail et des mines“ (ITM), um herauszufinden, was rechtlich möglich sei. Es besteht das Problem, dass die Belegschaft ein Jahr warten muss, bis sie eine neue Personaldelegation bestimmen darf. „Es ist klar, wir brauchen jetzt eine Delegation“, sagt Westemeier. „Es werden Leute nicht zufrieden sein und die brauchen eine Vertretung.“ Eben diese fehlenden Garantien kritisiert der OGBL scharf. Westemeier hingegen vertraut dem Krisenkomitee, dass „sie etwas auf die Beine stellen“.
Der OGBL beharrt weiterhin – wie auch parteiübergreifend viele Stimmen aus der Politik – auf einem „transfert d’entreprise“ als einzigem mit dem luxemburgischen Arbeitsrecht vereinbaren Weg, Teile der Caritas in die neue Struktur HUT zu überführen. Dieser Betriebsübernahme verweigert sich die neue Entität bislang. Westemeier spekuliert über die Gründe: „Die Schulden sind eine Sache, das andere ist die alte Direktion der Caritas, die man nicht übernehmen möchte.“ Für OGBL-Präsidentin Nora Back ist das kein Argument. Bei einem „transfert d’entreprise“ müsse die alte Direktion nicht zwingend übernommen werden, erklärt sie.
Noch ist unklar, ob sich die Situation der Caritas-Mitarbeiter in den kommenden Tagen wirklich entspannen wird. Die Debatte bleibt hitzig, unterschiedliche Sichtweisen prallen aufeinander. Westemeier findet, dass Krisenkomitee und HUT ihr Möglichstes tun, um möglichst vielen Caritas-Mitarbeitern zu helfen. „Sie haben individuell bei jedem Fall geschaut, wo sie etwas tun können.“ Gerade versuche das Krisenkomitee, vier Mitarbeiter, die bislang nicht hätten übernommen werden sollen, in die Caritas-Entität „Jeunes et Familles“ zu übertragen. Der OGBL hingegen kritisiert, dass es nur solche intransparenten individuellen Lösungen gibt – und keine kollektive. „Wir geben nicht nach, bis es einen ‚transfert d’entreprise‘ gibt“, sagt Nora Back. „Notfalls auch vor Gericht.“
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