Unesco (Teil 1) / „Uraltes Wissen“: Hebammenkunst soll auch international immaterielles Kulturerbe werden
Bei gleich drei Kandidaturen ist Luxemburg aktuell mit dabei, um gelebte Traditionen, Handwerk sowie Wissen aus der Natur von der United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization (Unesco) als immaterielles Kulturerbe anerkennen zu lassen. Eine davon bezieht sich auf die Fähigkeiten, Praktiken sowie das Wissen von Hebammen und wurde gemeinsam von acht Ländern eingereicht. Wie die Bewerbung vorbereitet wurde, verrät die Präsidentin der Luxemburger Hebammenvereinigung, Nadine Barthel.
Tageblatt: Nadine Barthel, Sie sind die Präsidentin der Luxemburger Hebammenvereinigung und arbeiten seit 20 Jahren im Beruf. Nun soll die Kunst der Geburtshilfe auf die repräsentative Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit von der Unesco kommen. Warum?
Nadine Barthel: Es ist eine der ältesten Berufstechniken der Menschheit, die außerdem für die Gesellschaft sehr wichtig ist. Denn Hebammen fördern Bindung: Sie sorgen dafür, dass Mutter und Kind zusammen sind und die Familie gesund zusammenleben kann. In der Schwangerschaft sowie bei der Geburt wird der Grundstein für ein Urvertrauen und für Zusammenhalt gelegt. Und das bestimmt die späteren Beziehungen. Je mehr Wert darauf gelegt wird, desto stärker ist dann auch der Zusammenhalt in der Gesellschaft. In unserer Kandidatur steht auch drin, dass der Frieden in der Welt so gefördert werden kann.
Was zeichnet die Arbeit von Hebammen aus?
Sie kommen bei der Arbeit weitgehend ohne technische Hilfsmittel aus und nutzen dabei ihre Sinne: Mit den Händen und durch Berührungen überprüfen sie beispielsweise, ob das Kind richtig liegt. Mit den Ohren lauschen Hebammen den Geräuschen der Frau und wissen so, wie es ihr geht. Es ist uraltes Wissen, dass bei dieser Art von Arbeit die Sinne genutzt werden. Bei Geburten geht es heutzutage viel um Pathologien – hoher Blutdruck, Schwangerschaftsdiabetes oder Fehlbildungen beim Kind. Hebammen nehmen Frauen die Angst und legen den Akzent auf die Ressourcen und die Kompetenzen, die die angehenden Mütter mitbringen.
Wie kam es dazu, dass dieses „uralte Wissen“ immaterielles Kulturerbe werden soll?
Die „Association luxembourgeoise des sages-femmes“ (ALSF) ist Mitglied des europäischen Verbandes der Hebammen (EMA) und des internationalen Hebammenbündnisses (ICM). In 2018 machte der deutsche Verband uns auf die geplante Bewerbung bei der Unesco aufmerksam. Wir finden es wichtig, auf die Arbeit der Hebammen aufmerksam zu machen und wurden 2019 dann in das nationale Inventar vom immateriellen Kulturerbe aufgenommen. Seit dem Jahr haben wir mit dem Luxemburger Kulturministerium und den anderen Vereinigungen die Bewerbung vorbereitet. Alleine hätten wir das nicht geschafft.
An der Kandidatur haben acht Länder von vier verschiedenen Kontinenten gearbeitet. Wie lief die internationale Zusammenarbeit konkret ab?
Vorbereitet wurde das Ganze per Videokonferenz, in der Schlussphase war das jeden Monat eine. Wir mussten da schauen, eine Uhrzeit zu finden, die jedem passt. Gehalten wurden die Konferenzen in Englisch, es wurde aber auch viel Französisch gesprochen. Wir haben alle nötigen Dokumente besorgt, einen Film erstellt und nach Fotos gesucht. Auch Empfehlungsschreiben sind dabei, unter anderem von einer Mutter sowie Urgroßmutter, die auch bei der Geburt ihrer Enkelkinder dabei war. Das alles war viel Arbeit.
Die Bewerbung wurde unter anderem mit Hebammen aus Kolumbien, Togo oder Zypern eingereicht. Weit sind diese voneinander entfernt und doch ähnelt sich die Arbeit der Hebammen auf den verschiedenen Kontinenten.
Genau, die Kompetenz und das Wissen bleiben gleich – unabhängig vom Kontinent. Überall kommen Hebammen ohne technische Hilfsmittel aus, so wie auch immer die Berührungen wichtig sind. Als Beispiel: Massagen bei der Geburt gibt es überall. Von Land zu Land unterscheidet sich dann allerdings die Art und Weise, wie und in welchem Rhythmus massiert wird. In den einen Ländern sanfter, in anderen fester. In Luxemburg findet die Massage höchstwahrscheinlich in einem Kreißsaal statt, während es in anderen Ländern vielleicht ein Zelt ist. Das Ziel allerdings ist überall dasselbe: das Wohlbefinden der Frau.
Wie geht es denn jetzt weiter, rechnen Sie mit einer positiven Antwort?
Bei der Unesco entscheidet ein Ausschuss aus Vertretern verschiedener Länder darüber. Dieser trifft sich immer am Ende eines Jahres. Wir werden frühestens Ende 2023 eine Rückmeldung bekommen und werden das alles sehr gespannt verfolgen. Natürlich hoffen wir, dass wir die internationale Anerkennung bekommen. Aber wir sind da sehr positiv gestimmt – ich kann mir keinen Grund vorstellen, weshalb die Bewerbung abgelehnt werden sollte. Alleine die internationale Zusammenarbeit ist ein wirklich starker Punkt der Kandidatur.
Unesco-Kandidaturen: die dreiteilige Serie
Das sogenannte „Fléitzen“, die Wanderschäferei und die Fähigkeiten, Praktiken sowie das Wissen von Hebammen könnten bald drauf stehen: auf der repräsentativen Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit von der „United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization“ (Unesco). Denn gemeinsam mit anderen Ländern hat Luxemburg drei Kandidaturen bei der Unesco eingereicht. In einer dreiteiligen Serie werden diese an den kommenden Wochenenden vorgestellt.
Zurück zu Luxemburg und der Aktualität: Anfang April wurde die Entbindungsstation des Ettelbrücker „Centre hospitalier du Nord“ (CHdN) vorübergehend geschlossen. Wie bewertet die ALSF eine solche Entwicklung?
Wir setzen uns dafür ein, dass die Entbindungsstation im CHdN geöffnet bleibt, denn es ist eine wertvolle Struktur. Auch wenn dort keine Risiko-Schwangere entbunden werden, können in dieser Maternité doch wunderbar Geburten ohne Risiko begleitet werden. Es ist problematisch, wenn die kleineren Entbindungsstationen schließen müssen. Warum sollen denn nicht in kleineren Strukturen Schwangerschaften begleitet werden, die kein Risiko bergen?
Ziel einer Aufnahme in die Liste des immateriellen Kulturerbes ist immer auch eine größere Sichtbarkeit. Wie viele Menschen üben diesen Beruf denn überhaupt in Luxemburg aus?
Laut Zahlen von 2019 sind es etwa 230, rund 50 davon als freiberufliche Hebammen. Allerdings dürfte die Gesamtzahl seitdem etwas gestiegen sein. Es sind nicht viele und es könnten mehr sein. Aber wir sind in den letzten Jahren enorm weitergekommen: Die ALSF hat 2019 den 100. Geburtstag gefeiert und es wurden neue Leistungen mit der CNS ausgearbeitet. Durch eine neue Gesetzgebung haben Hebammen seit 2019 wieder mehr Autonomie. Lange Zeit wurden sie nur als Assistenz des Arztes angesehen. Wir arbeiten aber weiter auf allen Ebenen an der Anerkennung des Berufes. Denn es ist nicht egal, wie wir geboren werden.
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