EU-Kommission / Ursula von der Leyen in Bedrängnis: Die meisten EU-Staaten ignorieren Aufruf zur Geschlechterparität
Die Sommerpause in Brüssel ist noch nicht beendet, erst in der kommenden Woche nimmt der EU-Betrieb langsam wieder Fahrt auf. Doch für die im Juli wiedergewählte deutsche Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zeichnet sich bereits die nächste Machtprobe ab. Diesmal könnte sie den Kürzeren ziehen.
Der Grund: Die meisten EU-Staaten ignorieren von der Leyens Wunsch, je einen männlichen und einen weiblichen Kandidaten für die nächste EU-Kommission zu nominieren und so für Geschlechterparität zu sorgen. Viele halten es wie Luxemburg und stellen nur einen einzigen, männlichen Bewerber auf – in diesem Fall Christophe Hansen.
16 Männer und nur fünf Frauen – so fiel die Geschlechter-Bilanz am Freitag, rund eine Woche vor Ablauf der Bewerbungsfrist, aus. Wenn es mit den Nominierungen so weitergehe, könnten die Männer am Ende über eine Zweidrittel-Mehrheit in der neuen Kommission verfügen, schreibt das Brüsseler Portal „Politico“.
„Das sind wirklich schlechte Nachrichten“, zitiert „Politico“ die spanische Europaabgeordnete Alvez (S&D), die im neuen Parlament für Frauenrechte und Gleichstellung zuständig ist. „Die neue Kommission darf kein Männerclub werden“, warnt die deutsche Europa-Staatssekretärin Anna Lührmann von den Grünen.
Doch die Liste der bisher bekannten Namen spricht eine andere Sprache. Österreich hat Finanzminister Magnus Brunner nominiert – einen Mann. Frankreich hält an Thierry Breton fest – ebenfalls ein Mann. Ungarn möchte eine zweite Amtszeit für Olivér Várhelyi, Lettland schickt erneut Valdis Dombrovskis nach Brüssel.
Die prominenteste weibliche Kandidatin – neben von der Leyen – ist Kaja Kallas aus Estland. Sie war allerdings bereits im Juni nominiert worden – von den 27 Staats- und Regierungschefs, die sie zur neuen EU-Außenbeauftragten ernennen möchten. Sie läuft sozusagen außer der Reihe.
Frauen unterrepräsentiert
Weitere Frauen kommen aus Kroatien, Finnland und Schweden. Auch Spanien dürfte mit Teresa Ribera, der bisherigen Vizeregierungschefin, eine prominente Politikerin nach Brüssel schicken. Das war’s aber auch schon. Die Frauen sind deutlich unterrepräsentiert. Selbst wenn die noch fehlenden fünf Staaten ihre Wahl treffen, dürfte sich die Lücke nicht mehr schließen.
Dies ist nicht das einzige Problem, mit dem von der Leyen fertig werden muss. Hinzu kommt, dass viele EU-Länder darauf bestehen, dass die deutsche Behördenchefin „ihren“ Kommissaren einen wichtigen Posten zuweist. Italien, Frankreich, Polen – jeder will einen „Platz an der Sonne“ mit viel Einfluss und einem wohlklingenden Titel.
Um allen Wünschen gerecht zu werden, hat von der Leyen in der letzten Legislaturperiode die Kategorie der „Executive Vice Presidents“ geschaffen, die noch über den „einfachen“ Vizepräsidenten stehen. Doch selbst das dürfte diesmal nicht reichen. Es gibt einfach nicht genug Posten, um den Machthunger der EU-Staaten zu stillen.
Was tun? Von der Leyen und ihre Berater halten sich bedeckt. Man wolle erst einmal die vollständige Liste der Kandidaten abwarten, heißt es in Brüssel, danach werde man weitersehen. Einzelne Kandidaten kann von der Leyen nach deren Anhörung im Europaparlament zurückweisen – doch weibliche Bewerber erzwingen kann sie nicht.
Wer hat den längeren Hebel?
Ihr wichtigster Hebel ist die Verteilung der Aufgabengebiete. Neben den traditionell wichtigen Dossiers wie Wirtschaft, Finanzen, Binnenmarkt und Handel ist diesmal auch die Erweiterung heiß begehrt – Stichwort Ukraine-Beitritt. Neue Portfolios wie Verteidigung und Mittelmeerpolitik stoßen ebenfalls auf großes Interesse.
Doch selbst wenn es von der Leyen gelingen sollte, den Kuchen gerecht unter die 27 Mitgliedstaaten zu verteilen, die Geschlechterparität bleibt ein Problem. Kritiker wie der Pariser Europarechtler Alberto Alemanno sehen hier schon die Glaubwürdigkeit der EU gefährdet – und die Autorität der alten und neuen Kommissionschefin.
Von der Leyen sei an die Vorschläge der Mitgliedstaaten nicht gebunden, sagt Alemanno. Sie könne auch Nein sagen oder weitere (weibliche) Kandidaten anfordern. Dafür müsste sie sich aber mit mächtigen Ländern wie Frankreich anlegen – und mit Luxemburg und der Mehrheit der anderen Mitgliedstaaten, die nur einen Mann nominiert haben. Dass sie dazu den Mut hat, bezweifeln viele in Brüssel.
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