Debatte um das „Südspidol“ / Vera Spautz befürchtet Privatisierung des Gesundheitssystems
Vera Spautz (LSAP) befürchtet, dass das Projekt „Südspidol“, wie es derzeit vorliegt, Gefahr läuft, „durch die Hintertür“ verändert zu werden. Was ist an den Vorwürfen dran?
Als das Projekt „Südspidol“ 2012 erstmals offiziell bestätigt wurde, sollte das neue Krankenhaus gemäß Plan 2020 eröffnen. Seitdem wurde das Eröffnungsdatum mehrmals verschoben. Es liegt inzwischen, wenn alles gut geht, bei Ende 2026. Das Finanzierungsgesetz ist gestimmt, das Konzept hat die Zustimmung der Regierung. Aber genau dieses Konzept, befürchtet Vera Spautz (LSAP), sei inzwischen gefährdet. Spautz ist Mitglied des Verwaltungsrates des CHEM.
„Seit einem Jahr läuft das Projekt Südspidol aus dem Ruder“, sagte die LSAP-Politikerin am 6. Dezember im Escher Gemeinderat. CHEM-Generaldirektor Hansjörg Reimer informiere den Verwaltungsrat nur tröpfchenweise oder überhaupt nicht darüber, wie es weitergehe. Der Generaldirektor scheine aktiv daran beteiligt zu sein, die Auslagerung medizinischer Aktivitäten aus dem öffentlichen Dienst möglich machen zu wollen. Spautz sagt, sie habe das Vertrauen in Reimer verloren.
Präsentation „Private Public Partnership“
Zu diesem Schluss kommt die LSAP-Rätin unter anderem wegen eines Punktes auf der Tagesordnung des „Conseil stratégique“ des CHEM-Verwaltungsrats am 27. November 2019. Darauf stand ein Vortrag von Dr. Henny Van Laarhoven. Die Ärztin ist Expertin zum Thema „Liberalisierung technischer Ausstattung“. Sie sprach im Verwaltungsrat über die sogenannte „Private Public Partnership“ nach dem Modell in Maastricht. Daraus erschließt sich für Spautz die Möglichkeit der Auslagerung von medizinischen Aktivitäten des CHEM aus dem Krankenhaus. Diese werde womöglich „durch die Hintertür“ von einigen Entscheidungsträgern geplant – also klammheimlich, ohne das Vorhaben direkt anzusprechen.
Seit rund einem Jahr gebe es eine Ärztelobby, die immer mehr Forderungen stelle. Diese sei vertreten durch ein paar extreme Lobbyisten der AMMD, sagte Spautz in ihrer Rede. Besonders scharfe Kritik übte sie am Präsidenten der AMMD, Dr. Alain Schmit, einem Escher Arzt, der selbst im CHEM arbeitet: „Er spricht sich öffentlich dafür aus, ein privates und profitorientiertes Gesundheitssystem einzuführen“, so die LSAP-Rätin.
Träger Fortschritt
Vorwürfe, gegen die sich Dr. Alain Schmit wehrt. „So etwas haben wir nie gesagt oder geschrieben und es stimmt auch nicht“, antwortete er auf Nachfrage des Tageblatt. Das Problem sei, dass das System durch Ärztemangel und überlastete Krankenhäuser nicht mehr für jeden zugänglich sei. „Und das in Anbetracht einer Bevölkerung, die immer schneller wächst“, sagte Schmit.
Um das Problem zu lösen, fordert die AMMD in einem Gesetzesprojekt, das sie im Mai 2019 eingereicht hat, dass sich Ärzte in Gesellschaften zusammenschließen können. Laut Schmit mit dem alleinigen Zweck, sich besser organisieren zu können. Zwischen den Krankenhäusern und den von Ärzten geleiteten, ambulanten Einrichtungen müssten Brücken gebaut werden, es dürfe auf keinen Fall aneinander vorbei gearbeitet werden. „Wir schlagen auch einen neuen Finanzierungsschlüssel für medizinisches Equipment vor, damit das Gesundheitswesen schneller fortschreiten kann“, erklärte Schmit. Das aktuelle System der Haushaltsvorlagen, die nur alle zwei Jahre überarbeitet werden, könne nicht mit der schnellen Entwicklung Schritt halten.
Zu der Befürchtung von Vera Spautz, Luxemburg könne von privaten Gesundheitskonzernen wie Fresenius überrollt werden, sagte Dr. Alain Schmit: „Wir sind uns einig, dass wir das nicht wollen.“ Eine solche Ärztegesellschaft müsse an Konventionen gebunden sein, die noch ausgearbeitet werden müssten.
„Out of hospital“ im Koalitionsvertrag
Die AMMD reagierte zudem öffentlich mit einer fünfseitigen schriftlichen Stellungnahme zu den Anschuldigungen der früheren Escher Bürgermeisterin, die auf der Internetseite der Ärztegewerkschaft, www.ammd.lu, zu finden ist. Darin wird wiederholt geschrieben, dass Vera Spautz die Realität in den Krankenhäusern offenbar nicht kenne. Dass die medizinische Versorgung nur auf das Krankenhaus zentriert wird, sei nicht mehr zeitgemäß und gefährde sowohl Arbeitsplätze im Gesundheitswesen als auch den Zugang der Patienten zu einer qualitativ hochwertigen Pflege. In dem Schreiben verweist die AMMD auf den Koalitionsvertrag, der auch von der LSAP unterschrieben wurde und in dem steht, dass die „ambulante Wende“ von der Regierung unterstützt würde. Der Koalitionsvertrag sieht vor, Alternativen zu Krankenhausaufenthalten zu entwickeln, wenn dies ohne Qualitätsverlust möglich ist. Zudem würde die Krankenpflege zu Hause oder in anderen, günstigeren intermediären Pflegeeinrichtungen unterstützt, indem ein „Out of hospital“-Aktionsplan entwickelt werde.
Die AMMD betont, dass der medizinische Fortschritt mit einer Neuorganisation der Patientenbetreuung einhergeht und beschuldigt die LSAP-Rätin, an „sektiererischen und parteilichen Ideen des letzten Jahrhunderts“ festzuhalten. Es gehe nicht um Profit, sondern darum, flexible und innovative ambulante Strukturen zu entwickeln. Die AMMD bittet in der Stellungnahme um ein baldiges Treffen mit den Vertretern des Gemeinderats, um bleibende Fragen zu klären.
Die Personalfrage
Auf die Forderung der AMMD, Gesellschaften gründen zu können, verwies Vera Spautz in ihrer Rede am 6. Dezember. Sie erinnerte an die parlamentarische Anfrage von Marc Hansen („déi gréng“), in welcher der Abgeordnete darauf aufmerksam macht, dass die AMMD mit ihren Ärzten bereits eine Handelsgesellschaft gegründet hat. Dies im Kontext der von ihnen entwickelten „Gesondheetsapp“, die ab Frühjahr 2020 funktionieren soll.
„Wenn es zu Handelsgesellschaften im Gesundheitssystem kommt, muss auch Personal dahinter stehen“, erklärte Spautz. Das Personal, das außerhalb des Krankenhauses arbeite, sei jedoch nicht durch einen Kollektivvertrag abgesichert. „Das System wird auseinandergerissen und es kommt zu einem Zwei-Klassen-System“, befürchtet Spautz.
Sorgen, die Chantal Gantrel, Präsidentin der Personalvertretung des CHEM, teilt. Sollte es zu einer Auslagerung der Dienstleistungen aus dem Krankenhaus kommen, sei es der Personalvertretung enorm wichtig, dass die notwendigen Strukturen unter der Verantwortung der Krankenhäuser bleiben und dies keine negativen Konsequenzen für die Beschäftigten habe. „Nur wenn es dem Personal gut geht, können die Patienten adäquat versorgt werden. Und darum geht es am Ende. Das wird in den Diskussionen gerne aus den Augen verloren“, sagte sie im Gespräch mit dem Tageblatt.
Präzedenzfall Laboratorien
Erfahrungen im Ausland hätten gezeigt, dass die Privatisierung der Medizin zu keiner Verbesserung des Gesundheitssystems beigetragen habe und zu einer Zwei-Klassen-Medizin führe. Auch hierzulande gebe es das Beispiel bereits: „In den Laboratorien sehen wir es. Der Unterschied zwischen den Gehältern der Angestellten in privaten Laboratorien und denen in öffentlichen ist riesig“, sagte Gantrel. Um genau zu sein, verdiene ein „Assistant technique médical“ (ATM) am Anfang seiner Karriere unter Kollektivvertrag brutto 4.468 Euro mit Aussicht auf Erhöhung. Ohne den Kollektivvertrag, also in einem privaten Laboratorium, verdiene ein ATM häufig den qualifizierten Mindestlohn, also 2.485 Euro brutto.
Dennoch seien beim Personal des CHEM derzeit größtenteils keine Ängste zu spüren: „Sie wissen, dass wir das als Personalvertretung nicht zulassen und, falls notwendig, gewerkschaftliche Aktionen planen würden“, betonte sie und bedauerte, dass Vera Spautz derart in die Schusslinie geraten ist. „Ohne sie würden wir diese wichtige Diskussion jetzt nicht führen.“
Die AMMD beschuldigt Spautz in ihrer Stellungnahme, die Ärztevereinigung durch Lügen diskreditieren zu wollen. Sie verwende populistische Argumente, um dem CHEM-Personal und den Bürgern im Allgemeinen Angst zu machen. Ihre Herangehensweise deutet die Ärztegewerkschaft als Versuch, in Esch wieder an die Macht zu gelangen, und zwar auf Kosten der Patienten, die auf pragmatische politische Entscheidungen warten.
Scanner in „Maison médicale“
Laut Vera Spautz beweise die Vehemenz, mit der die AMMD auf ihre Aussagen reagiert, dass etwas Wahres dran sei. „Wenn meine Behauptungen nicht stimmen würden, könnte das ja belegt werden“, sagte sie. Zudem würde die AMMD ständig nur über sich – also die Ärzte – sprechen. „Was ist mit all den anderen Berufsgruppen im Krankenhaus?“
CHEM-Generaldirektor Hansjörg Reimer zeigte sich dem Tageblatt gegenüber enttäuscht über den Vertrauensverlust, den Vera Spautz ihm gegenüber geäußert hat. Erst vergangene Woche annullierte das Verwaltungsgericht eine Entscheidung des Gesundheitsministeriums. Eine „Maison médicale“ auf Cloche d’Or hatte darum gebeten, einen Scanner installieren zu dürfen. Das Gesundheitsministerium sagte Nein und berief sich auf das Gesetz vom 29. April 1983 und die großherzogliche Regelung vom 17. Juni 1993. Diese sieht vor, dass Scanner- oder IRM-Geräte nicht von Ärzten gekauft werden dürfen, die außerhalb eines Krankenhauses arbeiten. Dieses Gesetz stimme jedoch nicht mit der Verfassung überein, so die Entscheidung des Gerichtes. Der Grund: Ärzten den Kauf von Geräten zu verweigern, die sie für ihre Praxis brauchen, bedeute eine Einschränkung der Ausübung des liberalen Arztberufs.
Wunsch nach ambulanter Behandlung
Aus dieser richterlichen Entscheidung schließt Reimer, dass das Ministerium die Gesetzgebung schon bald ändern könnte und große Geräte künftig auch außerhalb der Krankenhäuser erlaubt sein werden. „Wenn diese Entscheidung getroffen wird, stammt sie von der Regierung und nicht vom Krankenhaus“, betonte er. In der Sitzung, in der das Prinzip der „Public Private Partnership“ vorgestellt wurde, sei also nur über die Aktualität gesprochen worden.
Fakt sei auch, dass immer mehr Patienten sich eine ambulante Behandlung wünschten und das Krankenhaus aus allen Nähten platze. Reimer zufolge sind Auslagerungen von Krankenhausdiensten nur dann denkbar, wenn sie als eine Art Antenne des Krankenhauses fungieren und zu 50 Prozent von diesem geführt werden. Die Ärzte, die dort arbeiten, sollen einen Vertrag mit dem Krankenhaus und dadurch eine hohe Verantwortung haben. „Natürlich muss man sich noch viele Gedanken machen. Alleine zum Thema Finanzierung von Material und Personal“, sagt Reimer. Er selbst habe den Posten des Generaldirektors von Vera Spautz in ihrer Zeit als Bürgermeisterin bekommen – hauptsächlich wegen seiner personalpolitischen Einstellung, zu der er noch immer steht: „Solange ich hier bin, wird niemand entlassen“, bekräftigte er. Auch nicht im Fall einer Auslagerung. Sollte es in Zukunft möglich sein, zum Beispiel eine Chemotherapie bei einem Patienten zu Hause durchzuführen, könne das nicht von irgendjemandem durchgeführt werden. „Auch hier braucht es ausgebildetes Krankenhauspersonal“, sagte Reimer, „es wird immer genügend Arbeit geben“.
Verwaltungsrat tagte am Montag
Bürgermeister Georges Mischo, der gleichzeitig der Präsident der Verwaltungsrats des CHEM ist, bedauerte in der Gemeinderatssitzung am 6. Dezember, dass Interna aus dem Verwaltungsrat des CHEM an die Öffentlichkeit getragen würden. Er distanzierte sich von den Aussagen von Vera Spautz, betonte jedoch auch, dass eine Privatisierung nicht im Interesse des Südspidols sei und er diese als Präsident des CHEM-Verwaltungsrates nicht unterstütze.
Letzterer tagte übrigens am Montag. Dr. Hansjörg Reimer ging gestärkt aus der Sitzung heraus, wie er gestern dem Tageblatt gegenüber sagte: „Der Verwaltungsrat hat mich in all meinen Vorgehensweisen unterstützt“, sagte er. Es täte gut, weiterarbeiten zu können, ohne sich zu viele Gedanken um politische Diskussionen machen zu müssen. Für Vera Spautz war die Sitzung am Montag jedoch wenig aufschlussreich: „Entscheidungen sind keine gefallen“, sagte sie gestern.
- Erste Einblicke ins Escher „Bâtiment IV“, wo Cueva an seinem bisher größten Projekt mit 106 Künstlern arbeitet - 24. Oktober 2020.
- Esch will Vorreiter in Sachen Sport werden - 24. Oktober 2020.
- Nach Transition zurück auf der Bühne: Luxemburger überzeugt zum zweiten Mal bei „The Voice of Germany“ - 21. Oktober 2020.
Et pourquoi pas, les médecins et le personnel savent qu’ils ont
interêt à ce que les patients soient satisfaits, leurs dettes ne seront pas réglées par l’Etat. Nous y avons été plusieures fois et toujours satisfaits, ce qu’on ne peut pas dire du CHEM.