SEW und CGFP / Verbände warnen vor neoliberalem Angriff auf das Luxemburger Bildungswesen
Neue Gesetzesvorhaben würden es Akteuren aus der Privatwirtschaft erlauben, spezialisierte Sekundarschulen zu leiten. Das würde mittelfristig nicht nur die Ungleichheiten im Schulsystem verstärken, sondern letztlich auch die in der Gesellschaft, warnt der Lehrerverband SEW. Auch die Berufsverbände des öffentlichen Dienstes warnen vor einer erodierenden Wirkung einer liberalen Agenda. Beide setzen in ihrem Widerstand darauf, dass sich die Regierungskoalition in dieser Frage unmöglich einig sein könne.
Nicht erst seit gestern, sondern schon seit Jahren sieht das Syndikat Erziehung und Wissenschaft (SEW) eine liberale Unterwanderung des Schulsystems in Luxemburg am Werk. Jetzt warnt man besonders vehement vor dem neuen Gesetzesprojekt mit der Nummer 7662. Es solle ermöglichen, „Direktoren an Lyzeen einzusetzen, die weder pädagogische Kenntnisse haben müssen noch die administrativen Sprachen beherrschen“, heißt es etwa in einem Facebook-Post vom Freitag.
An sich bezieht sich der geplante Gesetzestext explizit nur auf „spezialisierte Lyzeen“, also etwa Schulen für das Gastronomiegewerbe oder für Gesundheitsberufe. Allerdings befürchtet der SEW-Vorsitzende Patrick Arendt, dass diese Vorbedingung nur ein Türöffner sein soll. In der Einleitung zum Gesetzesvorhaben wird betont, dass die Liste der so definierten Lyzeen jederzeit wachsen könne. „Das ist der eigentliche Sprengstoff in der Geschichte!“, sagt Arendt gegenüber dem Tageblatt.
Worum geht es konkret? Im Exposé zum Text heißt es, es erweise sich als immer schwieriger, „geeignete Kandidaten für eine Führungsposition in spezialisierten Lyzeen zu finden“. Grund dafür seien die „sehr restriktiven Anspruchsvoraussetzungen. Die Kandidaten müssen Lehrer in der höheren Laufbahnstufe sein und mindestens fünf Jahre Berufserfahrung als Lehrer haben.“
„Bodenloser Affront“
Eine Lösung für Meisch: Er will die Leitung der betreffenden Lyzeen öffnen für Fachleute aus den Branchen, in denen die jeweilige Schule ihren Schwerpunkt hat – genauer gesagt für „für Fachleute aus der Privatwirtschaft, die eine mindestens fünfjährige Berufserfahrung in diesem Bereich oder in einem der spezifischen Spezialisierungsbereiche des Lyzeums vorweisen können“. Andere bislang verbindliche Voraussetzungen, vor allem pädagogische Kenntnisse, wären dann gar nicht mehr nötig.
Für Patrick Arendt ein Ding der Unmöglichkeit – abgesehen davon, dass der angebliche Mangel an geeigneten Kandidaten niemals belegt worden sei, gelte: „Eine Schule ist nicht einfach wie ein Unternehmen zu führen!“ Arendt empört sich über den Vorstoß, der in Bezug auf andere Akteure des Bildungswesens auch mit einer zweiten Gesetzesinitiative in gleicher Stoßrichtung gemacht wird: Das Projekt 7658 blickt ebenfalls wenig pädagogisch, aber umso technokratischer auf den „Service de coordination de la recherche et de l’innovation pédagogiques et technologiques“ (Script), das „Institut de formation de l’éducation nationale“ (IFEN) und das „Centre de gestion informatique de l’éducation“ (CGIE), die etwa für Akteure aus der Privatwirtschaft zugänglich werden sollen – auch, wenn ihnen aber jeder Einblick in die Besonderheiten des luxemburgischen Schulsystems fehlt.
„Ein bodenloser Affront“ sind die Vorstellungen des Bildungsministers auch für die CGFP („Confédération générale de la fonction publique“, Zusammenschluss von Berufsverbänden des öffentlichen Dienstes): „Die Krönung ist, dass in den oben angeführten Fällen pädagogische Kenntnisse nicht mehr erforderlich sein sollen“, heißt es am Freitag in einer Mitteilung. „Auch das Beherrschen der drei Amtssprachen soll künftig als Kriterium wegfallen. Beim IFEN soll die aufgelockerte Sprachregelung für alle Beamten der oberen und mittleren Laufbahn sowie für sämtliche Angestellte und Praktikanten gelten.“ Auch die CGFP befürchtet, „dass die neuen Bestimmungen in naher Zukunft auf die restlichen Sekundarschulen ausgedehnt werden können“.
Ebenfalls im Raum steht der Versuch, der Vetternwirtschaft Vorschub zu leisten: „Die CGFP will verhindern, dass Parteimitglieder beziehungsweise enge Vertraute oder Freunde von Regierungsmitgliedern bedenkenlos im Staatsdienst platziert werden können.“
Eine geteilte Sorge: Auch SEW-Mann Arendt ist sicher, dass der liberale Bildungsminister nicht einfach ungeschickt handelt, sondern zutiefst berechnend vorgehe: „Wir sehen das alles in einem größeren Kontext.“ Das Vertrauen in das luxemburgische Schulsystem werde schon seit langem systematisch ausgehöhlt – um über die entstehende Verunsicherung eine neoliberale Agenda durchzudrücken.
Kämpferische Ansagen
Die von Kritikern befürchtete Folge: Waren Schulen in Luxemburg bisher Orte der Inklusion und Integration, an denen Schüler verschiedenster geografischer und ökonomischer Herkunft zusammenkommen, werde dies beendet durch spezialisierte Angebote wie die internationalen Schulen, deren Strukturen es vordergründig den Schülern einfacher machen, die etwa mit der Sprachenvielfalt Luxemburgs überfordert sind. Letztlich würden aber nicht nur deren Aussichten auf Integration und Erfolg geschmälert, sondern auch der Kitt ausgekratzt, der die Luxemburger Gesellschaft zusammenhält. Mit Schulleitern, die keinem pädagogischen Ideal mehr folgen können, da sie gar keins kennen, sondern die vor allem kurzfristig pragmatisch und „sachorientiert“ denken und planen, werde diese Entwicklung noch weiter beschleunigt.
Das gehe mit den neuen Vorhaben „Schritt für Schritt so weiter“, sagt Patrick Arendt – „wenn es keinen Aufschrei gibt!“ Für den will man jetzt sorgen – wobei der SEW-Präsident das Tempo, mit dem Claude Meisch die Gesetze verabschieden wolle, ebenso kritisiert wie den überhaupt gewählten Zeitpunkt dafür mitten in einer schweren Gesundheitskrise, die auch an den Schulen viel Aufmerksamkeit erfordert, die also den Lehrern und ihren Gewerkschaften derzeit einfach fehle. „Das ist ein ganz klares Beispiel dafür, dass eine Lage ausgenutzt wird, um ein kontroverses Gesetz schnell durchzupreschen!“
Man habe jedenfalls „kaum Zeit zu reagieren“ und im Vorfeld habe es offensichtlich keinerlei Gespräche mit einer Gewerkschaft gegeben – trotzdem könnte das Gesetz schon bald zur Verabschiedung anstehen. Darum wende man sich jetzt an die Koalitionsparteien LSAP und die Grünen: „Da haben wir noch die Hoffnung, dass das Geplante deren Philosophie widerspricht“, sagt Arendt. Bei Facebook appelliert die SEW gezielt an die LSAP, ihren „Werten treu zu bleiben und gegen das Gesetz zu stimmen“. In die gleiche Kerbe haut der Superverband CGFP: Bald werde sich „zeigen, ob die Abgeordneten ihre Kontrollfunktion im Plenum ernsthaft wahrnehmen oder nicht.“ Man werde „diese perfiden und völlig sinnlosen Privatisierungsbemühungen nicht tatenlos hinnehmen, sondern ihnen Einhalt gebieten. Hält die Regierung weiterhin an ihrem neoliberalen Kurs fest, muss sie mit heftigem Widerstand rechnen.“
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Zum 100. Mal, Kindern lesen und schreiben beibringen ist keine hoheitliche Aufgabe die Staatsbeamte erfordert.
@ Henry Edward: Nun mag man nicht Staatsbeamter sein, den Schülern eine adäquate Bildung beizubringen, allerdings müsste dann der Privatlehrer etliche vom Staat durchgeführte Examina ablegen und ein Gesetz geschaffen ,die Privatschulen keine Schulgebühren erheben dürften. Schließlich wollen wir allen Kindern eine gleiche Schulbildung zukommen lassen , keine Klassengesellschaft einführen.
Genauso wie im Artikel erwähnt , die politische Vetternwirtschaft versucht in sämtlichen Bereichen Fuss zu fassen und damit die Kontrollherrschaft besser zu gewährleisten ! Die neue demokratische Diktatur !
@Scholer,
genau richtig. Beispiel USA wo Geld den größten ungebildeten Trottel zum Präsidenten machen kann.Gewählt von einem Mob der besser den Schulbesuch nicht so früh abbrechen hätte sollen. Diplome sollten nicht käuflich sein.Obwohl das geht auch bei uns wie verschiedene Politnasen in Deutschland bewiesen haben.Dr für Bares.Ehre muss man sich verdienen,die sollte man nicht in die Wiege gelegt bekommen.(Aristoteles) Alles eine Sache der Gesetzgebung.
„der Vetternwirtschaft Vorschub zu leisten: „Die CGFP will verhindern, dass Parteimitglieder beziehungsweise enge Vertraute oder Freunde von Regierungsmitgliedern bedenkenlos im Staatsdienst platziert werden können.“
Wird bereits praktiziert. Hören und sehen sie sich mal richtig um in den öffentlichen Staatsbetrieben.
Unglaublich, anstelle das Niveau in den Schulen noch weiter zu senken und unqualifizierten Leuten, welche noch nie in diesem Sektor gearbeitet haben, kein Examen abgelegt haben und nichts weiter als die richtige Parteikarte besitzen so den Zugang zu gut bezahlten Stellen zu ermöglichen als Spendemotivation à la américaine, sollte mal dort angepackt werden wo es nötig ist!
Also da hätte wer gerade in dieser Zeit besser seine Energie und Ressourcen bei dem katastrophalen Management der Covid-Krise eingesetzt!!!
Ich finde die Idee gut. Das antiquierte „from-school-to-school“ System ist in Zeiten schneller technolgischer Umschwünge und beruflichem Wandel nicht mehr zweckmäßig. Wozu dienen Top-Pädagogen, die ihre Schüler auf eine Welt, deren Luft sie nur wenig oder gar nicht geschnuppert haben, vorbereiten sollen?
@J.Scholer
„Schließlich wollen wir allen Kindern eine gleiche Schulbildung zukommen lassen , keine Klassengesellschaft einführen.“
Etwas spät, finden Sie nicht?
Schon mal was von Privatschulen gehört, wo die Elite des Landes von Privatbeamten erzogen werden?
Wenn’s für die Reichen gut genug ist, warum nicht für den Rest?
Ich bedauere die Schüler. Seit dem Ende der sechziger Jahre des vorigen Jahrtausends wird nur noch am Schulsystem herumexperimentiert, angestiftet durch ex-Pusteblumenhippies und fortgeführt durch die Nachkommen eben solcher. Man kann den Schülern nichts vorwerfen wenn das Bildungsniveau stetig sinkt.