Europäische Kommission / Verbrenner-Aus, Verbrenner-An – was die EU wirklich plant
Wenige Klimaschutzprojekte haben Politik und Publikum mehr polarisiert als das für 2035 geplante Verbot neuer Autos mit Verbrennermotoren. Mit ihrer Ankündigung, das zu ändern, hat Ursula von der Leyen scheinbar Gegner und Befürworter bestätigt. Was die Akteure des nun beginnenden Prozesses der EU-Gesetzgebung wirklich planen.
Die Präsidentin spricht zwei Sätze – und die Zuhörer jubeln. „Das Verbrenner-Aus ist Geschichte“, postet EVP-Chef Manfred Weber nach der Veröffentlichung von Ursula von der Leyens politischen Leitlinien für die künftige EU-Politik. „Der Status quo ist bestätigt“, freut sich nicht minder der Klimaschutzexperte der EU-Grünen, Michael Bloss. Sie beide beziehen sich auf einen Satz, an dem die Kommissionspräsidentin mit ihrem Stab lange gefeilt haben dürfte. Eingeleitet wird die Passage mit dem Hinweis, dass das „Klimaneutralitätsziel für Personenkraftwagen für 2035“ sowohl den Investoren als auch den Herstellern „Vorhersehbarkeit“ biete. „Auf diesem Weg ist ein technologieneutraler Ansatz erforderlich, bei dem E-Fuels eine Rolle spielen werden, indem die Vorschriften im Rahmen der geplanten Überprüfung gezielt geändert werden.“
Die Formulierungen sind so gewählt, dass sie die Gefühle triggern. „Gezielt geändert“ scheint dem Wahlkampf-Versprechen der EVP geschuldet zu sein, das Verbrenner-Aus noch einmal gründlich zu überarbeiten. „Technologieneutraler Ansatz“ greift die Forderungen der Liberalen auf, sich nicht einseitig auf Elektromobilität festzulegen. „E-Fuels eine Rolle spielen“ unterstreicht dieses Anliegen und dokumentiert die Bereitschaft, viel weiter zu gehen als bisher. „Klimaneutralitätsziel für Personenkraftwagen für 2035“ bestätigt gleichzeitig den Sozialdemokraten und Grünen, dass da nichts von den festgelegten Zielen wieder einkassiert wird. Und schließlich spricht den Klimaschützern die Platzierung aus der Seele. Die Passage hat von der Leyen nicht unter die Ausführungen zu Erleichterungen für Unternehmen und Verbraucher gepackt, sondern unter den „Deal für eine saubere Industrie“. Und sie stellt dem sogar eine weitere Fixierung voran: „Um bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen, wird in allen Bereichen von Mobilität bis Energie ein breites Spektrum an innovativen Technologien benötigt.“
Längst beschlossene Sache
Die Auslegungen laufen denn auch in zwei Ebenen. Die eine betrifft die Lufthoheit über den Stammtischen der Bleifußfreunde mit der Botschaft: Sie packen das Verbrenner-Aus noch mal an, weil es nun „gezielt geändert“ werden soll. Sie spricht zugleich die Gefühlswolken über den Mateteerunden an, indem sie alles bestätigt, was Klimaschützern wichtig ist. Die zweite Ebene spielt sich bei den Feinschmeckern der europäischen Gesetzgebung ab: Technologieneutral war der Ansatz schon immer, eine Festlegung auf E-Mobilität stand nicht drin – nur dass Neufahrzeuge schrittweise immer weniger Schadstoffe ausstoßen dürfen – bis sie 2035 bei null angekommen sind. Auch bisher spielten E-Fuels bereits eine Rolle – wenn auch nur unter den zusätzlichen Erwägungsgründen für die Ausführungsbestimmungen, wonach Ausnahmen möglich sein werden. Schließlich ist auch die Überarbeitung 2026 längst beschlossene Sache. Die Auslegung reicht deshalb von „Wird alles anders“ bis „Bleibt alles gleich“.
Also haben Experten des operativen Geschäfts zu klären, was die EU voraussichtlich wirklich mit dem Verbrenner-Aus macht, wenn die Kommission ihren Überarbeitungsvorschlag vorlegt und Parlament und Ministerrat dann einen neuen Kompromiss aushandeln. „Politisch hat man sich bereits vor der Wahl auf eine begrenzte Ausnahme für E-Fuels bei Pkws geeinigt – vorausgesetzt, dass diese ausschließlich mit E-Fuels betrieben werden können“, erläutert der Umweltexperte der Europa-SPD, Tiemo Wölken. Diese Ausnahme werde nun rechtssicher im Rahmen des regulären Review-Verfahrens in das Gesetz über die Flottengrenzwerte aufgenommen, anstatt über die Euro-6-Verordnung verankert zu werden. Juristen hatten ohnehin bezweifelt, dass die Ausnahmen europarechtlich über eine Seitenbestimmung Geltung gewinnen können, wenn die eigentliche Kernbestimmung sie nicht vorsieht.
Überarbeitung vorziehen
Wie groß der Marktanteil der synthetischen Treibstoffe aufgrund dieser Ausnahmebestimmung werden kann, lässt sich kaum absehen. Grüne und SPD verweisen auf den immens hohen Preis und Aufwand, der derzeit weit größer ist als eine Umstellung auf E-Antrieb. Die E-Fuels-Lobby glaubt daran, dass sich das schnell ändern kann, wenn erst einmal klargestellt ist, dass alle Verbrennermotoren auch weit über 2035 eine Zukunft haben, wenn sie nur sauber betankt werden. Und sie verweist darauf, dass das für das Klima auch mehr bringt, da dann die vielen verbleibenden Alt-Autos schneller klimaneutral fahren, da sie dann auch vom fossilen auf den synthetischen Sprit umsteigen können.
So macht denn auch der Umweltexperte der Europa-CDU, Peter Liese, zu den Auswirkungen der Novelle klar: „Was aus dem Verbrenner nach 2035 wird, hängt entscheidend davon ab, wie erschwinglich und verfügbar dann E-Fuels sind.“ Langfristig müsse die EU zu einer auf den gesamten Lebenszyklus eines Fahrzeuges bezogenen Netto-Null-Klimaneutralität kommen. Sprich: Es soll nicht mehr nur gemessen werden, was am Auspuff rauskommt, sondern auch, welche Belastungen bei der Herstellung von Fahrzeug und Energie entstehen. Da hätten in Deutschland E-Autos derzeit schlechte Karten, weil sehr viel Strom immer noch aus fossilen Brennstoffen kommt. Liese ist sich aber auch sicher: „Weil am Ende die komplette Klimaneutralität steht, gehört dem E-Auto die Zukunft.“ Und damit sich Industrie und Verbraucher schnellstmöglich auf alle Optionen einstellen können, plädiert Liese dafür, die Überarbeitung von 2026 auf das nächste Jahr vorzuziehen.
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