/ Verbündete finden, um Identitäten aufzubrechen: Marco Godinho über Pavillon auf Kunstbiennale in Venedig
Obwohl der im Vorfeld gehypte luxemburgische Pavillon nicht mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet wurde, gilt Marco Godinhos poetisches Werk als einer der interessantesten Pavillons der diesjährigen Kunstbiennale. Wir haben uns mit dem luxemburgisch-portugiesischen Künstler unterhalten.
„Marco und ich hatten abgemacht, dass, sollte er es einmal schaffen, den luxemburgischen Pavillon hier in Venedig bespielen zu dürfen, wir ein Boot mieten und dort mit einer Flasche Whiskey feiern“, erklärt Fábio Godinho, der Bruder des Künstlers. Die Eröffnung des Pavillons wurde folglich auch auf einem Boot, das die Kanäle der Lagunenstadt durchquerte, gefeiert. Der Traum der beiden Brüder sah zwar vor, dieses Boot in Porto zu mieten, für den nomadischen Künstler Godinho ist jedoch das Verlagern und Überlappen der Orte fast schon ein fester Bestandteil ihrer Lebensgeschichte. Ein paar Stunden zuvor unterhielt ich mich mit dem Künstler. Durch den Pavillon strömen ununterbrochen neugierige Besucher – viele davon sind Bekannte, die Godinho stets kurz und enthusiastisch begrüßen, bevor er den Gedankenfaden wieder aufnimmt.
Tageblatt: Du bist der erste Künstler, der nicht mehr in der Ca’ Del Duca ausstellt. Wie fühlt es sich an, im Herzen der Kunstbiennale auszustellen?
Marco Godinho: Das Schönste daran, hier auszustellen, ist die schiere Anzahl von Besuchern, die vorbeikommen. Das Arsenale zieht einen schier unkontrollierbareren Fluss an neugierigen Besuchern an – und nicht nur die üblichen Verdächtigen aus Luxemburg. Die Sale d’Armi unterscheidet sich auch räumlich von der Ca’ Del Duca, die aus einigen kleinen Zimmern bestand – man muss seine Arbeit nicht mehr fragmentieren, kann ein Gesamtwerk erschaffen. Klar handelt es sich um einen nationalen Pavillon, der das Projekt eines einzelnen Künstlers in die Vitrine stellt – und trotzdem ist das Schaffen kollektiver als zuvor. In der Ca’ Del Duca warst du auf dich allein gestellt, die Arbeit verlief in einem hermetischen Umfeld. Hier arbeitest du mit den Nachbarn der anderen Pavillons zusammen.
Im Gegensatz zur Ca’ Del Duca gibt es allerdings auch technische Zwänge, die, wie man uns letztes Jahr auf der Architekturbiennale berichtete, rigoros und einschränkend sein können …
Das stimmt, die Einschränkungen sind zahlreich. Fast konnte ich meine eigenen Installationen nicht aufbauen, weil ich nicht den Status eines Arbeiters habe. Der Künstler benötigt einen Verantwortlichen für alles. Mit dem Mietvertrag kommen eine ganze Menge an Sicherheitsregeln hinzu, die man in seine Arbeit einflechten muss. Da man diese nicht im Vorfeld kennt, beziehungsweise sich ihre Konsequenzen für den künstlerischen Prozess nicht sofort ausmalen kann, muss man sich während des Arbeits- und Installationsverlaufs ständig neu anpassen.
Eines der Themen der Pavillons ist der Nomadismus. Trotzdem suchst du immer wieder die Zusammenarbeit mit Familie, Freunden oder deiner Frau. Wie ergibt sich dieser Kontrast?
Niemand kommt ohne Verbündete aus. Ich hatte Glück, dass mein Bruder und ich eine ähnliche Welt- und Gesellschaftsansicht haben. Ich habe für den Empfang auch meinen Vater eingeladen. Die Hefte, die hier kleben, sind im Lido angekommen, wo wir sie noch drei Wochen lang verarbeitet haben. Die Reise dorthin haben wir zusammen mit meinem Vater, meinem Assistenten Paolo del Vecchio und weiteren Verbündeten in einem Kleinlastwagen zurückgelegt. Meine Frau Keong-A Song hat zudem mit dem Begleitbuch „Le monde nomade de Mr. Godinho“ eine Art Off-Projekt zum Pavillon geschaffen. Um meinen nomadischen Schaffensprozess spürbar zu machen, brauche ich Verbündete, mit denen ich gemeinsam einen künstlerischen Weg zurücklege. Für mich ist die Welt ein einziger großer Ort, unsere Existenz ist ein langer Weg, auf dem man Menschen begegnet. Dadurch entstehen Verknüpfungen, die unsere Identitäten durchlässiger und deswegen reichhaltiger gestalten.
Wie entstand das Gesamtkonzept für den Pavillon? Das Wasser und die Zeitlichkeit sind ja fest in der Geografie der Lagunenstadt verankert …
Die Idee des Wassers und der Flüssigkeit existieren bereits seit langem in meinem Schaffenswerk – weil mich die Dehnbarkeit und Relativität der Zeit seit jeher interessiert. Ich befasse mich nicht nur mit der Linearität des Zeitverrinnens, sondern mit dem Zyklischen. Diese Idee findet man in der Formlosigkeit des Wassers wieder. In meinem Werk kultiviere ich philosophische Ungewissheit – mir geht es ums Fragenstellen, nicht darum, wissenschaftliche Antworten zu liefern. In der Reise von Luxemburg nach Venedig liegt eine semantische Mentalitätsverlagerung, es entstehen Verknüpfungen zwischen Kunst, Geografie, Poesie und Politik. Man denkt notwendigerweise an das Licht, an die Poesie von Homer, aber auch an die Route der Geflüchteten, die ich rückwärtsgehe. Wenn man irgendwo hin geht, hat man meist ein ganzes Gepäck an Erwartungshaltungen dabei. Mir ging es darum, diese Stereotypen zu dekonstruieren – ich benutze Dichotomien wie Norden und Süden, Zentrum und Peripherie, Armut und Reichtum nur, um sie in meiner Kunst zu demontieren.
Wie gelangst Du zu dieser Dekonstruktion? Ist ein solches Unterfangen im heutigen Kontext nicht automatisch auch politisch?
Die poetische Dimension nimmt automatische eine politische Färbung. Nehmen wir beispielsweise den Prozess, ein Heft ins Mittelmeer zu tränken: Du verformst das Heft, das Wasser schreibt und überschreibt, so wie der Prozess der Migration Identitäten überschichtet. Meine Eltern kamen nach Luxemburg, als ich zehn war. Die Mehrsprachigkeit, die Pluralisierung, die kulturelle Vielschichtigkeit: Das hat mich von klein auf fasziniert. Der Pavillon bietet diese Öffnung als Vorschlag gegen die aufkommenden Nationalismen, gegen ein Schützen von nationalen Identitäten, die es längst nicht mehr gibt. In dem Sinne ist der Pavillon nicht nur eine poetische, sondern auch eine soziopolitische Arbeit.
Du redest von nationalen Identitäten, die es längst nicht mehr gibt. Trotzdem vertrittst Du Luxemburg auf der Biennale. Wie brichst Du diesen Widerspruch?
Ich habe dies hier nie als nationalen Pavillon im klassischen Sinne betrachtet. Das Verb „vertreten“ ist altbacken und kann nicht mehr wirklich für den heutigen Kontext gelten. Die Biennale gibt es jetzt seit mehr als 100 Jahren. Damals machte es vielleicht Sinn, von nationaler Vertretung zu reden. Im Gespräch mit anderen Künstlern hat sich herausgestellt, dass sich jeder in einem Prozess der Hybridisierung der Kulturen befindet. Der ukrainische Pavillon beherbergt 1000 Künstler. Die Hierarchien und Nationalismen fallen. Mir geht es darum, das Territorium aufzubrechen. Meine Identität selbst ist komplex, lässt sich nicht von nationalen Grenzen umspannen. Mir geht es um das Steigern der Opazität – wie es Édouard Glissant bereits formulierte. Politiker fördern meist Transparenz, der Poet Glissant verlangt das Recht, in der Kunst das Gegenteil zu praktizieren. Dies bedeutet nicht, dass er etwas zu verstecken hätte. Aber je mehr man sich anderen Kulturen öffnet, desto mehr entschlüpft man der Transparenz einer nationalen Identität – weil sich die Identitäten letztendlich überlagern.
Wie wichtig ist der erzählerische Aspekt des Pavillons?
Ich setze stets auf Narrativität, um diese dann zu entstellen, zu fragmentieren, das Lineare in einem Zyklus zu entfremden.
Durch welchen Strang werden die verschiedenen Installationen, Filme, Performances zusammengehalten?
In einem Film sieht man, wie mein Bruder drei Bände der Odyssee liest, die einzelnen Seiten herausreißt und dem Meer opfert. Diese rituelle Dimension findet man auch in der unsichtbaren Erzählung, die das Meerwasser auf die Notizhefte zeichnet. Die Blindheit von Homer findet man im Inneren des Pavillons wieder, wo man Aufzeichnungen von Gesprächen hört, die ich mit Sehbehinderten und Migranten, die jetzt im küstenlosen Luxemburg leben, geführt habe. Es geht darum, andersartige Vorstellungswelten des Meeres zu entwickeln, aber auch um eine Abwesenheit, die durch eine synästhetische Erfahrung wieder gegenwärtig werden soll. Der Pavillon soll den Besucher zum Flanieren einladen, damit dieser sich fragt, wie wir eigentlich leben wollen.
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