Theater / „Verehrte Reichsgletscherspalte“: TNL brilliert mit Albert Ostermaiers „Stahltier. Ein Exorzismus“
Leni Riefenstahl und Joseph Goebbels auf der Bühne: Der Dramatiker Albert Ostermaier hat dieses Stück über den Teufelspakt zweier großer Manipulatoren als Auftragswerk eigens für das TNL geschrieben, und Frank Hoffmann hat ihn mit zwei diabolisch guten Darstellern brillant inszeniert.
Ein Spiel mit Licht und Schatten, das ist die Kunst, die Leni Riefenstahl so meisterlich beherrschte, neben der Schnitttechnik. Das künstliche Licht der Scheinwerfer versetzt auch die Bühne des Théâtre national du Luxembourg in den Zustand eines Filmvorführraums. Diffus wirkt es bei dem ersten Eindruck, als würden sich die Rauchschwaden schon verziehen, bevor die zwei Personen des Theaterstücks „Stahltier. Ein Exorzismus“ überhaupt erst in Erscheinung treten: Beide, Mann und Frau, treten anfangs Hand in Hand im Helldunkel nach vorn. Danach schenken sie einander nichts mehr.
Jacqueline Macauly ist Leni Riefenstahl, Wolfram Koch spielt Joseph Goebbels, aber auch Willy Otto Zielke, um den es hier geht. Die beiden Schauspieler wechseln während des Abends von einer Figur zur anderen. Es gleicht einem darstellerischen Pas de deux, in der die Rollen fluide sind. Wer aber zuerst aus ihnen spricht, ist Zielke. Geboren ist er in Polen, studiert hat er in Russland. Man könnte meinen, er sei bei Sergej Eisenstein in die Schule gegangen. Halt, Irrtum! Es war ein Studium zum Eisenbahningenieur. Erst in München hat Zielke sich in den 1920er Jahren an der Bayerischen Staatslehranstalt für Lichtbildwesen ausbilden lassen. Er wurde unter anderem Regisseur, Kameramann und Produzent.
„Als hätte sich der Himmel wieder blutrot gefärbt wie in meiner Kindheit“, sagt er. „Ich schlafe, ich weiß nicht, bin ich Kind, ist es die Narkose, ist es nur eine Erinnerung. Ich sehe. Meinen Vater im Nachthemd. Er steht vor dem geöffneten Fenster. Als sie mich in die Irrenanstalt gesteckt hatten, als Leni mich hat einweisen lassen, waren alle Fenster vergittert. Und auch jetzt nach dem Krieg sind noch immer alle Fenster vergittert für mich. Ich öffne sie und der Himmel, den ich sehe, ist noch immer blutrot, als wäre er ein Geschlechtsteil.“
Zielke hatte 1934 von der Reichsbahn den Auftrag erhalten, einen Film zum 100. Geburtstag der ersten deutschen Bahn zu drehen. Daraus wurde „Das Stahltier“. Er versah den Dokumentarstreifen mit einem Spielfilmplot als Rahmenhandlung. Einst hatte Zielke als gesellschaftskritischer Filmemacher mit Produktionen wie etwa „Arbeitslos. Ein Schicksal von Millionen“ (1933) begonnen. Doch die Nazis zwangen ihn, den Film umzuschneiden. Aus dem Kontext herausgerissen, wurde daraus das Propagandawerk „Die Wahrheit“. Ein ähnliches Schicksal sollte „Das Stahltier“ im Jahr darauf blühen. Von Goebbels‘ Reichspropagandaministerium anfangs noch zur Schulung von Kameraleuten eingesetzt, wurde der Film danach komplett verboten. Zu expressionistisch war seine Bildgestaltung, zu avantgardistisch sein Schnitt.
Derweil war Leni Riefenstahl auf Zielke aufmerksam geworden. Sie zeigte sich begeistert von „Das Stahltier“ und intervenierte bei Goebbels. Doch dieser hielt an dem Verbot fest. Riefenstahl erweckte den Anschein, als würde sie den Film verteidigen, doch sie betrieb ein doppeltes Spiel. Es war der Neid auf Zielke und dessen Genie, der sie antrieb. Sie engagierte Zielke für ihre „Olympia“-Filme. Selbst hatte sie einst ihre Ambitionen als Tänzerin aufgrund einer Verletzung begraben müssen. Weil sie als Schauspielerin in Bergfilmen wie „Die weiße Hölle vom Piz Palü“ oder „Stürme über dem Montblanc“ auftrat, trug sie den Spitznamen „Reichsgletscherspalte“.
Nach „Sieg des Glaubens“, dem ersten Teil ihrer Parteitagstrilogie, der aus dem Verkehr gezogen wurde, weil der in Ungnade gefallene und ermordete SA-Stabschef Ernst Röhm darin zu gut wegkam, entstanden „Triumph des Willens“ über den Nürnberger NS-Reichsparteitag von 1934, ihr einflussreichster Film und wegweisend für unzählige weitere Filme, sowie „Tag der Freiheit – unsere Wehrmacht“, in dem unter anderem zu sehen ist, wie sich die Armee auf den Zweiten Weltkrieg vorbereitete. Damit hatte sie von 1933 bis 1935 drei der erfolgreichsten NS-Propagandafilme gedreht. Goebbels war begeistert.
Duell der großen Manipulatoren
Schließlich sollte „Olympia“ ein Triumph werden. Die Regisseurin schien freie Hand bekommen zu haben. Sie hatte ein ganzes Kamerateam eingestellt, darunter auch Willy Zielke, der den „Prolog“ drehen sollte. Weil Riefenstahl zu verschwenderisch mit dem Budget umgegangen war, sollte es zu Differenzen mit Goebbels gekommen sein. Auf Adolf Hitlers Anordnung hin gab es ein Versöhnungstreffen in der Villa Riefenstahl. Aus späteren Aussagen der Regisseurin in Ray Müllers dreistündigem Dokumentarfilm „Die Macht der Bilder“ geht hervor, dass sie eine tiefe, auf Gegenseitigkeit beruhende Abneigung gegen Goebbels hatte.
Wenn sich Riefenstahl und Goebbels als Bühnenfiguren begegnen, findet das Aufeinandertreffen im Filmvorführraum des Reichspropagandaministeriums statt. Die „Herrin“ der Macht der Bilder und der Herrscher über die NS-Filmwirtschaft und -Kulturindustrie, der auf der Bühne bisweilen einen Rock trägt. Sie sind zusammengekommen, um sich Zielkes „Das Stahltier“ anzuschauen. Aus der Begegnung ist ein Machtkampf zweier Manipulatoren geworden, eine Verführerin und ein Verführer: Riefenstahl als Meisterin der laufenden Bilder und Goebbels als reiner Machtmensch mit Hang zur Kunst, wie sie ihm gefällt, der gerne mit Händen und Fingern davonfliegen würde.
Riefenstahls Olympia-Film lobt der Minister: „Sie kommen dem nahe, was mein Ziel wäre: eine unsichtbare Propaganda.“ Er sieht in ihr eine „Waffe aus Bildern“, während Filmbilder auf die Kulisse des Vorführraums projiziert werden, manchmal diese von Riefenstahl und Zielke, andere live von der Bühne. Haarscharf am Schenkelklopfer-Humor vorbei, lässt Ostermaier die braune Cineasten-Queen sagen: „Ich dachte, Sie hätten eine Schwäche für braungebrannte Schauspielerinnen, Goebbels.“ Darauf der hinkende Nazi: „Der Vergleich hinkt, müssen Sie zugeben.“ Der „Bock von Babelsberg“ (Anm. d. Red.: in Potsdam-Babelsberg befanden sich die bekannten Filmstudios der UFA, die Goebbels unterstellt waren), wie sie ihn nennt, entgegnet wenig charmant: „Sie spielen mit dem Feuer, verehrte Reichsgletscherspalte.“ Obwohl Goebbels die Macht hat und zu seinen Machtspielchen ein russisches Roulette gehört, sind sie einander mit Haut und Haar ausgeliefert. Wenn Zielke, der Sturmglocken hört und davon spricht, dass man ihm „sein eigenes Geschlechtsteil in den Mund gestopft hat“, im Hintergrund noch mitschwingt, als Trio mit zwei Darstellern: „die Schöne, der Bock und das Stahltier“.
Jacqueline Macaulay und Wolfram Koch, schon 2011 bei Ostermaiers Uraufführung von „Aufstand“, ebenso unter der Regie von Frank Hoffmann, mit von der Partie, machen aus dem Theaterabend ein kurzweiliges, intensives Erlebnis. Kleine Details wie das beiläufige Zur-Seite-Sprechen werden zum Genuss. Das Duell der beiden Manipulatoren wird zum spannenden Machtkampf. Zunächst könnte man in der Tat glauben, als wolle Riefenstahl Zielke verteidigen, dann scheint es so, als möchte sie ihn gerne vernichten. War Zielke womöglich das eigentliche Genie und Riefenstahl nur die machtgierige Opportunistin, die im Dritten Reich die Karriereleiter erklomm. Kunst und die Verbeugung vor der Macht, da kommt einem Gustaf Gründgens in den Sinn. Während die Schauspiellegende, von Hermann Göring gefördert und protegiert, als Mephisto in Goethes Faust unvergesslich blieb und nach seinem Tod zu einem juristischen Streitfall postmortalen Persönlichkeitsschutzes wurde, galt bei Riefenstahl das Motto: „Die Zeit hat ein Sieb, durch welches die meisten Nichtigkeiten ins Meer der Vergessenheit ablaufen.“ Im Stück heißt es kürzer: „Ich wusste von nichts.“
Der Zielke des Dreipersonenstücks für zwei Schauspieler sagt: „Aber ihr würde der Prozess gemacht.“ Weiter heißt es: „Hier an diesem Ort, der ein Tatort ist, den ich begehe mit meiner Erinnerung. Aber niemand begleitet mich, nur Stimmen, in meinem Kopf. Er ja noch verrückt, der Zielke“. In der Tat wurde der genialische Filmemacher, während Riefenstahl das von ihm gedrehte Material für den „Prolog“ ihrer „Olympia“-Filme nutzte, nachdem es zu heftigen Differenzen zwischen den beiden gekommen war, im Februar 1937 in die Psychiatrie von München Haar eingewiesen. Als Folge der ihm angeblich nachgewiesenen Schizophrenie wurde Zielke zwangssterilisiert, in verschiedenen Psychiatrien und Arbeitslagern interniert. Mutmaßlich wurden auch medizinische Versuche an ihm durchgeführt. 1942 kam er frei, aber erst in den 50er Jahren drehte er wieder Filme. 1987 erhielt er eine Entschädigung für die Zwangssterilisation.
Die vergessliche Propagandistin
Riefenstahl starb 2003 im Alter von 101 Jahren. „Sie haben sie nicht gehängt“, heißt es in Albert Ostermaiers Stück. Auch wenn sie die Ahnungslose vorgab, war Riefenstahl im September 1939 mit einem Sonderfilmtrupp unterwegs und Zeugin der ersten Wehrmachtsverbrechen. Auf einem Marktplatz wurde die jüdische Bevölkerung zusammengetrieben und erschossen. Ein Landser schoss ein Foto von ihr, beschriftet mit dem Satz: „Leni Riefenstahl fällt beim Anblick der toten Juden in Ohnmacht.“ Das hielt sie nicht davon ab, ihren Teufelspakt mit Hitler fortzusetzen. Später behauptete sie: „Weder ich noch meine Mitarbeiter haben etwas gesehen.“
Während diese Causa im Stück nicht erwähnt wird, findet ihr Film „Tiefland“ Erwähnung, für den zwischen 1940 bis 1942 Sinti und Roma als Komparsen zwangsverpflichtet wurden. Nach dem Dreh kamen sie nach Auschwitz und wurden ermordet. Die Regisseurin hingegen behauptete später, sie habe nach Kriegsende alle wieder gesehen. Die Freiburger Dokumentarfilmerin Nina Gladitz kam jedoch bei ihren Recherchen für ihre Doku „Zeit des Schweigens und der Dunkelheit“ (1982) zu einem anderen Schluss. Die „begabteste Propagandistin des Herrenmenschentums“, wie die Psychoanalytikerin Margarete Mitscherlich Riefenstahl einmal nannte, zog vor Gericht. Die Doku wurde nicht mehr gezeigt. Auch für die These, dass Riefenstahl für Zielkes Einweisung verantwortlich war, hatte Nina Gladitz entsprechende Dokumente gefunden.
Weitere Vorstellungen: am 16. und 23. März um 20 Uhr, am 24. März um 17 Uhr im TNL
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