Luxemburg / Verfassungsexperte Luc Heuschling: Kein „Liichtmëssdag“ wegen Bettelverbot?
Verfassungsexperte Luc Heuschling seziert im Tageblatt-Gespräch die Argumentation von Innenminister Léon Gloden rund um das Bettelverbot. Für Heuschling besteht keine legale Basis für die Änderung der hauptstädtischen Polizeiverordnung – er warnt vor ungewollten Folgen der neuen Regelung.
Innenminister Léon Gloden (CSV) hält, seitdem er das Bettelverbot des DP-CSV-Gemeinderats in Luxemburg-Stadt durchgewunken hat, minutiös an seiner Argumentation fest. Ein viel zitiertes Dekret aus napoleonischer Zeit würde der Stadt Luxemburg die Befugnis erteilen, ein Bettelverbot einzuführen. Außerdem beruft sich der CSV-Minister in seinen öffentlichen Auftritten immer wieder auf das Egalitätsprinzip: In Diekirch und Ettelbrück seien entsprechende Reglements ebenfalls in Kraft. „Keine guten Argumente“, meint hingegen der Luxemburger Verfassungsexperte Luc Heuschling, der auf gleich mehreren Ebenen nicht mit der Argumentation der Regierung einverstanden ist.
„Das Dekret von 1789 ist kein Gesetz, das formell vom Parlament verabschiedet worden ist“, sagt Heuschling im Gespräch mit dem Tageblatt. Die neue Luxemburger Verfassung aber würde explizit vorsehen, dass individuelle Freiheiten nur anhand eines Gesetzes – und nicht anhand eines Dekrets – eingeschränkt werden können.
Relevante Artikel aus der Luxemburger Verfassung
Art. 7
(3) L’Etat garantit la protection de la vie privée, sauf les exceptions fixées par la loi.
Art. 14
Nulle peine ne peut être établie ni appliquée qu’en vertu de la loi.
Dekret ist kein Gesetz
Das Argument, dass das Dekret hierarchisch einem Gesetz gleichgestellt sei, tue ebenfalls nichts zur Sache. „In dem Dekret steht nichts über die Bettelei, sondern es bezieht sich lediglich auf die öffentliche Ordnung“, erklärt Heuschling. Doch selbst wenn man in die Wahrung der öffentlichen Ordnung ein Mandat für ein Bettelverbot hineininterpretieren wolle, sei das heute nicht mehr legitim. „Mit der Abschaffung des Strafbestandes der Bettelei in der 2008 erfolgten Gesetzesänderung des ‚Code pénal‘ wurde dieser Strafbestand explizit abgeschafft.“ Das Dekret von 1789 besitze demnach sehr wohl noch seine Gültigkeit. Im Fall der Bettelei überwiege jedoch die rezente Gesetzesnorm – die Änderung des „Code pénal“ – mit der expliziten Erwähnung und dem Streichen des entsprechenden Strafbestandes der Bettelei. Hinsichtlich der Argumentation von Innenminister Gloden bedeutet das, dass das Dekret von 1789 in zahlreichen Fällen zitiert werden könnte – keinesfalls jedoch, um ein Bettelverbot juristisch zu begründen.
Die Klagen zahlreicher Politiker, dass die Abschaffung des Strafbestandes der Bettelei ein ungewollter Irrtum gewesen sei, lässt der Verfassungsexperte nicht gelten. „Dann hätte man es nicht abschaffen oder den Fehler wieder beheben sollen“, sagt Heuschling. Für die Gerichte sei die Sachlage jedenfalls klar. „Der Strafbestand wurde schwarz auf weiß abgeschafft.“ Dass ohne gesetzliche Basis eine Geldstrafe bis hin zu einem Freiheitsentzug als Strafe verhängt werden soll, beiße sich ebenfalls mit der Luxemburger Verfassung. Diese sieht in Artikel 14 vor, dass Strafen nur anhand eines Gesetzes festgelegt und verhängt werden können.
Betteln ist ein Menschenrecht
In der Erklärung von Innenminister Léon Gloden klaffe laut Heuschling aber noch ein weiteres argumentatives Loch. Denn: Seit dem Lacatus-Urteil durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte sei die einfache Bettelei als Menschenrecht anerkannt und somit auch implizit in der Luxemburger Verfassung verankert worden. „Seit dem Urteil steht es schwarz auf weiß geschrieben“, sagt Heuschling. „Da gibt es keine Ambiguität.“ Und das würde wiederum bedeuten, dass es ein vom Luxemburger Parlament verabschiedetes Gesetz brauche – und kein Dekret. Zahlreiche ausländische Gerichtsurteile würden in der Bettelei auch eine Form der freien Meinungsäußerung sehen. Und auch die könnte laut Luxemburger Verfassung nur per Gesetz eingeschränkt werden.
Lacatus-Urteil
Der Fall einer Romni, die in Genf gebettelt hatte, wurde 2021 vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verhandelt. Das Urteil ist unter dem Namen Lacatus-Urteil bekannt. Betteln war in der Schweiz grundsätzlich verboten und mit einer Gefängnisstrafe geahndet. Dadurch, dass es aber der einzige Lebensunterhalt der Frau sei, könne sie nicht strafrechtlich belangt werden, so das Urteil der Richter. Ein allgemeines Bettelverbot und die darauf ausgeschriebenen Gefängnisstrafen seien ein unverhältnismäßiger Eingriff ins Privatleben.
Den Luxemburger Verfassungsexperten stören jedoch auch zwei weitere Begründungen der politisch Verantwortlichen für das Bettelverbot: das Argument, dass es kein allgemeines Bettelverbot sei und der des Öfteren hervorgebrachte Vergleich mit den Gemeinden Ettelbrück und Diekirch. Man könne das Argument mit dem allgemeinen Verbot sehr anschaulich entkräften, so Heuschling. „Stellen Sie sich vor, wir würden das Manifestationsrecht in Luxemburg zu diesen Uhrzeiten und an diesen Orten einschränken.“ Dann wäre niemand auf die Idee gekommen, zu behaupten, die Meinungsfreiheit wäre nicht entscheidend eingeschränkt worden.
Dabei würde der Europäische Gerichtshof spezifische Einschränkungen zulassen. „Beispielsweise wenn Zugänge zu Wohnhäusern oder Geschäften blockiert oder andere Leute beim Betteln aggressiv angegangen werden“, sagt Heuschling. Dann würden nämlich auch die Rechte anderer beeinträchtigt werden. „Dann kann das Recht, zu betteln, verhältnismäßig und hinsichtlich des Problems eingeschränkt werden.“
Auch der Luxemburger Richter am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, Georges Ravarani, schreibt in seinem Zusatz zum Lacatus-Urteil: „Der gemeinsame Nenner für die Legitimität von Einschränkungen ist, ganz klassisch, in der Freiheit anderer zu suchen.“ So könne Betteln, sobald es aktiv, aggressiv oder aufdringlich sei, eingeschränkt, begrenzt oder verboten werden. „Aber allein die Tatsache, dass es von einigen als ungehörig angesehen wird, macht Betteln noch nicht zu einer verbotenen Aktivität. Dies ist der Preis für das Leben in der Gesellschaft.“
Kein „Liichtmëssdag“ mehr?
Und der Vergleich mit Diekirch und Ettelbrück, auf den sich Gloden beruft? „Das gilt nicht, wenn sie sich auf etwas Illegales berufen“, sagt Heuschling. Spätestens nach der Abschaffung des Strafbestandes der Bettelei im Jahr 2008 und dem Inkrafttreten der neuen Verfassung hätten auch die Gemeindereglements von Ettelbrück und Diekirch keine legale Basis mehr. „Man kann sich also juristisch gesehen nicht auf diese Reglements berufen“, erklärt der Verfassungsexperte. „Das wäre ganz einfach illegal.“ Er bezweifelt dann auch, dass diese Reglements im Falle einer Anklage vor Gericht Bestand haben würden.
Luc Heuschling ist sich sicher, dass die Politik bei der Einführung des Bettelverbots die ungewollten Konsequenzen nicht bedacht hat. „Eigentlich dürften Kinder am ‚Liichtmëssdag‘ zu den im Reglement festgehaltenen Uhrzeiten nicht durch die genannten Straßen ziehen“, sagt er. Wenn man es den Bettlern verböte und den Kindern nicht, läge ganz einfach eine Diskriminierung vor. „Aber daran hat niemand gedacht.“
Georges Ravarani im Lacatus-Urteil zum Recht auf Betteln
„Die Entscheidung, zu betteln, ist Teil des Rechts auf Selbstbestimmung und der persönlichen Autonomie, ein Prinzip, das der Auslegung der Garantien in Artikel 8 (der Europäischen Menschenrechtskonvention, Anm. d. Red.) zugrunde liegt“, schreibt der Luxemburger Richter am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und zitiert aus weiteren Urteilen: „So definiert ist Betteln als Form des Rechts, sich an andere zu wenden, um Hilfe zu erhalten, eindeutig als eine elementare Freiheit zu betrachten.“
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Zimmlech domme Verglach! An deem ganzen Debat geet et leider net ëm d‘ Mënschen déi heesche mussen. Egal op heeschen erlaabt ass oder net, de Leit op der Strooss muss gehollef ginn! Direkt a seriös. Ons Kaviarsozialiste si géint den Heescheverbuet, aus enger ganz einfacher Ursaach: wa se an der Stad een Euro an d‘ Taass geheien, da villen se sech esou immens sozial.
Findet die LSAP keine andere politische Themen als sich mit Stromer abzugeben. Wenn Betteln ein Menschenrecht ist , dann sind Hausbesetzungen, Drogen dealen, Saufen , Faulenzen, den hart Arbeitenden das Geld wegnehmen etc ebenfalls Menschenrechte.
Der Staat soll schuldlos in Notgeratenen Luxemburgischen Bürger helfen, aber alle andere..
Jeder der so vehement das Betteln verteidigt , könnte einen Bettler zu Hause aufnehmen und das Problem wäre gelöst !!
Herrlich, jetzt kann ich die aggressiven Bälge von der Tür wegschaffen lassen. Habe bereits die Polizei für den 2. Februar bestellt. 😊
Liichtmëssdag , d’Buergbrennen, d’Klibberjongen , alles Heeschepak? D’Rout Kräiz, d‘ Caritas, d’Blanneveréinegung, Duerfveräiner, deemno alles Heeschepak, Här Gloden ? Sidd w,e.g. konsequent a kloer , définéiert wou d’Heeschen ufänkt a wou ët ophält.
Dann muss sich Herr Heuschling auch die Herren in Soutane vornehmen die jede Messe ihren Klingelbeutel umhergehen lassen.Allerdings bin ich noch nie von einem Pfarrer angepöbelt worden und damals als Messdiener hatte ich eben Glück.Desgleichen gilt für die Kinder die singend vor der Türe stehen. Wie heißt es so schön: Nicht alles in einen Topf werfen.
Sobald Sie von einem Bettler angepöbelt werden sollten, handelt es sich nicht mehr um „einfache Bettlerei“, sondern aggressives Betteln – was laut Strafgesetzbuch eh schon verboten war.
Ech mengen mir hun se net mei all um Kreschtbemchen. Dat as dach alles Opposition geint den Här Gloden vun Leit dei d‘ Volek net mei wollt. Wen sin dei Leit dei hei esou op d‘Tromm schloen? Leit dei nie Owes an der Stadt sin? An esou weit ech gesin, kreien d‘Sozen bei dei Europa Wahlen mat hierem Kandidat nach eng Deck bei d‘Kescht?
Mich würde interessieren, ob dieses Bettelverbot auch das „aggressive“ Anbetteln für Stimmen, welche all paar Jahre von, doch sehr zwilischtigen Gestalten aufgeführt wird abdeckt. Auch hier ist der Knuedler und vorallem der Wochenmarkt sehr schwer betroffen! Man wagt es kaum während dieser Zeit dort hin zu gehen, da man sich nicht sicher fühlt. Schlimmer noch, wenn man sich die Zeit nimmt mit diesen armen Geistern über ihre Probleme und Hoffnungen zu sprechen, in einer ihren hastig aufgebauten Zelten (ja die Lagern dort richtig um Passanten abzufangen) dann merkt man schnell, sie lügen einen nur an und versprechen einem das „Blaue (wie die Parteifarbe)“ vom Himmel, sie würden sich bessern, sie würden ehrlicher Arbeit nachgehen, als op dies je der Fall gewesen wäre oder sein würde… Als dem muss wirklich ein Rigel vorgeschoben werden, richtiges Bandenverhalten, ja man müsste fast schon sagen, es handelt sich um organisiertes Betteln!
@ F.Wagner : Aeren Kommentar huet meng voll Ennerstezung !
Einfach schlëm wéi d’Tageblatt an déi sougenant Fortschrëttlech hei eng campagne lancéieren.
Genau Dir sidd déi, déi zu enger Politikverdrossenheet bei den Bierger beidroen.
Muss man wierklich Droit studiert haben um auf so einen hanebuechener Unsinn zu kommen Betteln mit Liichtegoen zu vergleichen . Vielleicht sollte sich die gesamte luxemburger Presse fuer naechste Wocche einen “ bettelfreien “ Tag verschreiben .
Déi Leit déi hei esou eifreg géint Tageblatt an den Här Heuschling fachen hun wéi et schéngt Probleemer mat der einfacher Wouerecht soubaal se hinnen nët an de Kroom passt.
Wann den Här Gloden nëmmen e bëssen ofgewoart hätt op d’Urteel vum Verwaltungsgeriicht, da wär den Zauber elo nët. Sou oder esou.
Mee Nee, direkt ronderëm sech schéissen soubaal en e bësse Muecht haat, dat ass dat wierklech Aarmséilecht hei.
@wiltgen, Richtig.Nur der Kommentar von so einem Armen ( watt kucks de sou domm) wenn man ihm in die Augen schaut ist noch keine Aggression ,einfach nur unangenehm und man schert sich schleunigst nach hause. Ich denke das Thema ist ausgelaugt und wenn Petitionen FÜR Bettelei grossen Anklang finden sollten wir einfach alles belassen wie es ist. Mir wëlle bleiwe wat mir sinn. Schade für die schöne Stadt. Und ich meine nicht Schlindermanderscheid Herr Kohlwelter
Gëtt et well e ‚Wanterlach‘ ? Hudd der näischt aneschters wéi just ëmmer an ëmmer dat ominöst ‚Bettelverbot‘ ?
Dei ganz Welt gereit aus den Fugen an hai am Land get iwert Liichtmessdag debatteiert. Wat hu mir awer Problemer zu Luxusbuerg. Borneiert letzebuerger Gesellschaft.
@ Claude / Nee, huet de Gloden rondrëm sech geschoss? Dât hun ech verpasst. Dât därf en dach net, keen därf hei ronderëm sech schéissen ausser ser Police a Noutwier. Abee jo dann.
@F.Wagner
„Wenn Betteln ein Menschenrecht ist , dann sind Hausbesetzungen, Drogen dealen, Saufen , Faulenzen, den hart Arbeitenden das Geld wegnehmen etc ebenfalls Menschenrechte.“
Es ist ein Menschenrecht, derartigen Unfug von sich zu geben, deswegen hat niemand ihren Kommentar gelöscht. Das ändert nichts daran, dass es vollkommener Blödsinn ist.
Der Artikel erklärt einen juristischen Tatbestand. Es geht darum, weshalb „Jemanden um Hilfe bitten“ (das ist Betteln nämlich, technisch gesehen) nicht verboten werden kann, wenn man die Menschenrechte achtet.
Wie Sie daraus ableiten, dass Hausbesetzungen (also die unbefugte Nutzung von fremdem Privateigentum) oder Drogendealen (der Verkauf illegaler Substanzen) deshalb auch ein Menschenrecht sein soll, erschließt sich mir nicht. Auch eine Polemik sollte irgendwie Sinn ergeben.
Faulenzen und saufen sind übrigens legal.
Wenn Sie die harte Arbei, die Sie ja angeblich leisten, nächstes Mal in das Denken investieren? bevor Sie einen Kommentar verfassen, kommt vielleicht sogar eine Aussage zum Vorschein, die Hand und Fuß hat. Und nicht diese gequirrlte Beleidigung an die Existenz jedes denkenden Menschens.
Viel Glück
Grober J.-P. Alt erem richteg. Mär mussen eis emol iwwerléen wat bei eis hei esou ofléft. Do kënnt e néie Minister dohier, huet d’Täsche voll Geld, huet jo och duerfir geschafft, ech vergonnen him se. Hien stét ënnert Adrenalin, huet awer Angscht a vergréift sech emol un denen déi sech net wiere kënnen. Domadder lét hien op e Coup sämtlech politesch Aktivitéiten flach an jidderén kuckt nëmme nach op hien. Elo ginn ural Kannertraditiounen a Fro gestallt, déi kenne sech och net wieren. Ech däerf net méi klibberen ze goen, ma Politiker, da klibbert mech dach emol richteg a fillt Iech emol un de Kapp. Där sidd alleguerte mat betraff a wirkt absolut lächerlech. Et ass ewéi Kabaret, awer fir ze kräischen.