Ruhestand / Verlust oder Chance? Wenn jeder Tag ein Sonntag ist, helfen Pensionscoaches
Es ist ein positives Bild vom Ruhestand, das die beiden Pensionscoachs Henri „Heng“ Feit (65) und Carlo Seny (59) verbreiten. Damit gehen sie in Firmen und halten Vorträge vor Interessierten. „Gero – Kompetenzzenter fir den Alter ASBL“ hat diese Initiative 2019 gemeinsam mit dem Familienministerium ins Leben gerufen. Die Coaches ändern die Perspektive auf das Leben nach der Arbeit.
Der Ruhestand ist der Beginn eines neuen Lebensabschnitts. Für diese Phase fehlt in einer auf Leistung und Jugendlichkeit getrimmten Gesellschaft oftmals lange der Blick. Zu oft auf später verschoben, ist er dann plötzlich da: Die gewohnte Tagesstruktur ist weg. Die Tatsache, dass der Abschied in die Pension oftmals schmucklos ist, macht es nicht leichter.
Ein Blumenstrauß, vielleicht noch ein Geschenk für die langjährige Tätigkeit im Unternehmen und ein Foto für das Archiv, das war es dann. „Alle anderen Lebensabschnitte planen wir“, sagt Vibeke Walter (57), die die Aktivitäten für Menschen 60+ bei Gero organisiert. „Schule, Ausbildung, Heirat und Familie, nur beim Ruhestand machen viele es nicht.“
So individuell verschieden wie die Menschen dahinter
Das kann gut gehen, muss es aber nicht. Bei wachsender Lebenserwartung ist es noch eine lange Lebensphase, 20 Jahre und mehr. „Dessen sind sich viele gar nicht bewusst“, sagt Vibeke Walter. Henri „Heng“ Feit und Carlo Seny kennen das aus den Reaktionen bei ihren Vorträgen. Die ehemaligen Kollegen und Freunde sind gerade zurück von einer dreitägigen Fahrrad-Tour in der Eifel.
Sie haben berufliche Karrieren hinter sich, die es so heute fast nicht mehr gibt. Mehrere Jahrzehnte arbeiteten sie nach einer Banklehre beim gleichen Unternehmen, beschäftigten sich zeitlebens mit Finanzen und Vermögen. Ihre Pension gehen sie jedoch höchst unterschiedlich an. „Wir können niemandem ein Rezept anbieten“, sagt Gero-Mitarbeiterin Walter. „Wir wollen aber ein Bewusstsein dafür schaffen, dass es gut wäre, sich vorzubereiten.“
Heng Feit brauchte für die Zeit nach dem Erwerbsleben einen Plan. Einen zu haben, gehört zu seinem Charakter. Er wäre gerne Lehrer geworden, damals klappte es nicht. Im Ruhestand gibt er zunächst in einem Verein Kindern Nachhilfe, engagiert sich im Vorstand und holt nach, was er als junger Mann verpasst hat.
Planen oder ausprobieren
„Es war eine sehr gute Erfahrung“, sagt er. Nach zwei Jahren ist es genug. Er sehnt sich nach Gesprächen mit Gleichaltrigen und lässt sich bei Gero zum Pensionscoach ausbilden. Sport, die Vorträge und die Familie, das reicht ihm. Er ist jemand, der sich schon immer mit einem Buch oder einem Spaziergang in der Natur eine Auszeit genommen hat.
Das letzte, was er gelesen hat, passt zum Thema. Es ist das dieses Jahr erschienene Buch von Elke Heidenreich über das Altern. „Man muss einen Rhythmus finden, der einem guttut“, sagt Walter. Sie erlebt viele im (Un-) Ruhestand und wieder im Stress, weil fremdbestimmt, und andererseits Pensionäre, die sich unterbeschäftigt fühlen.
Feits Freund Carlo Seny geht anders an die Sache heran. „Neue Sachen entdecken, ausprobieren und sehen, ob es etwas für mich ist“ lautet sein Motto. Seine Experimentierfreude ist erstaunlich. Er lernt Schreinern in einem Betrieb und baut Möbel. „Holz hat mir schon immer gut gefallen“, sagt er. Außerdem hat er im Ruhestand den „Pferdeführerschein“ gemacht und hilft auf einem therapeutischen Reiterhof.
Der Ruhestand als Neubeginn
Wenn ihm das jemand vor fünf Jahren prophezeit hätte, hätte er ihn wahrscheinlich für verrückt gehalten. Es passt aber zur Philosophie der Pensionscoachs. „In den Vorträgen und anschließenden Gesprächen können wir die Idee vermitteln, dass der Ruhestand eine Chance ist“, sagt Seny. „Es ist nicht nur ein Aufhören, sondern vor allem ein Neubeginn.“
Das sieht auch sein Freund Heng Feit so. „Es ist eine Chance, das Leben neu zu überdenken und neu zu gestalten“, sagt er. Beide sind jeder für sich zum Schluss gekommen, dass ihnen die drei „Rs“, Reisen, Ruhen, Renovieren, nicht genügt hätten. So, wie es jetzt ist, fühlt es sich gut an. Beide verstehen den neuen Lebensabschnitt als einen Prozess.
Manchmal fängt es chaotisch an, am Ende geht es hoffentlich geruhsam zu. Die beiden sind jedenfalls auf einem guten Weg und viele Gäste der Vorträge verabschieden sie mit Anregungen für die neue Lebensphase. Die wichtige Frage, „was will ich?“, haben die beiden längst für sich beantwortet.
Die nächsten Veranstaltungen zum Thema Ruhestand
– 12.11.2024 von 18.00 bis 20.00 Uhr (auf Luxemburgisch, mit direkter mündlicher Übersetzung auf Französisch)
„A Gadder“ (10, rue de France, L-4446 Beles)
Anmeldung: nathalie.barthel@suessem.lu, Tel.: 59 30 75-609 (morgens)
– 14.11.2024 von 17.30 bis 19.30 Uhr (luxemburgisch)
Centre Turelbaach (22, rue Principale, L-9168 Mertzig)
Anmeldung: clubnordstad@inter-actions.lu, Tel.: 26 81 37 43
– 19.11.2024 von 19.00 bis 21.00 Uhr (luxemburgisch),
SoNo Café (33, rue de la Gare, L-7535 Mersch)
Anmeldung: nicht erforderlich
– 21.11.2024 von 17.30 bis 19.00 Uhr, mit Umtrunk und Austausch (französisch),
Gero (1, Dernier Sol, L-2543 Bonneweg)
Anmeldung: info@gero.lu oder www.gero.lu/de/seniors/agenda
Lesetipp
„Altern“ von Elke Heidenreich. Erscheinungsdatum: 13.5.2024. Verlag: Hanser, EAN 9783446280403.
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- „Habe eine Welt kennengelernt, die ich so nicht kannte“ – Porträt einer Betroffenen - 29. Oktober 2024.
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