Rentensystem / Verschiebung des Horizonts: Wie sich kleine Rentenanpassungen langfristig auswirken
Das Luxemburger Rentensystem hat jahrelang zu den besten der Welt gehört. In nächster Zukunft könnte es jedoch an seine Belastungsgrenze geraten. Sylvain Hoffmann von der CSL erklärt im Gespräch mit dem Tageblatt, wie das Luxemburger Rentensystem funktioniert, welche Auswirkungen die Rentenreform von 2012 hat – und wie der Faktor Altersarmut in Luxemburg eine Rolle spielen könnte.
Luxemburgs Rentensystem wird reformiert. Daran hegt keiner mehr große Zweifel. Wie diese Reform aussehen soll, darüber kann allerdings nur spekuliert werden. „Es wird eine umfassende Konsultation mit der Zivilgesellschaft über die langfristige Tragfähigkeit unseres Rentensystems durchgeführt, um einen Konsens darüber zu finden“, heißt es im Koalitionsvertrag der CSV-DP-Regierung. Die gesetzliche Rentenversicherung soll den Plänen von CSV und DP zufolge noch immer „die zentrale Säule“ des Rentensystems bilden. Und weiter: „Die Möglichkeit einer stärkeren Förderung der zweiten und dritten Säule der Altersvorsorge wird analysiert, insbesondere durch eine Verbesserung der Steuererleichterungen.“
Das ist – wie der Rest des Koalitionsvertrages auch – sehr vage. Eine bewusste Entscheidung, wie die CSV-Ministerin für soziale Sicherheit, Martine Deprez, gegenüber RTL meinte, da der Staat, das Patronat und das Salariat diese Entscheidung gemeinsam nehmen müssten. Während die Oppositionsparteien bereits einen Sozialabbau befürchten, will Deprez die erste Säule des Systems, die gesetzliche Rentenversicherung, „stärken“. Jedoch räumt die Ministerin auch ein, dass die Nachfrage nach privaten Renteninitiativen – der zweiten und dritten Säule des Luxemburger Rentensystemes – steigen könne.
Das Luxemburger Rentensystem baut auf drei sogenannten Säulen („piliers“) auf. Unter der ersten Säule wird allgemein die gesetzlich vorgeschriebene Rentenversicherung verstanden. In diese zahlen Arbeitgeber, Arbeitnehmer und der Luxemburger Staat zu gleichen Teilen jeweils acht Prozent der Lohnmasse ein. Mit der „ersten Säule“ wird jedoch nicht nur eine Altersvorsorge aufgebaut, auch werden Arbeitnehmer durch die Beitragszahlungen gegebenenfalls mit einer Invalidenrente und einer Witwen-/Waisenrente versehen. Die „zweite Säule“ umfasst betriebliche Rentenversicherungen, die vom Arbeitgeber angeboten werden. Private Zusatzrentenversicherungen werden mit der „dritten Säule“ umschrieben.
Die Reform 2012
Die letzte Reform des Rentensystems liegt etwas mehr als zehn Jahre zurück. Damals wurde die Berechnungsformel für die Altersrente angepasst. „Der Pauschalbeitrag wird progressiv bis 2052 erhöht“, erklärt Sylvain Hoffmann, Direktor der „Chambre des salariés Luxembourg“ (CSL). Der ausgezahlte, proportional errechnete Beitrag wurde jedoch nach unten angepasst. „Bei einer Durchschnittsrente liegt der 2052 ausgezahlte Beitrag somit 13 Prozent unter dem, was 2014 ausgezahlt wurde.“ Vor allem junge Generationen würden demnach später darunter leiden. Die gesetzliche Altersrente setzt sich aus zwei Teilen zusammen, nämlich aus einem Pauschalbeitrag, der für jeden Rentner gleich ist, und aus einem proportional größeren Teil, der mit den über die Jahre eingezahlten Geldern variiert, also gehaltsabhängig ist.
Derzeit zahlen Arbeitgeber, Arbeitnehmer und der Luxemburger Staat jeweils acht Prozent in den Rententopf ein. Somit werden 24 Prozent der Lohnmasse abgedeckt. Würde die neue Regierung eine einfache Beitragserhöhung beschließen, würde das ebenfalls zu einer Verschlechterung der Renten führen, meint Hoffmann. „Jeder Rentner erhält am Ende des Jahres eine ,allocation de fin d’année‘, die je nach geleisteten Beitragsjahren variiert“, sagt Hoffmann. Im derzeitigen Gesetzestext würde diese jedoch automatisch entfallen, sollten die eingezahlten Beiträge die 24 Prozent übersteigen. „Das ist sehr unglücklich, da diese Jahresendzulage ein wichtiges soziales Element ist, da jeder den gleichen Beitrag erhält.“
„Das Perfide im System: Wenn die Beitragszahlungen nicht mehr ausreichen, um die laufenden Ausgaben zu decken, werden die Renten nicht mehr vollständig an die Entwicklung der Reallöhne angepasst“, erklärt Hoffmann. Am 1. Januar wurden die Renten dank dieses Mechanismus um 1,1 Prozent erhöht. „Wenn die Ausgaben die 24 Prozent der Lohnmasse übersteigen, wird dieser Faktor automatisch zwischen 0 und 0,5 festgelegt.“ Bedeutet: Die Renten würden zum 1. Januar um maximal die Hälfte der Reallohnentwicklung angepasst werden – oder eben gar nicht.
Der Fall könnte laut Projektionen der „Inspection générale de la sécurité sociale“ (IGSS) bereits 2027 eintreten – weswegen die neue Regierung nun auf eine neue Reform drängt. Die Auswirkungen einer verminderten Anpassung seien kurzfristig kaum zu spüren. Sollte jedoch sowohl die Jahresendzulage und die Anpassung der Renten ausfallen, wären mit der geänderten Berechnungsformel die Auswirkungen für Rentner in 30 Jahren enorm. „Ein Durchschnittsverdiener erhält bis zu 32 Prozent weniger Rente als ohne Reform“, sagt Sylvain Hoffmann. „Das kann bei 25 Rentenjahren bis zu 400.000 Euro ausmachen.“
Risiko der Altersarmut
„Diese signifikative Verschlechterung der Renten wird möglicherweise große soziale Konsequenzen nach sich ziehen, da die Rentenarmutsrate steigen wird“, schreibt die CSL in einem Gutachten vom Mai 2023. Bisher hat das Luxemburger Rentensystem es geschafft, das Risiko der Altersarmut zu minimieren. Die Luxemburger Rentner sind laut Statec mit 11,4 Prozent einem vergleichsweise geringen Armutsrisiko ausgesetzt. Ein Blick in die Statistiken von Eurostat zeigt aber auch: Das Armutsrisiko der über 65-Jährigen hat sich in den vergangenen zehn Jahren in Luxemburg quasi verdoppelt. 2012 waren es 6,1 Prozent in der Altersgruppe 65+, die armutsgefährdet waren. 2022 ist der Anteil in Luxemburg auf 11 Prozent gestiegen.
Noch ist Sylvain Hoffmann nicht davon überzeugt, dass es wirklich einer tiefgreifenden Reform bedarf. „2012 wurde bereits vorhergesagt, dass 2020 die kritischen 24 Prozent erreicht werden würden und die Reserve 2034 aufgebracht sein soll“, sagt Hoffmann. Ohne großes Zutun habe sich der Horizont mittlerweile auf 2042 verschoben. Und sollte es knapp werden? „Wir haben eine Rentenreserve von 20 Milliarden Euro“, sagt der CSL-Direktor. „Es ist sinnvoller, übergangsweise auf das Geld zurückzugreifen, als die Rentenanpassungen nicht mehr vorzunehmen.“
195.000 Renten hat Luxemburg 2020 innerhalb des ersten „piliers“ ausgezahlt. Mit 95.000 wurde fast die Hälfte der Renten an Grenzgänger ausgezahlt, 100.000 Renten gingen an Einwohner Luxemburgs. Auch die Aufteilung der Renten zwischen Mann und Frau ist fast paritätisch. 100.000 Männer erhielten 2020 eine Rente, im Vergleich zu 95.000 Frauen. Projektionen der IGSS zufolge soll 2025 eine genaue Parität zwischen Mann und Frau erreicht sein. 69 Prozent der ausgezahlten Renten dienten der Altersvorsorge. 22 Prozent der Renten waren Witwen-/Waisenrenten und bei neun Prozent handelte es sich um eine Invalidenrente.
Zweite und dritte Säule
Für Besser- und Großverdiener bieten sich anhand der zweiten und dritten Säule dann zwei weitere Alternativen, das Gehalt steuerlich zu entlasten und seine Altersvorsorge nebenher etwas üppiger zu gestalten. Unter der Begrifflichkeit der „zweiten Säule“ verstecken sich die Zusatzrenten, die von der IGSS zugelassen sein müssen und dem Arbeitnehmer vom Arbeitgeber angeboten werden können. Im Jahr 2022 wurden 82.999 Arbeitnehmer, darunter 1.048 Selbstständige, mit einer betrieblichen Zusatzrente versichert. Das teilte die IGSS auf Tageblatt-Anfrage mit. Die Zusatzversicherungen, die je nach Unternehmen und Versicherungsgesellschaft unterschiedlich ausfallen können, werden jährlich von der IGSS kontrolliert. Es steht den Unternehmen auch zu, ihren Arbeitnehmern eine Zusatzrente und eine Risikoversicherung anzubieten bzw. nur eine der beiden Leistungen. 2022 wurden neben der betrieblichen Zusatzrente 15.313 weitere Personen von ihrem Arbeitgeber mit einer Risikoversicherung ohne Altersvorsorge ausgestattet. Insgesamt werden mit dem zweiten „pilier“ des Luxemburger Rentensystems demnach knapp 100.000 Arbeitnehmer versichert.
Hinter der dritten Säule verstecken sich Zusatzversicherungen, die der Arbeitnehmer mit einer privaten Versicherungsgesellschaft abschließen kann. Das kann auch steuerliche Vorteile bieten: Insgesamt können jährliche Beitragszahlungen in private Rentenversicherungen in Höhe von 3.200 Euro steuerlich abgeschrieben werden. Das entspricht einem monatlichen Beitrag von 267 Euro. Genaue Zahlen, wie viele Arbeitnehmer eine private Zusatzaltersvorsorge abgeschlossen haben, gibt es in Luxemburg keine. Die Steuerverwaltung kann lediglich sagen, wie viele Steuererklärungen pro Jahr eingingen, auf denen eine private Zusatzrente steuerlich abgeschrieben wurde. Unklar ist jedoch, ob eine Person oder ein Haushalt Anspruch auf die Steuergutschrift erhoben hat.
Es sind die Privatinitiativen der zweiten und dritten Säule, die die Regierung laut Koalitionsvertrag mit Steuererleichterungen stärken will. Das ist ob der liberaleren Ausrichtung der Regierung nicht verwunderlich – bedeutet aber, dass vor allem Besserverdiener von einer solchen Maßnahme profitieren würden. Denn: Die Beiträge zur gesetzlichen Krankenkasse unterliegen einem oberen Limit, das dem Fünffachen des gesetzlichen Mindestlohnes entspricht.
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„insbesondere durch eine Verbesserung der Steuererleichterungen.“
Verstehe nix. Wie soll man „erleichtert“ werden, wenn man schon fast keine Steuern ………..
Wie sagte Freund José einst, komm mit mir nach Figueira, dort kannst du herrlich leben mit deiner Rente. Stimmt das heute noch?
Wenn ja, würde ich wieder die Sprach-CD rauskramen.
Iwwert d’ Rentemauer gëtt schonn zënter 1970 geschwat an debattéiert. Schlau Mathematiker ( Ineichen aus der Schwäiz) hunn deemools de Crash fir spéitstens de 90er Joren berechent. Awer et koum ganz anescht. Deen enorme Wuesstum dee Lëtzebuerg an de leschte 50 Joren hat, deen hätt de Crash verhënnert gëtt gesot. Dat heescht awer dann och, wa mir weider esou gigantesch wuessen, (Stau iwwerall, onbezuelbar Wunnengen, schlecht Loft), da sollen d‘ Renten bleiwe wéi se sinn. Wann awer de Rentesystem verschlechtert gëtt, da soll onbedéngt dee Wuesstum, parallel dozou, drastesch limitéiert ginn. Eng Regierung vu Lëtzebuerg misst de Rentesystem als Axiom unhuelen, an d‘ Politik esou gestalten, dass dat Axiom, agehal gëtt. Och wann déi aner an Europa meckeren. Ech hoffen, déi kënschtlech Intelligenz erkläert de jonke Wieler och emol, dat, wann d’ Cheffen am Büro bis 70 Joer um Stull peche bleiwen, da mussen déi 30- bis 40-järeg doheem bei den Elteren ganz laang op eng Aarbecht waarden.
A wouvun lieft den Haff dann wa mer manner Steieren bezuelen?
Wann an der Politik an Industrie iwwer Reformen geschwat gett, kann een dovunner ausgoen, dass et ëmmer en „Nivellement vers le bas“ ass