Theater / Verstümmelte Liebhaber: Sarah Kanes „Cleansed“ in einer Inszenierung von Max Jacoby
Nach dem interaktiven „Am Bësch“ kehrt die Volleksbühn zurück in den Gudde Wëllen, um „Cleansed”, Sarah Kanes Vorstellung einer Liebesgeschichte – mit abgetrennten Leibern und Vergewaltigungen – aufzuführen. Max Jacobys Inszenierung ist minimalistisch – und funktioniert mitunter, weil der Fokus auf dem gleichzeitig zurückhaltenden und expressiven Spiel der drei tollen Hauptdarsteller liegt.
Sarah Kanes Stücke hinterfragen die Möglichkeit der Darstellung von Gewalt auf der Bühne. In Kanes Stücken werden Vergewaltigungen dargestellt, Babys gefressen („Blasted“), Leiber abgetrennt und von Ratten angenagt. Neu ist das nicht – Theater ist seit jeher gewalttätig und einiges von dem, was Sarah Kane, die sich mit 28 Jahren das Leben nahm, einfällt, kennt man aus dem ersten, überaus brutalen Shakespeare-Stück „Titus Andronicus“.
In „Cleansed“ schneidet eine diabolische Figur, Tinker, einer anderen die Zunge ab und zwingt sie, einen Ring zu schlucken, später wird eine Figur mit einem Pflock vergewaltigt. Menschen erhängen sich, trennen Beine und Arme ab, tun sich weh – psychisch und körperlich.
Trotzdem ist „Cleansed“ Sarah Kanes Vorstellung einer Liebesgeschichte. Auf dem Gelände einer ehemaligen Universität oder Schule, die zu einer psychiatrischen Institution umfunktioniert wurde, tummeln sich eine Reihe verlorener Gestalten, die von der Gesellschaft ausgeschlossen werden und an denen Tinker eine Reihe von Experimenten durchführt.
Grace vermisst ihren verstorbenen Bruder Graham, der in der ersten Szene von Dealer/Dokter Tinker Drogen verabreicht bekommt und an einer Überdosis stirbt. Als sie im Leichenschauhaus auf Robin trifft, der die Kleider ihres verstorbenen Bruders trägt, beginnt eine Liebesbeziehung zwischen den beiden, die einerseits auf dieser Identifikation mit dem toten Bruder gründet, andererseits daraus besteht, dass Grace Robin das Schreiben beibringt. Immer wieder wird implizit suggeriert, Grace habe eine inzestuöse Beziehung zu ihrem Bruder gepflegt.
Auf einer zweiten Handlungsebene verliebt sich der etwas naive Carl in den abgehärteten, zynischen Rod – was wiederum Tinker nicht wirklich zu gefallen scheint, der Carl nach und nach verstümmelt und Rod irgendwann die Kehle durchschneidet – der übliche Beziehungswahnsinn halt.
Das perverse Mastermind Tinker, der vermeintliche Leiter der Anstalt, der selbst allerdings derangierter ist als alle Insassen und immer wieder eine Kabine aufsucht, in der er einer unbekannten Stripperin, die er zeitweilig für Grace hält, beim Tanzen zuschaut, scheint dabei seine Insassen auf die Probe zu stellen, indem er sie fragt, wie weit sie bereit sind, für ihre Liebe zu gehen, und ihnen so offenbart, dass sich hinter den meisten hochtrabenden Liebeserklärungen nur eine fahle Rhetorik versteckt.
Das Problem mit Sarah Kanes Stücken ist vielleicht – und dessen war sich die Autorin durchaus bewusst –, dass sich die Gewalt durch ihre Anhäufung irgendwann abnutzt, sie zu einer reinen Ästhetik wird und der abgehärtete Zuschauer sich sagt: Hach, schon wieder ein abgetrenntes Bein. Dass einen die Hyperbel von Brutalität, Blutbädern und sexueller Gewalt irgendwann ermüdet.
Identitätsverwischung und Genitalien-Transplantation
Dazu kommt, dass die verschiedenen Möglichkeiten, die Gewaltausbrüche zu inszenieren, irgendwann ausgeschöpft sind: Da es geradezu unmöglich ist, mit den Mitteln des Theaters eine Tarantino-artige Slasher-Orgie zu inszenieren, muss hier mit anderen Methoden Gewalt dargestellt, angedeutet, gespielt werden – Kane selbst verstand die Verstümmelungen in „Cleansed“ als metaphorisch und wollte sie auch so inszeniert wissen. Im Gegensatz zum vorher besprochenen „Liliom“ wird häusliche Gewalt zwar dargestellt, weil sie hier aber metaphorisch und übertrieben ist, ist die gesellschaftskritische Komponente hier weniger ausgereift und das Stück eher auf morbide Art poetisch.
In Max Jacobys Inszenierung wird mehr erzählt als gespielt – so wirkt es zumindest zu Beginn. Jacqueline Milne, Whitney Fortmueller und Danny Boland stehen auf einer kargen Bühne zwischen drei Lichtständern, die sie abwechselnd in grünes, rotes, blaues Neonlicht tauchen, während Cay Heckers bedrohliche (vielleicht etwas zu leise abgespielte) Soundkulisse Unbehagen verbreitet.
Bewegen tun sich die drei kaum, die Körper stehen starr, nur durch Kopfschütteln wird beispielsweise Tanzen suggeriert. Die Schauspieler sehen einander nicht an, starren mit leeren Blicken bedrohlich ins Publikum, sagen die Regieanweisungen monoton auf und sehen aus wie Puppen, die durch ihre Textpassagen immer wieder animiert werden.
Während Jacqueline Milne und Danny Boland die Rollen wechseln – gen Ende verschmelzen die verschiedenen Figuren, Identitäten wie Geschlechterdichotomien lösen sich, auch hier auf äußerst brutale Art (Stichwort Genitalia-Transplantation) auf –, bleibt Whitney Fortmueller in der Haut des Manipulators gefangen.
Fortmueller spielt Tinker mit einer angsteinflößenden Anspannung und einer noch angsteinflößenderen Jovialität, die an Figuren aus „A Clockwork Orange“ erinnern, Boland wechselt fließend zwischen dem naiven Carl und Robin, Milne zwischen der anonymen Tänzerin, dem zynischen Rod und der trauernden Grace, in Verstümmelungsszenen spiegelt sich der Schmerz in der zuckenden Gesichtsmuskulatur der Schauspieler, auch sonst liest man die oftmals zurückgehaltenen Emotionen an einem Zittern der Lippen, einem verzweifelten Blick ab: Mit wenigen Mitteln gelingt es den drei Hauptdarstellern, ihre Figuren prägnant, präzise und einfühlsam zu verkörpern.
Ein Feel-Good-Abend geht anders, sicherlich, und für manchen dürfte die Mischung aus exzessiver Gewalt und inszenatorischem Minimalismus stellenweise ein klein wenig zweckfrei wirken – nichtsdestotrotz ist die fünfte Produktion der Volksbühne toll gespieltes Theater, das Kanes krankes Universum effizient und ohne Verschnörkelungen – „cleansed“ halt, auch wenn es hier nicht wirklich kathartisch zugeht – auf die Bühne bringt.
Zum Schluss ein kleiner Appell an die hiesigen Theatermacher: Joy Divisions „Love Will Tear Us Apart“ und Aquas „I’m A Barbie Girl“ sind in dieser noch recht jungen Spielzeit bereits mehrmals auf den Bühnen gespielt worden – vielleicht wäre es an der Zeit, die musikalische Bandbreite etwas zu erweitern.
Das Stück läuft noch am Freitag und am Samstag im „Gudde Wëllen“. Eintritt: Pay what you can. Beginn: 20.00 Uhr. Dauer: eine Stunde.
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