Theater / Verträumte Weltuntergangsstimmung: Die neue Spielzeit im TNL
In der kommenden Spielzeit will das TNL zwischen Weltuntergang und Träumen ein gleichzeitig schonungsloses und hoffnungsspendendes Bild unserer kaputten Welt zeichnen.
„Hier im TNL versuchen wir stets, thematisch am Puls der Zeit zu sein und ein Thema zu finden, das es uns mehr oder weniger erlaubt, den Bogen von der einen zur nächsten Produktion zu spannen. Der Krieg beschäftigt mich weitaus mehr als die Pandemie. Da ich ein wenig den Eindruck habe, die Welt versinke langsam im Chaos, schlug ich vor: Wie wäre es mit dem Thema Weltuntergang. Florian (Hirsch, Chefdramaturg im TNL, Anm. der Red.) meinte etwas trocken, so würden wir die Menschen bestimmt nicht ins Theater locken – und so haben wir uns auf ein weniger endzeitliches ‚Nacht und Träume‘ geeinigt.“
Die Nacht kann sehr wohl das Finstere, den Untergang bezeichnen – aber in der Nacht wird auch gefeiert, wird sich geliebt, sind etliche Meisterwerke entstanden. Und: Zu Beginn der Nacht wird Theater gespielt. In den zwei Frank-Hoffmann-Produktionen der Spielzeit geht es dann auch sehr konkret um den Untergang – der Welt, der Menschheit. Im Laufe einer szenischen Lesung, die heute Abend uraufgeführt wird, verbindet Hoffmann Becketts letztes, wortloses Fernsehspiel „Nacht und Träume“ mit „Weltuntergang“, einem Text des in Buchenwald verstorbenen Jura Soyfer, in dem ein Komet von einer planetarischen Gemeinschaft aufgerufen wird, die hoffnungslos verlorene Erde zu zerstören.
Ein Planet dreht durch
„Eine Bekannte hatte mir den Text ans Herz gelegt – erst las ich ihn aus diesem Pflichtgefühl, das einen oft heimsucht, wenn Menschen, die man schätzt, einem einen Text empfehlen. Schnell sah ich jedoch in diesem 1936 in Wien uraufgeführten Stück spannende Anknüpfungspunkte an unsere Zeit.“ War der Text des jüdischen Autors damals eine Warnung vor dem erstarkenden Nationalsozialismus, tun sich heute weitere Bedeutungsebenen auf. Obwohl ein Professor die Regierungen vor dem bevorstehenden Untergang warnt, reagiert niemand, während die Reichen sich auftun, ein Weltraumschiff zu konstruieren, um rechtzeitig zu flüchten. Parallelen zur Klimakrise und Elon Musk sind mehr als deutlich.
In „Café Terminus“, das in Zusammenarbeit mit Florian Hirsch von Hoffmann selbst verfasst wird und sich lose an Eugene O’Neills „The Iceman Cometh“ inspiriert, finden eine ganze Reihe an verlorenen Gestalten Unterschlupf in der titelgebenden Kneipe. Während draußen vor der großherzoglichen Tür der Krieg oder die Krise stehen, hofft die versiffte und versoffene Gesellschaft auf einen ominösen besseren Morgen.
Dunkle Aktualitätsbezüge oder apokalyptische (Alp)traumvisionen findet man auch in vielen anderen Produktionen, sei es im polnisch-ukrainischen Dokumentar-Tanztheater „Every Minute Motherland“ über das Exil, dem von Ray Bradburys Dystopie inspirierten „Dekalog der Angst“, Bert Brechts „Flüchtlingsgesprächen“ oder auch Kathrin Herms Inszenierung des Arno-Schmit-Textes „Schwarze Spiegel“, in dem eine Figur durch eine verwüstete Landschaft irrt und sich dabei sicher ist: Das „Experiment Mensch“ ist beendet.
LINK Weitere Informationen gibt es auf www.tnl.lu
Vormerken sollte man sich zudem „Lovefool“ von Gyntare Parulyte, Arne Lygres „Homme sans but“ in einer Inszenierung der talentierten Sophie Langevin, das auf Kuba nach drei Aufführungen zensierte „Esta noche todo será differente“ von Roland Schimmelpfennig, „Je ne suis pas de moi“ des verstorbenen Roland Dubillard, in dem Luxemburg den grandiosen Denis Lavant („Holy Motors“) auf der Bühne erleben darf oder auch, last but not least, „Weinender Mond“, in dem sich Jacques Schiltz und Claire Wagener (u.a.) Kompositionen von Claude Lenners annehmen.
„Uns wird nicht zu Unrecht oft vorgeworfen, wir würden unsere Produktionen nicht oft genug spielen“ – was weder sehr publikumsfreundlich, noch sehr nachhaltig ist. Um diesem Vorwurf entgegenzusteuern, gibt es in dieser Spielzeit Wiederaufnahmen vom „Zauberberg“, von „La peste“, „Chanson douce“ und „Begegnungen“. Hoffmann gibt jedoch zu bedenken, dass ein solches Unterfangen wegen der Spezifizität der hiesigen Theaterlandschaft nicht so leicht zu bewerkstelligen ist – vor allem, da es hierzulande keine Ensembles gibt.
Hausautor ist dieses Jahr, nach Elise Schmit, Samuel Hamen, dessen Residenz sich über zwei Spielzeiten erstrecken soll – während sein Theaterstück für die nächste Saison programmiert ist, wird er im März in Zusammenarbeit mit Anne Simon eine szenische Lesung konzipieren, in dem die Autorin Anna Kavan – laut J.G. Ballard „eine der rätselhaftesten Autorenfiguren der Moderne“ – im Zentrum stehen wird.
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