Glutenintoleranz / „Viele Restaurants kennzeichnen Allergene nicht richtig“
Die Diagnose „Glutenintoleranz“ ändert das ganze Leben. Eine normale Geburtstagstorte ist tabu, die Tiefkühlpizza ebenfalls, ein spontaner Restaurantbesuch erfordert Geduld und Hartnäckigkeit. Gluten ist weit verbreitet und in vielen Lebensmitteln des täglichen Bedarfs enthalten. Die „Association luxembourgeoise des intolérants au gluten“ (ALIG) setzt sich seit 25 Jahren für die Interessen der Betroffenen ein.
Danièle Welter (53) hat Glück im Unglück. Bei ihr wird die Glutenintoleranz, eine nicht heilbare und nicht mit Medikamenten behandelbare Krankheit, schon als Baby entdeckt. Sie ist nur wenige Monate alt, unterernährt und hat den typisch aufgequollenen Bauch von Unterernährten. Und sie wächst nicht. Ihr Darm kann das Milchpulver nicht verarbeiten.
Sieben Jahre ernährt ihre Mutter die Tochter glutenfrei mit Produkten aus Italien, das in den 70er-Jahren schon viel offener ist für die Bedürfnisse dieser Menschen. In Luxemburg gibt es damals nichts. Danach ordnet der Arzt normale Ernährung an. Trotz der Umstellung hat sie keine sichtbaren Symptome einer Glutenintoleranz. Die Folgen zeigen sich erst viel später.
Als erwachsene Frau ist sie unfruchtbar, ihre Knochen brechen leicht, sie leidet unter starkem Eisenmangel. „Das tut alles nicht weh“, sagt sie leicht bitter. Eine erneute Untersuchung, viele Jahre später, sie ist 43 Jahre alt, bestätigt erneut die Glutenintoleranz. Welter zieht die Notbremse und steigt wieder auf glutenfreie Ernährung um.
Lebenswichtige Stoffe werden nicht verarbeitet
Bei von Glutenintoleranz Betroffenen ist der Dünndarm permanent entzündet und arbeitet nicht mehr. Weder lebenswichtige Mineralien noch Spurenelemente noch Vitamine gelangen im Körper dorthin, wo sie gebraucht werden. Der Fachausdruck dafür ist Zöliakie. 400 Mitglieder hat allein die „Association luxembourgeoise des intolérants au gluten“ (ALIG), die sich seit 25 Jahren für die Belange der Betroffenen einsetzt.
Mangelnde Information ist das eine, dem sie entgegenwirken wollen. Das andere ist das „Nischendasein“ der Betroffenen. Glutenintoleranz war lange kein Thema im Land und wird oft nicht oder erst viel zu spät diagnostiziert. Sensibilisierungsarbeit leisten Vereinigungen wie die ALIG. Interessensvertretungen wie diese weisen unermüdlich darauf hin, dass es diese Krankheit gibt und eine Diagnose zumindest die nächsten Schritte einleitet, wenn sie endlich da ist.
Ein Leben mit der Krankheit ist beschwerlich, weil bestimmte Sachen, die für andere selbstverständlich sind, nur mit Aufwand zu meistern sind. Glutenfreie Ernährung ist eine Herausforderung und erfordert einen permanenten Nachfrage-Parcours, der den Betroffenen viel Hartnäckigkeit abverlangt. Glutenpatienten müssen ständig die Abstinenz von Gluten sicherstellen.
Ob beim Essen im Restaurant, einem Urlaub, für den glutenfreie Produkte auf die Packliste gehören, familiäre Anlässe, Klassenfahrten oder das Kantinenessen in der Schule für betroffene Kinder und Jugendliche, es gibt viele Anlässe. Weizen, Roggen, Dinkel, Gerste und Spelz enthalten Gluten. Brot, Nudeln, Pizza oder Kuchen sind nur ein Auszug aus der langen Liste der „verbotenen“ Produkte.
Viele Schulmediziner denken nicht an GlutenintoleranzBetroffener
Das Studium der Inhaltsstoffe auf der Verpackung gehört zum täglichen Einkaufsritual. Viele Produkte können „verstecktes“ Gluten enthalten, wie beispielsweise Schokolade, Bonbons und die meisten Fertiggerichte. Die ALIG beziffert die Zahl der diagnostizierten Betroffenen mit 800 bis 1.000 im Land und geht von einer wesentlich höheren Dunkelziffer aus. In der Regel sind ein Prozent der Bevölkerung betroffen.
Bei André Chaussy (71) wird die Krankheit erst im Alter von 45 Jahren identifiziert. Er ist als Kind extrem dünn, klein und vor allem unkonzentriert in der Schule. Seine oft auftretenden Aften im Mund und die Hibbeligkeit werden damals systematisch heruntergespielt. Auf Glutenintoleranz kommt niemand. „Es hieß immer, er ist halt nervös wegen der Schule“, sagt er.
Glutenfreie Produkte sind viel teurer
15 Darmspiegelungen und 20 Magenspiegelungen hat er bis zur Diagnose hinter sich. Das Mehl, um sein Brot selbst zu backen, besorgt er sich danach aus Belgien. Heute gehören glutenfreie Produkte zum normalen Sortiment in Supermärkten. Welter und Chaussy, die als Präsidentin und Generalsekretär der ALIG die Interessen der „Zölis“, wie sich die Glutenintoleranten untereinander nennen, vertreten, sagen, sie lebten mittlerweile gut mit der Krankheit. Der Zusatz „wenn man sich damit arrangiert“ kommt leise daher, macht es aber aus.
Dennoch liegt auch nach 25 Jahren noch viel Arbeit vor der ALIG. Sie will Betroffenen, die gerade die Diagnose erhalten haben, mit Informationen helfen. „Das ist fast immer ein Schock“, sagt Welter. Ein Hindernislauf an Bürokratie ist nach wie vor die Rückerstattung für glutenfreie Produkte durch die CNS. „Glutenfreie Produkte sind teilweise drei bis vier Mal teurer als normale Produkte“, sagt Welter.
Im Bereich der jugendlichen Patienten gibt es ebenfalls einiges zu tun. „Viele Schulmediziner denken nicht an Glutenintoleranz“, sagt Chaussy. Außerdem bieten nur wenige Schulkantinen glutenfreies Essen überhaupt an, da will die ALIG sensibilisieren. Und sie ist eine Anlaufstelle, wo Betroffene sich austauschen können und aufgehoben fühlen. Im Kreis mit anderen sind sie keine Außenseiter mehr.
Allergene: Stiefkind der Speisekarten
Die ALIG bemängelt, dass in vielen Restaurants die Allergene nicht oder sogar falsch hinter den Gerichten gekennzeichnet sind. Damit sind Lebensmittel gemeint, die Allergien oder Unverträglichkeiten auslösen können. „Die Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 sieht 14 solcher Stoffe vor, die auf einem Lebensmittel gekennzeichnet werden müssen“, heißt es auf dem Landwirtschaftsportal. Die ALIG bietet kostenlose Kurse für Küchen- und Servicekräfte der Gastronomie an, die nach ihrem Geschmack viel zu wenig beachtet werden. Für die Betroffenen hängt von der richtigen Kennzeichnung einiges ab.
Praktische Tipps
Heute finden sich in den meisten Lebensmittelgeschäften glutenfreie Produkte. Andere haben ihr Angebot exklusiv auf die Bedürfnisse der Glutenintoleranten zugeschnitten. Zwei Beispiele: Im Restaurant „Eden Rose“ in Kayl wird glutenfrei gekocht. Die „Pâtisserie Chambelland“ in der Hauptstadt arbeitet ebenfalls nur mit glutenfreien Zutaten.
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