Interview mit der Band Pretty Loud / „Viele Roma arbeiten an sich und bilden sich weiter“
Spätestens seit der Einführung des hauptstädtischen Bettelverbots wird in Luxemburg viel über Romnja – der weibliche Plural – und Roma gesprochen. Doch wie viel davon entspricht der Realität? Ein Gespräch mit Mitgliedern von Pretty Loud, einer Band aus Serbien, die sich aus Romnja zusammensetzt, über u.a. Geschlechterrollen, Antiziganismus und die Lage in Luxemburg.
Zur Band
In jungen Jahren die Schule verlassen und heiraten – das sind Traditionen innerhalb vieler Roma-Gemeinschaften, mit denen die Mitglieder von Pretty Loud brechen wollen. Als „Roma Girl Band“, wie sie sich selbst bezeichnen, möchten sie den Frauen in ihrer Community eine Stimme geben und für deren Rechte eintreten. Ihr Sound ist eine Mischung aus Rap und traditioneller Roma-Musik. Die Songtexte auf Romani, Serbisch und Englisch befassen sich mit Themen wie häuslicher Gewalt („Ravnopravno“), und der Wichtigkeit der Erinnerungskultur („Jag Tabilji“).
Die Band ist innerhalb der Grubb-Zentren in Serbien entstanden. Die Organisation Grubb setzt sich für die akademische Förderung junger Rom*nja ein und möchte deren soziale Integration in Serbien und Europa langfristig fördern. Die Schulen, die sich vor allem auf die bildenden Künste fokussieren, stehen jungen Rom*nja bis 18 Jahren offen; eine Voraussetzung ist, dass sie ihre Regelschule besuchen. Pretty Loud wurde von Schülerinnen und Workshop-Leiterinnen ins Leben gerufen. Bei der Gründung der Band im Jahr 2014 waren die Mitglieder zwischen 14 und 27 Jahre alt. Mittlerweile studieren manche von ihnen in England.
Die Gruppe setzt sich aus vier permanenten Mitgliedern und einem rotierenden Line-up zusammen. Den festen Kern bilden die Rapperinnen Silvia Sinani Ibraimović und Zlata Ristić sowie die Leadsängerinnen Elma und Selma Dalipi, die übrigens Zwillinge sind. Bei Live-Auftritten schließen sich weitere Sängerinnen, Rapperinnen und Tänzerinnen an.
Tageblatt: Die häufigste Aussage, die man über Roma hört, ist, dass sie Nomaden seien und mit ihren Wohnwagen von einem Ort zum nächsten ziehen würden. Mythos oder Wirklichkeit?
Silvia Sinani Ibraimović: Das ist heute nicht mehr der Fall. Die meisten leben sesshaft. In der Vergangenheit war es anders, doch das hatte auch seine Gründe. Der Hauptgrund dafür war Armut – und Armut ist auch heute noch ein Problem in den Gemeinschaften. Viele leben in armen Vierteln, unter prekären Bedingungen. Es gibt nicht genügend Hilfe von der Regierung und so haben viele schlechte Zukunftsperspektiven.
Zlata Ristić: Ich denke, ein Aspekt, der zu diesem Vorurteil geführt hat, ist die Tatsache, dass wir überall auf der Welt verteilt sind. Hier muss aber gesagt werden, dass die Probleme, die zurzeit innerhalb der Roma-Gemeinschaft bestehen, auch außerhalb existieren.
Wie ist die aktuelle Situation für Romnja in Serbien?
Z.R.: Mittlerweile ist die allgemeine Akzeptanz von Roma in der Gesellschaft gestiegen, doch bei Diskriminierung sind wir als Frauen doppelt betroffen: einmal, weil wir Romnja sind, und einmal wegen unseres Geschlechts. In einem unserer Songs behandeln wir das Thema „early marriage“, die Heirat Minderjähriger. Darin wird die Heirat eines Mädchens namens Samantha gegen ihren Willen von ihrem Vater organisiert. Ich habe selber als Jugendliche geheiratet und wurde mit 17 Jahren Mutter. Heute bin ich 30, mein Sohn wird demnächst 14. Das Konzept des „early marriage“ gibt es durchaus innerhalb von Roma-Gemeinschaften. Es gibt Fälle, in denen Mädchen mit 16 verheiratet sein und Hausfrauen werden müssen. Sie dürfen nicht mehr zur Schule gehen. Doch es gibt auch Gegenbeispiele. Wir möchten erreichen, dass Frauen die Wahl haben, wen und wann sie es möchten zu heiraten. Ich will, dass andere etwas lernen, wenn sie von meiner Erfahrung hören.
S.S.I.: Unser Name ist auch an die Vorstellung angelehnt, die viele Menschen von Romnja haben: dass wir ruhig sind und keine eigenen Entscheidungen treffen (Pretty Loud bedeutet „ziemlich laut“, Anm. d. Red.).
Z.R.: Es gibt nach wie vor auch Diskriminierung in Schulen: wenn Eltern serbischer Kinder nicht möchten, dass diese zusammen mit Roma-Kindern zur Schule gehen. Das Problem ist aber, dass diese Menschen nur etwas über uns gehört, aber nie mit uns gesprochen haben. Sie haben Vorurteile. Ich sage deswegen immer: Es ist besser, jemanden zuerst kennenzulernen. Menschen, die diese Vorurteile haben, verbinden Roma meistens mit kriminellen Aktivitäten.
Stichwort Vorurteile: Über Roma gibt es viele Stereotypen … Mit welchen sind Sie persönlich bereits konfrontiert worden?
S.S.I.: Dass wir schmutzig, Diebe und ungebildet seien, dass wir keine Wohnung hätten … Das bedeutet nicht, dass es überhaupt keine Menschen gäbe, auf die dies zutrifft. Es gibt sie wohl auch. Aber es sind eben Stereotypen, die leider immer noch in den Köpfen mancher bestehen. Wir möchten das ändern und mit unserer Musik und unseren Songtexten dagegen ankämpfen.
Elma Dalipi: Ich sehe eher wie ein „klassisches“ Roma-Mädchen aus, da ich dunkelhäutig bin. In der Grundschule wurde ich wegen meiner Hautfarbe ausgegrenzt: Andere Schülerinnen bildeten Gruppen und schlossen mich aus. Jetzt, wo ich an der Highschool bin, hat sich das aber verändert. Ich finde, insgesamt werden Menschen weltoffener und lernen, andere mehr zu akzeptieren. Aber es gibt auch immer noch engstirnige Personen, die zum Beispiel, wenn ich ihnen mitteile, dass ich Musik mache, meinen: „Wie? Ich wusste nicht, dass du etwas Ernstes tun würdest, du bist doch Roma! Ich dachte, ihr würdet nichts tun.“
Z.R.: Bei mir ist es so, dass ich hellhäutig bin und viele überrascht sind, wenn sie erfahren, dass ich Romni bin. Sie erwarten nicht, dass wir auch wie so viele andere aussehen können. Dabei sind wir Menschen wie alle anderen auch.
E.D.: Viele Roma arbeiten an sich, bilden sich weiter … Es ist auch möglich, der Roma-Gemeinschaft anzugehören und gebildet und erfolgreich zu sein.
Eine eigene Band gründen scheint als Frau innerhalb der Roma-Gemeinschaft nicht gang und gäbe zu sein …
S.S.I.: Nein, es ist alles andere als üblich. Die Idee, eine Musikgruppe zu gründen, kam vor Jahren auf. Wir wollten ein Projekt ins Leben rufen, das zeigt, dass auch Romnja über die Schwierigkeiten, mit denen sie täglich konfrontiert sind, reden können.
Z.R.: Ursprünglich wurde Pretty Loud von Silvia und mir sowie anderen Mitgliedern, die mittlerweile nicht mehr mit uns auftreten, gegründet. Im Grubb Center gab es eine männliche Gruppe, wir wollten aber eine eigene gründen, mit der wir über unsere täglichen Herausforderungen reden können. Unsere Mütter und Großmütter hatten nicht die Möglichkeit, ihre Stimme zu erheben. Das war der Hauptgrund, warum die Band ins Leben gerufen wurde.
Am 15. Dezember 2023 ist in der Hauptstadt Luxemburg ein Gesetz in Kraft getreten, das das Betteln an vielen öffentlichen Plätzen verbietet. Der Innenminister und die Bürgermeisterin der Stadt haben mehrfach betont, dass sich das Verbot gegen „aggressives, organisiertes Betteln“ richte. Es ist klar, worauf sie sich beziehen. 2015 hat ein Luxemburger Anwalt einen offenen Brief verfasst, in dem er von Bettlern aus Südosteuropa schrieb, die „eklig und unverschämt“ seien und einem „sinistren Boss“ dienen würden. Und erst vor kurzem hat eine Gemeinderätin gemeint, es seien „viel mehr dunkelhäutige Bettler auf den Straßen“ zu sehen. Was denken Sie darüber?
(Schweigen)
S.S.I.: Es ist sehr traurig, das zu hören. Sie wissen ja nicht, ob diese Leute Roma sind oder nicht. Das sind wieder Stereotypen, die verankert sind.
Z.R.: Es macht mich wütend, denn diese Personen hegen eindeutig einen Hass gegenüber Roma. Das ist sehr engstirnig.
E.D.: Ich fühle mich beleidigt. Warum fokussieren sie sich so stark auf die negativen Aspekte? Es gibt auch Positives. In jeder Bevölkerungsgruppe gibt es Positives und Negatives.
Z.R.: Ich denke, bei solchen Ansichten kommt vieles vom Elternhaus. Wenn jemand etwas Schlechtes tut, hat es nichts mit der Nationalität dieser Person zu tun. Es ist nicht in Ordnung und nicht fair, alle Angehörigen dieser Bevölkerungsgruppe aufgrund dieser Person zu verurteilen. Deswegen finde ich es wichtig, dass Eltern ihren Kindern Respekt beibringen.
E.D.: Es sollte auch mehr getan werden, um den Betroffenen zu helfen. Und ich finde, dass jeder an sich selber arbeiten sollte, um zu einem besseren Menschen zu werden.
Früher wurde das Wort „Zigeuner“ (auf Englisch: „Gypsy“) verwendet. Es gilt jetzt als Beleidigung – stattdessen wird der Begriff „Roma“ bevorzugt. Was ist Ihre Ansicht dazu?
Z.R.: Ich würde sagen: Wenn man jemanden respektiert, sagt man Roma. Viele Menschen wissen es aber nicht. Wir sind dann auch nicht wütend, wenn sie das Wort „Gypsy“ nutzen, denn sie zielen nicht darauf ab, uns zu beleidigen.
E.D.: In Serbien gibt es nach wie vor das Wort „Cigani“. Ich fühle mich nicht angegriffen, wenn jemand nicht versucht, mich zu beleidigen. Aber in den sozialen Medien und mit dem Hass, den es teilweise dort gibt, wird das Wort achtlos verwendet – wenn wir beispielsweise etwas auf TikTok veröffentlichen und sich Menschen nicht mal anschauen, was in dem Video gezeigt wird, sondern einfach „Cigani“ schreiben. Das Wort „Gypsy“ ist in manchen Ländern nicht erlaubt, aber ich finde, es sollten noch mehr Anstrengungen gemacht werden. Beispielsweise wenn Menschen sagen: „Warum bist du so ein Gypsy?“ Ich persönlich fühle mich sehr gut, wenn jemand Roma sagt. Es zeigt, dass diese Personen versuchen, achtsam und respektvoll zu sein.
Zu Ihrer Musik: Wie entstehen die Songs und warum Hip-Hop?
Z.R.: Wir verbinden Rap mit unserer traditionellen Roma-Musik. Wir wollen nicht, dass diese in Vergessenheit gerät. Rap ist großartig, um uns auszudrücken.
E.R.: Wir lieben Hip-Hop und Singen und Tanzen sind schon immer ein Teil unseres Lebens gewesen. Dass wir unsere Message auf diese Weise verbreiten können, ist ein sehr gutes Gefühl.
S.S.I.: Rap war von Beginn an ein Bereich, in dem man alles sagen kann, was einem wichtig ist, und niemand ist einem deswegen böse. Es gibt keine Grenzen: Man ist frei wie ein Vogel! Was die Songs betrifft, schreiben wir die Texte alle zusammen. Wir schauen, was uns wichtig uns und was wir erzählen möchten. Wir machen alles selbst, von den Instrumentals und den Lyrics bis hin zum Mixing.
E.D.: Wir erschaffen auch Choreografien, nicht nur zu unseren Songs, sondern auch zu denen anderer Künstler.
S.S.I.: Im Grubb-Zentrum haben wir auch Mentoren. Das sind Männer, die uns unterstützen. Es ist gut, zu sehen, dass Männer unsere größten Supporter sind, und dass sie wollen, dass wir glücklich sind und Erfolg haben. Das ist ein wirklich tolles Gefühl.
In Ihren Songs geht es häufig um Stärkung der Frauenrechte, um die Möglichkeit, eigene Entscheidungen zu treffen, und um die freie Wahl, wie man leben möchte. Wie sieht es bei Ihnen persönlich aus? Was bedeutet Glück für Sie und was macht Sie glücklich?
Z.R.: Meine Familie! Glücklich sein werde ich, wenn wir als Roma nicht mehr für unsere Rechte kämpfen müssen und die kommenden Generationen nicht mehr dafür kämpfen müssen, ihr eigenes Leben zu führen.
S.S.I: Mein Baby macht mich glücklich (Silvia ist Mutter eines neun Monate alten Säuglings, Anm. d. Red.) und natürlich die Menschen, die mir nahestehen. Mein Wunsch ist es, einfach nur gesund zu sein. Mein Lebensmotto lautet: Sei anders und sei ein guter Mensch!
E.D.: Meine Schwester Selma: Sie ist meine größte Unterstützerin. Wir machen täglich Musik zusammen und wenn ich mit ihr bin, fühle ich mich erfüllt. Wichtig ist mir meine Familie, in einem ehrlichen und freundlichen Umfeld zu sein und Musik. Ich finde es gut, wenn Mädchen in meinem Alter an sich arbeiten und versuchen, Dinge zu ändern.
Sie sind bereits mehrmals im Ausland aufgetreten. Würden Sie auch nach Luxemburg kommen?
Alle: Gerne! Wir würden das in Betracht ziehen und gerne tun! Es hängt aber nicht nur von uns, sondern von vielen Faktoren ab. Dies kostet viel Geld und auch in der Musikindustrie ist es heutzutage nicht einfach. Aber grundsätzlich gilt: Wo immer wir eingeladen werden, möchten wir hingehen.
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