Interview / Virologe Claude Muller kritisiert Waringo-Bericht: „Da liegt ein Interessenkonflikt vor“
Die Abgeordneten diskutieren am Montag über den Waringo-Bericht, Mehrheit und Opposition kämpfen um die Deutungshoheit der Fakten, wie sie von Jeannot Waringo festgehalten wurden. Virologe Claude Muller kritisiert im Interview mit dem Tageblatt die fehlende Detailschärfe des Berichtes und thematisiert mögliche Interessenkonflikte in der Zusammenstellung der Arbeitsgruppe.
Tageblatt: Prof. Dr. Muller, eine erste Einschätzung zum Waringo-Bericht?
Prof. Dr. Claude Muller: Der Bericht ist eine Fleißarbeit, bei der eine Unmenge an Dokumenten zusammengetragen wurde. Ich hätte mir jedoch gewünscht, dass die erschlossenen Informationen anschaulicher dargestellt worden wären. In Form einer Tabelle hätte man zum Beispiel übersichtlich darstellen können, wo und zu welchem Zeitpunkt welche Maßnahmen gegolten haben. Zudem hätte man quantitativ genauer arbeiten können. Das kann auch unabhängig von der Struktur des Hauses und unabhängig von den speziellen Gegebenheiten vor Ort analysiert, ausgewertet und verglichen werden.
Der Bericht ist meines Erachtens also nicht komplett. Man hätte besser darlegen können, was für Daten zur Verfügung standen, welche Daten für eine weitergehende Analyse gefehlt haben.
Können Sie ein Beispiel nennen, was Sie mit quantitativer Analyse meinen?
Es hätte zum Beispiel analysiert werden können, zu welchem Zeitpunkt wie viele Tests am Eingang der Alten- oder Pflegestruktur durchgeführt wurden und wie hoch die Beteiligungsrate beim Pflegepersonal war. Das kann unabhängig von den lokalen Gegebenheiten ausgewertet werden. Im Nachhinein ist es schwierig festzustellen, was von den zahlreichen Instruktionen und „Ordonnances“ aus dem Ministerium wirklich umgesetzt wurde. Diese Genauigkeit wurde mit Begriffen wie „beaucoup“ oder „plusieurs“ oder auch „les gens ont fait de leur mieux“ umschifft – schlussendlich ohne etwas Konkretes zu sagen.
In dem Sinne war die Anonymisierung der Alten- und Pflegeheime im Bericht auch nicht zielführend?
Es wurde ein Inventar erstellt, das es nun ermöglicht, weiter ins Detail zu gehen. Vor allem in Bezug auf die Teststrategie in den Heimen, die nur sehr kurz und sehr konfus beschrieben wurde. Dadurch ist nur schwer zu verstehen, was wirklich passiert ist. Deshalb reicht es nicht, zu wiederholen, dass die Anweisungen befolgt wurden.
Wird die Wahrheitsfindung nicht im politischen Geplänkel untergehen?
(lacht) Das müssen Sie die Politiker fragen.
Durch die Anonymisierung sollte ein „name and shame“ verhindert werden. Wo liegt der Anreiz der verschiedenen Einrichtungen, ihre Fehler aufzuarbeiten?
Die Dachverbände müssen aufhören, die Verhältnisse schönzureden – immerhin waren während des Studienzeitraums die Hälfte der Toten unter ihrer Obhut. Die Heim- und Pflegestrukturen müssen endlich Verantwortung übernehmen und dafür sorgen, dass ihr Personal geimpft wird.
Sie befürworten also eine Impfpflicht?
Ich habe mich dazu ja schon geäußert. Ich habe kein Problem damit, wenn es der einzige Weg ist, das Personal in den Alters- und Pflegeheimen dazu zu bewegen, sich selbst und die Bewohner vor einer Infektionskrankheit zu schützen, die bei denen in 20 Prozent der Fälle zum Tode führt.
Das Infektionscluster im Heim „um Lauterbann“ hat die Debatte ausgelöst, der Bericht beschäftigt sich eindringlich mit den Geschehnissen in dem Altenheim. Welche Lektionen lassen sich aus den Geschehnissen ziehen?
Eine ähnliche Analyse hätte man bei Clustern in anderen Einrichtungen ebenfalls machen sollen, dann hätte man gewusst, dass die Maßnahmen sehr durchlässig waren. Das ist elementare Molekularepidemiologie. Man kann sicherlich feststellen, dass sich danach jeder der Gefahr bewusst war, die eine Pandemie mit sich bringt. Vorher waren vielleicht nicht alle dementsprechend sensibilisiert.
Der Waringo-Bericht fordert um das Altenheim „um Lauterbann“ weitere Aufklärung. Wie kann das gelingen?
Im Bericht wird der Fall im Altersheim „um Lauterbann“ als einziger Fall etwas detaillierter behandelt – dabei müssten die Geschehnisse der vergangenen Monate für jedes Alters- und Pflegeheim ähnlich aufgearbeitet werden. Der eigentliche Grund, warum ich alarmiert war und die Untersuchung angeregt habe, war ja der, dass aufgrund einiger Medienberichte der Eindruck entstanden ist, dass zahlreiche Geimpfte gestorben sind. Wer wurde wann geimpft und erkrankte am wievielten Tag nach der Impfung dennoch schwer an Covid-19? Das war meine eigentliche Erwartung an den Bericht.
Wer könnte diese Detailarbeit übernehmen?
Gute Frage (lacht). Ich glaube nicht, dass die Gemeinden die nötigen Kompetenzen dafür haben. Der Ball liegt eigentlich bei der Regierung oder der Chamber. Man könnte die Aufgabe aber auch an ein externes Forschungsinstitut wie das Luxembourg Institute of Health (LIH) abgeben.
Mit Joël Mossong ist ein Epidemiologe der „Santé“ Mitglied der Arbeitsgruppe um Jeannot Waringo. Wie unabhängig kann dieser Bericht tatsächlich sein?
Wahrscheinlich wurde Joël Mossong gebraucht, um die Daten der „Santé“ zur Verfügung zu stellen. Joël Mossong ist sehr professionell, da sehe ich kein Problem. Dafür hätte er aber nicht Mitglied der Kommission sein müssen. Unglücklich ist, dass ausgerechnet ein Vertreter der „Santé“ in beiden Teilgruppen dabei war. Da besteht ein Interessenkonflikt. In diesem Zusammenhang fällt auch auf, dass die Analyse der Cluster hätte tiefer gehen können. Das Kapitel über die LST-Teststrategie in den Häusern – eigentlich die wichtigste Schutzmaßnahme – ist kurz, konfus und kommt zu einer Schlussfolgerung, die sich nicht aus der Analyse ergibt. Da ist meines Erachtens die direkte Handschrift der „Santé“ erkennbar.
Hätte Jeannot Waringo eine deutlichere Schlussfolgerung ziehen können?
Durchaus, ja.
Was wäre denn Ihre Schlussfolgerung?
Ich muss noch einige Kapitel im Detail durchlesen, dazu war bisher ja zu wenig Zeit, für mich und vor allem für die Abgeordneten, die den Bericht auf Druck der Regierungsparteien bereits 24 Stunden nach Vorstellung debattieren mussten. Zu den Kapiteln der Clusteranalyse und des LST habe ich aber eine deutliche Meinung: Die Clusteranalyse hätte tiefgreifender sein müssen, das Kapitel zum LST erscheint mir extrem kurz und widersprüchlich.
Einen Vorschlag bringt der Waringo-Bericht dann doch hervor: Die Alters- und Pflegestrukturen sollen unter die Verantwortung des Gesundheitsministeriums fallen. Wie stehen Sie dazu?
Ich denke, dass dafür ein interessantes Argument aufgeführt wurde: Die Bewohner werden immer älter – und damit auch fragiler und vulnerabler. Damit verschiebt sich die Aufgabe der Heimstrukturen immer mehr Richtung medizinische Pflege. Früher oder später muss das Gesundheitsministerium also eine größere Rolle spielen, weil die entsprechenden Fachkenntnisse dort vorhanden sind und nicht im Familienministerium. Das wäre nachvollziehbar, ich bin aber kein Experte auf dem Gebiet. Auch bei den Dachverbänden muss in Sachen Infektionsschutz ein Umdenken einsetzen – darauf geht der Bericht leider nicht ein.
- Von Dynamik und Statik: Xavier Bettels Europa- und Außenpolitik braucht neue Akzente - 19. November 2024.
- CSV und DP blicken auf ereignisreiches Jahr zurück - 18. November 2024.
- „déi Lénk“ sieht von „Interessenkonflikten durchsetzte“ Institution - 13. November 2024.
E ganz interessanten Interview vum Dr. Claude Muller. Esou Artikelen wënschen ech der méi an der Lëtzebuerger Presselandschaft.
Dass Virologen die einzigen Experten was Covid bei uns betrifft sind ist ja zu genüge bewiesen. Was hätten wir ohne diese Kenner des neuen, also komplett unbekannten Virus aus China getan ?
Demnach bin ich gezwungen unserem durch seine Tv-Auftritte landesweit bekannten Experten dieser winzigen Tierchen vollkommen Recht.zu geben .
Denn was soll man schon viel von dem Bericht eines alten pensionierten ex-Staatsbeamten und neuerdings Familienexperten über die Pflegegewohnheiten in Alters -und sonstigen Unterbringungsheimen für Vulnerablen halten. Nichs !
@ Kron Nick 👍