Leitbild Nordstad / „Visionen“ aus der Mottenkiste: Verstaubte Pläne und Projekte
Geschafft! Die fünf Informationsabende in den jeweiligen „Nordstad“-Gemeinden Bettendorf, Diekirch, Erpeldingen/Sauer, Ettelbrück und Schieren liegen hinter uns. Nun sei die Frage erlaubt, was den interessierten Zuschauern und Zuhörern eigentlich an diesen Abenden geboten wurde. Dass viele Bürger nach diesen Events das Gefühl hatten, ihnen sei aufgewärmte Kost gereicht worden, kommt nicht von ungefähr. Wir stöberten im Archiv.
Der grüne Minister für Raumentwicklung, Claude Turmes, gab Erläuterungen zum „landesplanerischen Leitbild Nordstad 2035“. Er sprach u.a. von einer grün vernetzten „Nordstad“, von einer resilienten, multifunktionalen „Nordstad“ als Mittelzentrum, einem Raum mit hoher Aufenthalts- und Lebensqualität, von einem Leben mit dem Fluss und dem Wasser, von einer Stärkung des Bildungs- und Gesundheitsstandortes, von einer „Nordstad“ als Tourismusstandort usw. Die „Träume“ von Turmes wurden mit Lichtbildern untermalt, auf denen viel Natur zu sehen war. Dazu gab es noch Bilder mit Holzstegen entlang der Sauer, auf denen Menschen der Sonne frönen. Alles wie gehabt! Alles im grünen Bereich!
François Bausch, grüner Minister für Mobilität und öffentliche Bauten, und Marc Ries (Straßenbauverwaltung) verschafften den Anwesenden Einblicke in die eventuelle Verkehrsführung im Raum zwischen Schieren und Bettendorf, mit dem Hauptaugenmerk auf Ettelbrück und Diekirch. Die beiden letztgenannten Ortschaften ächzen seit vielen Jahren unter stetig zunehmendem Verkehrsaufkommen.
Ein alter Hut
Auf den gezeigten Lichtbildern sieht die Vision 2035 u.a. einen Fahrrad-Express-Weg zwischen Schieren und Bettendorf, eine Umgehungsstraße in Ettelbrück (Richtung Bastogne), den Ausbau der B7 zwischen Schieren und Fridhaff auf zweimal zwei Fahrspuren, eine Entlastungsstraße rund um Diekirch, eine Verkehrsdrehscheibe in Erpeldingen/Sauer (Zug, Bus, P&R, Fahrrad), die Verlegung sowohl der Verbindungsstraße als auch der Eisenbahnlinie Erpeldingen-Diekirch seitlich an den Hang des „Goldknapp“, eine Eisenbahnhaltestelle in Ingeldorf sowie eine Neubelebung der Hauptachse Ettelbrück-Diekirch (verkehrsberuhigter Wohn- und Lebensraum) vor.
Doch spätestens an dieser Stelle rieben sich viele ältere Anwesende die Augen. „Nimmt man uns hier auf den Arm oder hält man uns gar für bescheuert?“, sagte ein sichtlich aufgebrachter Einwohner aus Diekirch beim Verlassen des Informationsabends.
Nehmen wir das Beispiel Umgehungsstraße Ettelbrück. Der Minister und der Vertreter der Straßenbauverwaltung verkauften die Trasse zwischen der einstigen Zigarettenfabrik am Eingang von Ettelbrück bis zur Anhöhe zwischen Ettelbrück und Niederfeulen als Teil des Leitplans 2035. Das könnte man, gelinde ausgedrückt, als Frechheit bezeichnen. Wie aus dem nebenstehenden Auszug einer von der CSV im Jahr 1979 – ja, Sie haben richtig gelesen, 1979 (!) – als Wahl-Werbegeschenk verteilten Karte hervorgeht, ging bereits damals von einer Umgehungsstraße die Rede, die damals östlich an der Pattonstadt entlang bis nach Feulen führen sollte.
Man kann es nicht oft genug sagen: Ende der 1990er Jahre (!) hatte die Straßenbauverwaltung mit Studien belegt, dass die bestehende kleine Umgehung Ettelbrücks dem Verkehrsaufkommen nicht gerecht werden kann. Aufgrund der damals durchgeführten Studien hatten die Ingenieure einmal mehr ein komplettes Vorprojekt für eine wahre Entlastungsstraße ausgearbeitet und zur Verabschiedung an den damals verantwortlichen CSV-Bautenminister Claude Wiseler weitergeleitet. In den Begleitdokumenten, die mit den Plänen auf den Instanzenweg geschickt wurden, stand unter anderem Folgendes: „La mise en service du petit contournement d’Ettelbruck en 1993 a nettement amélioré le flux de trafic dans le centre d’Ettelbruck, mais il faut toujours mettre en évidence que cette route a été conçue pour délester le centre d’Ettelbruck moyennant un projet peu coûteux à réaliser en un temps record tout en sachant que ce contournement ne pourrait ni résoudre les problèmes de trafic en direction de Bastogne à long terme, ni les problèmes de sécurité qui se posent dans la descente dangereuse de Feulen en direction d’Ettelbruck“
„Vision“ ist 42 Jahre alt
Von der damals bereits dringend notwendigen Entlastungsstraße wollte der zu dem Zeitpunkt amtierende Bautenminister Claude Wiseler jedoch nichts wissen und die CSV-Führung der Gemeinde Ettelbrück wollte ihren Parteikollegen nicht drängeln. Heute wird die Trasse, die also bereits vor mehr als 25 Jahren auf Karten eingezeichnet war, als Vision verkauft.
Nein, sagen die Planer. Das erste Teilstück bis zur Feulener Anhöhe sei wohl nicht neu, dafür aber die Idee, mit einer Entlastungsstraße Warken und die dorthin führende, täglich kollabierende avenue Salentiny vom Großteil des Verkehrs zu befreien. Dass dem nicht so ist, zeigen Pläne, die nun auch bereits fast 20 Jahre in einer Schublade verharren. Wohl gab es keine mit genau der gleichen Trasse wie der nun gezeigten, doch Pläne für eine Entlastungsstraße in und aus Richtung Warken bzw. avenue Salentiny gab es mehrere. Zuletzt war dies der Fall nach der Entscheidung, die neue Klinik an der avenue Salentiny anzusiedeln, obschon es einen anderen möglichen Standort am Eingang der Ortschaft Ettelbrück (in der Nähe des „Centre hospitalier neuro-psychiatrique“) gab. Mit dem Bau der neuen Klinik an besagter Straße, die bereits zu dem Zeitpunkt komplett überlastet war, nahm man Hunderte zusätzliche Fahrzeuge täglich in Kauf, Fahrzeuge, die sich ihren Weg durch den Kern der Ortschaft bahnen müssen. Planung „à la luxembourgeoise“. Die damals geäußerte Idee, eine Entlastungsstraße über die „Hardt“ Richtung Erpeldinger Dreieck zu bauen, stieß auf großen Widerstand in der Bevölkerung, da dieser Grüngürtel nordöstlich von Ettelbrück – zu Recht – als unantastbares Naherholungsgebiet angesehen wird.
Bleiben wir noch kurz beim Thema Umgehungsstraße. Im Leitplan „Nordstad 2035“ geht ebenfalls die Rede von einer solchen Straße rund um die Distriktshauptstadt Diekirch, genauer gesagt vom „Fridhaff“ Richtung rue Clairefontaine, unter dem Herrenberg und dem Militärzentrum hindurch. Auch diese Trasse ist hinlänglich bekannt, mit dem Unterschied, dass das letzte Teilstück auf älteren Plänen nicht in die rue Clairefontaine, sondern in die N17 in der Ortschaft Selz (zwischen Diekirch und Tandel) mündete.
Selbstverletzendes Verhalten
Dass diese Umgehungsstraße, sollte sie denn irgendwann gebaut werden, nun in der „Kléck“ weiter nach Gilsdorf (Gemeinde Bettendorf) führen soll, hat auch seinen guten Grund. Nur ein Beispiel: Die neue Ackerbauschule, die dort gebaut wurde und bei der letzten Schul-„Rentrée“ ihren Dienst aufnahm, bringt unweigerlich ein zusätzliches hohes Verkehrsaufkommen mit sich. Busse und Autos, die diese Schulen anfahren, müssen quer durch Diekirch fahren, dabei wäre es auch möglich gewesen, diese Infrastruktur auf Diekircher Gebiet, direkt an der Eisenbahnlinie Diekirch-Ettelbrück, anzusiedeln (böse Zungen behaupteten damals, das hätte allein damit zu tun gehabt, dass der Unterrichtsminister und die Bürgermeisterin aus Bettendorf der gleichen politischen Partei angehören würden und der Diekircher Bürgermeister eben nicht).
Beim Leitbild „Nordstad 2035“ kann also nicht von Visionen die Rede sein, sondern höchstens von Pflaster auf Wunden, die man sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten selbst zugefügt hat.
Spätestens seit dem Bau der Nordstraße weiß man um die Schnelligkeit, die Luxemburg im Straßenbau an den Tag legt. Es braucht aber nicht allein dieses Beispiel, denn quer durchs Land warten Straßenbauprojekte jahrelang auf ihre Realisierung, ohne dass auch nur das Geringste passiert.
Viele Jahre ziehen ins Land …
Ein Beispiel gefällig: Seit 2015 geht die Rede von dringend notwendigen Lösungen betreffend die Verkehrsführung auf Roost (Gemeinde Bissen), dort, wo sich in den letzten Jahren viele große Unternehmen niedergelassen haben und noch weitere dabei sind, neue Produktions- und Verkaufsstätten zu errichten. Der CSV-Abgeordnete Marc Lies machte sich in einer parlamentarischen Frage vom 26. Juni letzten Jahres Gedanken darüber, wann denn endlich der Verteilerkreis auf Roost (N7/CR115) – Gemeinde Bissen – gebaut wird. Im Januar 2018 hatte der zuständige Minister François Bausch bereits in einer Antwort auf eine damalige parlamentarische Frage hervorgehoben, dass mit dem Beginn der Arbeiten an der ersten Phase dieses Verteilers Ende 2018 zu rechnen sei.
Der erwähnte Verteilerkreis N7/CR115 sei 2018 in ein Gesamtkonzept mit eingeflossen, so Bausch in seiner Antwort Mitte vergangenen Jahres. Die diesbezüglichen Studien würden noch immer andauern. „Wann mit der Realisierung des Gesamtprojekts begonnen wird, darüber kann ich zum heutigen Zeitpunkt keine Angaben machen, da noch nicht alle Genehmigungen und technische Informationen vorliegen.“ Zudem seien noch nicht alle Terrains, die man für das Gesamtkonzept braucht, im Besitz des Staates, so der zuständige Minister abschließend. Wie gesagt, das war Mitte 2020. In nur 73 Tagen schreiben wir das Jahr 2022. Von dem für Ende 2018 angekündigten Beginn der Arbeiten ist noch immer nichts zu sehen.
Ach ja! Das von Bausch im Leitbild „Nordstad 2035“ erwähnte Projekt des Ausbaus der B7 zwischen Schieren und Fridhaff auf zweimal zwei Spuren hat auch bereits einen langen, sehr langen Bart.
An dieser Vorgehensweise wird sich auch bei den Plänen der genannten Umgehungsstraßen Diekirch und Ettelbrück nichts ändern, deren Planung jetzt bereits 20, 30 und mehr Jahre andauert. Das Gleiche gilt für das Gesamtkonzept „Nordstad“, sollte es denn überhaupt einmal zu einem Zusammenwachsen der fünf Gemeinden kommen. Nach zwei Jahren Ankündigungszeit sowie nun bereits drei Jahren Sondierungs- und Fusionsgesprächen liegt eine Fusion jedenfalls noch immer in weiter Ferne.
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Tjo, mer dreemen eben ëmmer nach vun enger autogerechter Welt. An dofir gi mer ni fäerdeg, Stroossen ze bauen an ëmmer nees Stroossen ze bauen.