Rechtspopulismus / „Volksverherrlichung“ à la ADR: Ein Gespräch mit Politologin Léonie de Jonge
Rechtsradikale unterwandern Demos, Verschwörungstheoretiker vereinnahmen die Impfskepsis – und die Presse wird für korrupt erklärt: Wie entsteht so eine populistische Bewegung? Und welche Rolle spielt die ADR dabei? Das Tageblatt hat sich mit der Luxemburgerin Léonie de Jonge (31), Assistenzprofessorin für Europäische Politik und Gesellschaft an der Universität Groningen, unterhalten.
Tageblatt: Warum nehmen an Protesten gegen die Corona-Politik fast immer auch Rechtsradikale teil?
Léonie de Jonge: Es gibt Verschwörungstheorien, die bei rechtsextremen Menschen gut anschlagen – wie etwa die einer jüdischen Elite. Auf der anderen Seite machen sie das auch aus PR-Gründen. Wenn sie sich dort anschließen, dann hilft ihnen das auch, legitimer zu erscheinen und vielleicht neue Mitglieder zu finden. Die Corona-Skeptiker sehen sich hingegen bei den Rechtsradikalen in ihrem Misstrauen gegenüber Regierung, Wissenschaft und dem System im Allgemeinen bestätigt.
Die Bewegung der Corona-Skeptiker ist allerdings sehr heterogen.
Léonie de Jonge
Léonie de Jonge unterrichtet und recherchiert an der Universität Groningen. Sie hat einen Doktortitel in Politik & Internationale Studien von der Universität Cambridge, einen MPhil in Politik & Internationale Studien von der Universität Cambridge sowie einen BA in Internationalen Beziehungen vom Cornell College, Iowa. Ihre Doktorarbeit befasste sich mit dem Erfolg und Misserfolg rechtspopulistischer Parteien in den Benelux-Ländern.
Die Luxo-Niederländerin tritt öfters als Expertin in internationalen – aber vor allem niederländischen – Medien auf, um über Rechtspopulismus zu sprechen. In ihrer Freizeit spielt sie gerne Basketball – die 31-Jährige war auch Teil der Luxemburger Nationalmannschaft.
Genau, man kann natürlich nicht alle Mitglieder dieser Demonstrationen in eine Schublade stecken. Eine Studie aus Österreich hat die Ideologien der Corona-Skeptiker analysiert. Das Resultat: Es ist nicht entscheidend, welchem politischen Spektrum man angehört – populistische Attitüden sind wichtig. Das heißt, vor allem ein allgemeines Misstrauen in die Elite spielt eine Rolle: Und das tritt bei links und rechts auf. Populismus kennzeichnet sich durch Volksverherrlichung – also dass es nur ein Volk gibt und sich die Politik nach diesem einen Volk richten muss. Politik, Wissenschaft und Experten werden als Teil einer technokratischen Elite gesehen, die Teil der Verschwörung gegen das Volk sind.
Wie entsteht so eine populistische Bewegung?
Dafür benötigt man den richtigen Nährboden und eine politische Bewegung, die das fördert. Populisten gewinnen vor allem in einer Krise an Beliebtheit. Eine Krise größer machen als sie ist, gehört zum populistischen Lehrbuch. Politiker können diese Nachfrage erschaffen und populistische Züge der Gesellschaft auffangen.
Es scheint so, als würden sich vor allem rechtspopulistische Parteien auf die Seite der Impf-Skeptiker schlagen. Warum?
Wir haben mehr rechtsradikale als linksradikale Parteien in Europa. Das, was Rechtspopulisten groß gemacht hat, ist die Migration. Das wird momentan weniger politisiert, wodurch sie auch ihr Thema verloren haben und sich auf andere Themen stürzen müssen: Impfskepsis bietet sich an. Sie behaupten, sie würden diese Wähler ernst nehmen und sich für sie einsetzen – und das als einzige Partei.
Wie kann man gegen Populismus, aber auch Verschwörungstheorien vorgehen?
Man muss offen und transparent die realen Sorgen der Menschen anerkennen und den Dialog mit ihnen suchen. Es ist wichtig, ganz komplexe Informationen zugänglicher zu machen, um Informationslücken zu vermeiden. Sonst ist es einfach, diese Lücken mit Verschwörungstheorien zu füllen. Medien, Wissenschaft und Politiker haben eine besondere Verantwortung. Sie müssen rechtsextreme Züge verurteilen und den Unterschied zwischen demokratischem und undemokratischem Verhalten aufzeigen.
Warum hat es so lange gedauert, bis populistische Bewegungen in Luxemburg angekommen sind?
Ähnliche Tendenzen präsentieren sich in Luxemburg immer etwas später und schwächer als in anderen Teilen Europas. Das könnte am Wohlstand liegen, aber auch daran, dass es in Luxemburg länger dauert, bis die Menschen streiken. Die Polarisierung findet auch stärker in Ländern mit einem Zweiparteiensystem statt. Die Luxemburger Politik spricht sich auch relativ schnell gegen antidemokratische Tendenzen aus.
Das heißt, die Luxemburger Politik weiß, wie sie gegen Populismus vorgehen muss?
Am Anfang hat das relativ gut funktioniert. Mittlerweile müssen sich Politiker und Wissenschaftler allerdings überlegen, wie sie besser über diese komplexen Themen kommunizieren. Sie müssen besser darin werden, offen und transparent mit der Öffentlichkeit zu reden und Informationen zu teilen. Viele Menschen haben legitime Angst vor dem Impfstoff. Deswegen muss der Dialog mit diesen Menschen besser funktionieren. Eine Impfpflicht würde dies noch verschlimmern, da diese Menschen ihre Meinung nicht ändern würden. Man muss auf ihre Ängste eingehen.
Was kann die Presse in dieser Hinsicht bewirken?
Die Presse hat eine wichtige Rolle als „Watchdog“ der Demokratie, um den Unterschied zwischen demokratischem und undemokratischem Vorgehen aufzuzeigen. So hält man eine Demokratie am Leben. Dann ist die Frage, ob die Medien nur da sind, um den Dialog mit den Menschen zu halten, oder auch, um die Sachen zu verurteilen, die über eine Grenze hinausgehen. Das hängt davon ab, ob man Medien als Watchdog sieht oder nur als Medium, das die Informationen verteilt und dem Leser die Einschätzung überlässt.
Das ist natürlich nicht immer ganz einfach.
Es gibt sehr gebildete Menschen, die richtige Fakten mit Falschinformationen vermischen, um Glaubwürdigkeit vorzutäuschen. Das macht es noch schwieriger, Falschinformationen und radikale Elemente in der Ideologie offenzulegen – aber das ist eine wichtige Rolle der Medien. Diese Aussagen muss man dann factchecken. Das Problem: Die Studie aus Österreich hat gezeigt, dass vor allem die Verschwörungstheorie bei einem Faktencheck hängen bleibt. Idealerweise sollte die Presse die Theorie nicht wiederholen und gleichzeitig die Falschinformation widerlegen. Das ist natürlich nicht einfach.
Bei der letzten Demo waren weniger Teilnehmer. Warum?
Viele Menschen waren bei dem ersten Protest verärgert und verzweifelt – und waren selbst erschreckt über den kleinen gewalttätigen Kern. Wir haben in Luxemburg keine Protestkultur. Die Menschen haben sich nicht gefragt, wer die Veranstaltung organisiert hat und ob überhaupt eine Erlaubnis vorliegt. Die meisten Teilnehmer wollen nicht mit Vandalismus und Gewalt assoziiert werden. Die Politik hat die Gewalt auch klar verurteilt. Das war sehr wichtig – daran erkennt man den Unterschied zwischen demokratischer und antidemokratischer Politik.
Viele Impfskeptiker scheinen sich bei der Oppositionspartei ADR wohlzufühlen. Wieso?
Es ist nicht überraschend, dass Impfskeptiker in der Opposition ihren Platz finden. In allen Ländern sieht man, dass sich das bei den Rechtspopulisten kanalisiert. Die ADR ist eine „Softversion“ von diesen Parteien. In Holland gibt es Parlamentarier, die die schlimmsten Verschwörungstheorien verbreiten – das kann man nicht einmal mit der ADR vergleichen. Trotzdem: Um das nicht zu normalisieren, muss man das ernst nehmen. Es ist wichtig, dass Medien, Politiker und auch die ADR selbst ihre eigenen Vertreter zu Verantwortung aufruft.
Die Skandale der ADR
Die ADR ist in den vergangenen Wochen mehrmals negativ aufgefallen. Roy Reding hat vor zwei Wochen eine E-Mail mit der privaten Telefonnummer eines Tageblatt-Journalisten in einer Telegramm-Gruppe mit Impfskeptikern veröffentlicht. In der Gruppe selbst wurde der Journalist daraufhin „Spëtzel vun der Gestapo“ und „Kollaborateur“ genannt, worauf Reding nur mit „oui, oui“ antwortete. Der Tageblatt-Kollege erhielt auch mehrere Textnachrichten von Impfgegnern.
Der Vorstand der luxemburgischen Journalistenvereinigung ALJP hat das Vorgehen stark kritisiert. Auch Premierminister Xavier Bettel sagte vergangenen Dienstag in der Chamber, Reding habe es bewusst in Kauf genommen, dass ein Tageblatt-Journalist unter Druck gesetzt werde. DP-Politiker Gilles Baum ging sogar so weit und legte Reding einen Rücktritt nahe: „Wenn ich Sie wäre, würde ich zurücktreten.“
Kartheiser startete seine Rede währen derselben Chamber-Sitzung mit einem Frontalangriff auf die Presse. Er stellte den Parteikollegen Roy Reding als Opfer von Hetze und Verleumdung dar, die Presse würde Leute „an den Pranger“ stellen. „Wir sind nicht mehr im Mittelalter und so was geht nicht“, sagte Kartheiser und hielt den Artikel des Tageblatt „Lügen, Propaganda, wirre Theorien: Das sind Luxemburgs gefährliche Schwurbel-Influencer“ in die Höhe.
Ein Großteil des Beitrags von Kartheiser drehte sich nicht um die Ausschreitungen von Samstag, stattdessen griff er viele Argumente und Kritiken der Anti-Corona-Szene auf. Aus dem Hintergrund kamen zu diesem Zeitpunkt mehrere Zwischenrufe: Kartheiser würde erst die Stimmung anheizen und „Öl aufs Feuer werfen“. Die Schuld für die Hetze und den Hass sah Kartheiser in seiner Rede bei ausländischen, aggressiven Unterwanderern der Proteste, der Regierung, den ungerechtfertigten Maßnahmen – und der Presse.
Überhaupt scheint die Stimmung zwischen ADR und Presse angespannt. Ein ADR-Politiker sagte am vergangenen Mittwoch „Mir wird gerade etwas schlecht“, als sich ein Tageblatt-Journalist bei der Parteizentrale nach einer Telefonnummer informierte. Der Grund: „Wegen der wunderbaren Presse, die Sie schreiben.“
Wie meinen Sie das?
Wenn Politiker, die in der Abgeordnetenkammer sitzen, gegen Journalisten hetzen und eine private Nummer veröffentlichen, ist das eine Einschüchterungstaktik. Dann reicht es nicht aus, sich nur davon zu distanzieren. Roy Reding hat ganz klar eine Grenze überschritten. Dann reicht es absolut nicht, zu sagen: „Ups, da ist mir ein Fehler unterlaufen.“ Das ist eine Frage der politischen Verantwortung. Als Abgeordneter gibt es eine Grenze zwischen Verantwortung und Repräsentation – und die wurde hier überschritten. Hier muss wirklich stärker aufgetreten werden und nicht so wie Fernand Kartheiser, der dann alle Medienvertreter infrage stellt. Er darf nicht so einfach damit davonkommen. Es ist auch an der ADR, Reding zur Rechenschaft zu ziehen.
Warum ist das so schlimm?
In jedem Schulbuch der Demokratie stellt man fest: Wenn die Demokratie untergeht, glaubt die Presse zuerst dran. Wenn Medien kollektiv als einheitliche Organisation der Unwahrheiten dargestellt werden, dann besteht die Gefahr, dass das Vertrauen in diese Institutionen untergraben wird. Kritik an Politik, Medien und Wissenschaft: ja. Das ist positiv für die Demokratie, denn zu viel Vertrauen ist nicht gut. Aber wenn konsequent Zweifel gesät werden, dann besteht die Gefahr, dass es legitim wird, die kritischen Medien abzusetzen. Man benötigt die Presse in der Demokratie. Es ist an den Medien, den Politikern und der ADR selbst den Druck hochzufahren und nicht wegzuschauen. Wenn wir dort wegschauen, ist das ein Spiel mit dem Feuer.
Aber die ADR setzt sich doch nur für Meinungsfreiheit ein, oder?
Das ist typisch für Rechtspopulisten: Es ist Teil ihres Drehbuchs. Sie befinden sich immer in der Zone der Ambiguität. Es geht darum, einen Skandal zu erschaffen – wie zum Beispiel Roy Reding mit der Telefonnummer – und dann wird behauptet, das sei so nicht gemeint gewesen. „Die linken Medien möchten uns etwas anhängen, jetzt sind wir schon wieder der Buhmann“, sagen sie dann. So sind sie konstant in den Medien und kurz danach fängt der nächste Skandal an. Das ist gang und gäbe im Drehbuch des Rechtspopulismus. Das erkennt man auch – wenn auch weniger stark – bei der ADR.
ADR-Politikerin Sylvie Mischel ist selbst geimpft, war aber bei der ersten Demonstration mit dabei.
Wenn Bürger bei einem Marsch mitgehen und nicht informiert sind über die Menschen, die die Demo organisiert haben, kann man noch sagen: okay … Politiker haben in dieser Hinsicht allerdings eine andere Verantwortung als Bürger. Sylvie Mischel hat nicht zum ersten Mal eine Grenze überschritten. Sie wurde schon einmal aus der Partei ausgeschlossen. Wie oft darf man „Ups“ sagen, bis man endgültig aus der Partei ausgeschlossen wird?
Trotz allem: Die ADR hat laut jüngstem Politmonitor an Beliebtheit gewonnen.
Es ist noch sehr lange bis zu den Wahlen und ich glaube, dass sich die ADR mit Aktionen wie jener von Roy Reding selbst in den Fuß geschossen hat. Es gibt sicher Menschen, die sich denken: „Okay, das geht mir zu weit.“ Die Personen, die die ADR momentan anzieht, sind ideologisch sehr gespalten. Diese Wähler zu behalten, wird schwierig, wenn andere Themen wieder aktuell werden. Ich denke auch, dass innerhalb der ADR nicht alle zufrieden sind. Von verschiedenen Mitgliedern hört man momentan sehr wenig. Sie lehnen sich jetzt zurück und warten.
Das heißt, diese Entwicklung im Politmonitor ist keine dauerhafte?
Das Resultat der ADR ist kein struktureller Trend. Menschen, die in einer Umfrage sagen, dass sie eine andere Partei wählen, erinnert die Politiker daran, dass sie sich Mühe geben müssen, um diese Menschen bei sich zu behalten. Es ist nämlich nicht nur der ADR zuzuschreiben, dass es so gut läuft. Die anderen Parteien haben es verschlafen, diese Menschen bei sich zu halten.
Die politische Bewegung „Mir, d’Vollek“, die selbst Verschwörungstheorien teilt, will sich dort einreihen. Welche Chancen hat so eine Partei?
In Luxemburg ist es nicht so einfach, sich als politische Partei zu etablieren. Man benötigt relativ viele Stimmen, um einen Sitz im Parlament zu ergattern. Wie gesagt, es ist noch lange bis zu den Wahlen: Eine Ein-Problem-Partei braucht fähige Menschen, Infrastruktur und finanzielle Mittel, um zur wirklich haltbaren politischen Bewegung zu werden. Das nimmt viel Zeit und Geld in Anspruch. Es würde mich wundern, wenn so etwas aus dieser Krise entstehen würde.
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