Europawahl / Vollblutpolitiker „in the making“: Der grüne Spitzenkandidat Fabricio Costa im Porträt
Noch kein politisches Amt, aber dafür den richtigen Riecher. Der 29-jährige Fabricio Costa ist neben Tilly Metz Spitzenkandidat von „déi gréng“ bei den kommenden Europawahlen. Ein Treffen mit dem diskussionsfreudigsten Jungkandidaten dieses Wahlkampfs.
Fabricio Costa könnte weitermachen. Nach knapp einer Stunde Gespräch ist das Aufnahmegerät ausgeschaltet, die Notizen eingepackt, da sagt der Spitzenkandidat von „déi gréng“ bei der kommenden Europawahl: „Ach, jetzt haben wir ja noch kaum über die EU-Wahlen gesprochen.“ Als Politiker mag der 29 Jahre alte Fabricio Costa aus Luxemburg-Stadt noch am Beginn seiner Karriere stehen, aber den richtigen Drive, den hat er schon. Was auch einer der Gründe sein mag, warum seine Partei „déi gréng“ ihn neben der erfahrenen EU-Parlamentarierin Tilly Metz zum Co-Spitzenkandidaten für den 9. Juni auserkoren hat.
Bislang bekleidet Costa kein politisches Amt. Bei Wahlkampagnen ist er hingegen erfahrener. Die Europawahl ist sein dritter Wahlkampf innerhalb eines Jahres. Bei der Kommunalwahl im Juni 2023 landete Costa auf Platz sieben der Liste von „déi gréng“ in Luxemburg-Stadt und verpasste einen Sitz im Gemeinderat um gerade einmal 350 Stimmen. Auch bei der Nationalwahl im Oktober trat Costa im Bezirk Zentrum an. Am Ende stand er an zehnter Stelle im Mittelfeld der grünen Liste. Und jetzt also Europa. „Für mich hat jedes politische Niveau seinen Reiz“, sagt Costa, „und man kann auf jedem politischen Niveau etwas bewirken.“ Große Fragen wie die Klimakrise ließen sich beispielsweise nur auf europäischem Niveau lösen.
Ein neuer Zeitgeist
Costas Weg in die Politik führte über die Partei. 2018 absolvierte er ein Praktikum bei der grünen Fraktion –mitten im Wahlkampf zur Nationalwahl. „Da bin ich das erste Mal mit der Partei in Kontakt gekommen“, sagt Costa. Zuvor hatte er in Nancy, Lissabon und Paris Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Umweltpolitik studiert. Kontakte in die luxemburgische Parteienlandschaft hatte er keine. „Ich war überhaupt nicht drin in dieser Welt.“ Das änderte sich nach dem Wahlerfolg von „déi gréng“. Es gab Personalbedarf, Costa wurde „Attaché parlementaire“ im Bereich Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik. Ein Job, der ihm die Augen öffnete. Als Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe Wirtschaft konnte er an den Koalitionsgesprächen teilnehmen. Heute sagt Costa: „Das war ein Moment, an dem ich gemerkt habe, dass man auch als junger Mensch einen Unterschied machen kann, wenn man sich engagiert in der Politik.“ Und das machte Costa in den folgenden Jahren. Zwei Jahre lang war er Sprecher bei „déi jonk gréng“, bevor er das Amt in diesem Jahr aufgab, um Platz zu machen („Ich finde, da sollte man nicht dran festhängen.“).
Seit damals hat sich der Zeitgeist verändert. „Déi gréng“ sind nicht länger Regierungspartei, Grünen-Bashing ein Trend in ganz Europa und auch die Klimakrise hat als politisches Thema an Bedeutung und Mobilisationskraft verloren. „Es ist auch viel passiert seitdem“, sagt Costa. „Wir hatten damals noch keine Covid-Pandemie, keine Energiekrise, keinen Ukraine-Krieg – zumindest nicht in dem Maße, wie er heute stattfindet.“ Im Vergleich zur Klimakrise seien andere Krisen näher in den Alltag der Menschen gerückt, so Costa. Bei der kommenden Wahl müssen „déi gréng“ um ihren Sitz im Europaparlament bangen. „Ich bin der Meinung, dass es die Grünen braucht, um daran zu erinnern, dass wir nicht die eine Krise gegen die andere ausspielen können“, sagt Costa. „Dass wir es nur hinbekommen können, wenn wir all diese Probleme gleichzeitig angehen.“ Ein grüner Sitz sei wichtig. „Wenn wir das nicht haben, riskiert die nächste Kommission auch mit Stimmen der Rechtspopulisten gewählt zu werden. Und dann sehe ich schwarz für den Green Deal und die nachhaltige Transition.“
Costa ist ein Vollblutpolitiker „in the making“. Es zieht ihn zur Debatte wie einen Mittelstürmer zum Tor. Er hat den Instinkt, den richtigen Riecher, wann er gegen seine politischen Gegner einen Punkt setzen kann. Man sieht das, wenn man ihm im Wahlkampf zuschaut. Zum Beispiel beim Runden Tisch der Jungkandidaten in Esch in der vergangenen Woche. Costa scheut nicht den Widerspruch, die Diskussion. Er konfrontiert CSV-Kandidatin Martine Kemp, als diese gerade ihre Stimme für den Migrationspakt damit verteidigt, alles sei besser, als einfach weiterzumachen. „Kein Grund, es schlimmer zu machen“, kontert Costa. Wenig später zögert er nicht, auch gegen die LSAP zu schießen. „Ich finde es richtig, dass man kontrovers diskutiert“, sagt Costa im Interview. Eine Debatte solle keine Anhäufung von Monologen sein. „Man muss den Leuten zeigen, wo die Unterschiede zwischen den Parteien liegen.“
Besonders gut geht das im EU-Wahlkampf mit dem Thema Migrationspakt: Die Haltung der anderen luxemburgischen Politiker, die außer Tilly Metz alle mitgestimmt haben, nennt Costa „Aktionismus vor den Wahlen“. „Wir können eine humanere Flüchtlingspolitik machen und uns für mehr Solidarität in Europa einsetzen, statt wie leider nicht nur die Konservativen, sondern auch die Liberalen und die Sozialdemokraten auf einen rechtspopulistischen Kurs aufzuspringen.“ Rechtsruck ist der neue Zeitgeist. Und „déi gréng“ bekommen ihn so stark wie keine andere Partei zu spüren. Costa gibt sich gelassen: „Es ist Teil des politischen Geschäfts, dass die politischen Gegner versuchen, einen zu diskreditieren und ein negatives Bild zu vermitteln.“
Grün geht nicht ohne sozial
Europa, das ist für Fabricio Costa auch ein persönliches Thema. Auf dem Wahlkongress der Grünen im März sagte er: „Ohne Europa gäbe es mich nicht.“ Costa ist Halbportugiese. Seine Eltern lernen sich in Portugal kennen, seine Mutter absolviert dort einen Sprachkurs. Wenig später zieht der Vater nach Luxemburg („nicht die klassische portugiesische Einwanderungsgeschichte“). Nichtsdestotrotz hat Portugal Costa geprägt, hat sein soziales Bewusstsein gestärkt, wie er selbst sagt. Besonders die Zeit, die er in seiner Kindheit bei der Verwandtschaft verbracht habe, die damals teilweise in ärmlichen Verhältnissen lebte – zumindest im Vergleich zum Leben in Luxemburg. „So eine sozial-ökologische Grundeinstellung habe ich auch von zu Hause mitbekommen“, sagt Costa. Ein weiterer politisch prägender Moment: Die Abschiebungen, die der damalige Justizminister Luc Frieden Anfang der 2000er zu verantworten hatte. Als Kind habe ihn seine Mutter mit auf Demonstrationen genommen, erinnert sich Costa. „Wir hatten damals auch eine Schülerin im Lycée, die abgeschoben wurde. Das war eine Riesensache, wir waren im Gericht, als das verhandelt wurde.“
Auch bei der Debatte in Esch betont Costa die sozialen Aspekte einer wirtschaftlichen Transition hin zu mehr Nachhaltigkeit. „Ein europäischer Green Deal kann nur funktionieren, wenn er sozial ist.“ Der soziale Zusammenhalt, in Europa wie in Luxemburg, sagt Costa eine Woche später im Gespräch, sei notwendig, um die großen Probleme der Gegenwart zu lösen. Noch gehe es den Menschen im Großherzogtum vergleichsweise gut. Aber „Luxemburg ist keine Insel“, so Costa. Was in anderen Ländern Europas passiere, habe auch hierzulande Auswirkungen – meist mit ein paar Jahren Verspätung.
Konfrontative Frage zum Ende des Gesprächs: Wenn die Grünen es schaffen, ihren Sitz im Europaparlament zu verteidigen, wer gewinnt ihn? Tilly Metz oder François Bausch? Costa zögert keine Sekunde: „Das entscheiden die Wähler.“ Da sind sie wieder, die Politikerreflexe.
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