Ungarn / Vom Fidesz-Mitläufer zum oppositionellen Hoffnungsträger: Der steile Aufstieg von Peter Magyar
Ein einstiger Mitläufer bewegt in Ungarn die Medien – und die Massen: Der kometenhafte Blitzaufstieg des früheren Fidesz-Parteigängers Peter Magyar zum Herausforderer von Premier Viktor Orban wird nicht nur von seiner Ex-Partei, sondern auch von den etablierten Oppositionsparteien misstrauisch beäugt.
Vor zwei Monaten war der ungarische Ex-Diplomat Peter Magyar seinen Landsleuten noch völlig unbekannt. Doch innerhalb weniger Wochen hat sich der langjährige Parteigänger der nationalpopulistischen Fidesz vom Mitläufer zu einem der populärsten Kritiker des autoritär gestrickten Regierungs- und Parteichefs Viktor Orban gemausert.
„Wir werden keine Sklaven mehr sein“, sagt und singt der neue Hoffnungsträger vieler Ungarn. Doch obwohl der nun parteilose Jurist mit einer Handvoll Mitstreitern und rund 100.000 Sympathisanten am Wochenende in Budapest die seit Jahren größte Protestdemonstration gegen Korruption und Parteienfilz im Fidesz-Staat auf die Beine brachte, ist sich der 43-Jährige trotz seines kometenhaften Blitzaufstiegs seiner begrenzten Möglichkeiten bewusst.
Allein könne er die regierende Elite „nicht zu Fall bringen“, versucht der Politsolist nach der erfolgreichen Großdemonstration im Interview mit dem Webportal „telex.hu“ die hohen Erwartungen seiner Neu-Anhänger zu mindern: „Doch ich kann der Funken sein, der alles entzündet.“
Alle anderen Oppositionsparteien haben es bisher vermasseltEx-Fidesz-Mitglied
Es war der Skandal um die von Budapest vergeblich vertuschte Begnadigung eines Waisenhausmitarbeiters in einem Pädophilie-Fall, der den bis dahin unauffälligen Parteisoldaten Magyar Mitte Februar zum Aufstand gegen Machtwillkür und Parteiwirtschaft blasen lassen sollte.
Der geschiedene Mann der zum Rücktritt als Fidesz-Spitzenkandidatin bei den Europawahlen gezwungenen Ex-Justizministerin Judit Varga begann aus dem Nähkästchen und aus dem Innern eines hochkorrupten Machtapparats zu plaudern – und wird seitdem gehört: 2,4 der zehn Millionen Ungarn haben allein sein fast zweistündiges Interview beim Youtube-Kanal „partizan“ angeklickt.
Politisch bei Fidesz sozialisiert
„Einige wenige Familien besitzen mehr als die Hälfe des Landes“, so seine Klage über den gigantischen Wohlstandstransfer in die Taschen der Fidesz-Barone im Dunstkreis des Orban-Clans. Ende März veröffentlichte Magyar einen Mitschnitt eines Gesprächs mit seiner Ex-Frau über Interventionen von Orbans Kanzleichef Antal Rogan in laufende Ermittlungen. Sie sei von ihrem damaligen Ehemann zu den belastenden Aussagen „manipuliert“ worden, behauptet Varga heute – und wirft dem Fidesz-Nestbeschmutzer umgekehrt „emotionalen und physischen Missbrauch“ in ihrer gescheiterten Ehe vor.
Doch trotz einer beispiellosen Schmutzkampagne in den regierungsnahen Medien sehen viele Ungarn in dem vom Fidesz-Glauben abgefallenen Maygar einen Hoffnungsträger für die ersehnte Veränderung. Andere sind der ewigen Streitereien in den Reihen der traditionellen Opposition überdrüssig. „Alle anderen Oppositionsparteien haben es bisher vermasselt“, begründete ein junger Mann bei „telex.hu“ seine Teilnahme an der Kundgebung.
Aber wofür steht die bisherige Einmannshow Magyar? Nicht nur beim Landesflaggenmeer, sondern auch in seinen vom Nationalpathos angeschwängerten Reden ist die Fidesz-Sozialisation des sich als Mann der Mitte definierenden Magyar deutlich anzumerken.
Mit der Opposition teilt er die harte Kritik an der florierenden Korruption im Fidesz-Staat, mit seinem Ex-Parteichef Orban einen nationalen Zungenschlag, die harte Kritik am sozialistischen Ex-Premier Ferenc Gyurcsany – und eine gewisse, aber abgeschwächte Distanz zur EU. Er sei kein Fan eines „Europäischen Superstaats“, aber würde eher auf konstruktive Debatten statt auf endlose Konflikte mit der EU setzen, so der frühere Diplomat der ungarischen EU-Vertretung in Brüssel gegenüber dem Guardian.
Skeptische Opposition
Zur Gründung einer eigenen Partei ist es vor den Europawahlen zu spät, darum würde sich Magyar am liebsten an eine bereits bestehende Partei anhängen. Doch nicht nur von Fidesz, sondern auch von der Oppositionskonkurrenz wird der unerwartet aufgetauchte Magyar eher skeptisch beäugt.
Von Magyar unterschieden sich diejenigen, die noch nie für Fidesz gestimmt hätten und mit Fidesz nie Kompromisse eingegangen seien und Putin schon immer für einen Tyrannen gehalten hätten, bemerkt spitz DK-Chef Gyurcsany. Sie respektiere Magyar und dessen „Kampf auf der Rechten“, versichert die stellvertretende MSZP-Chefin Agnes Kunhalmi. Doch auch Magyar wisse, dass es spätestens bei den Parlamentswahlen 2026 bei der angestrebten Ablösung von Orban einen „Koalitionszwang“ gebe: „Orban kann sich noch immer zurücklehnen und Kaffee trinken, weil das Fidesz-Lager noch stets geeint ist.“
Kann Magyar für die Opposition neue Wählerschichten erschließen oder löst er in erster Linie oppositionsinterne Wählerwanderungen aus? Manche Analysten glauben, dass der Aufstieg von Magyar, der nach unterschiedlichen Schätzungen bei zehn bis zwanzig Prozent der Stimmen notiert, vor allem den Kleinparteien der Mitte wie „Momentum“ Stimmen kosten könnten. Andere glauben, dass er eine traditionell christliche, aber von Fidesz enttäuschte Mittelschicht anspreche.
Der Analyst Gabor Torök sieht gegenüber der Wochenzeitung Magyar Hang im Aufstieg von Magyar derweil eine „Vorahnung“, wie der Sturz von Fidesz eines Tages an internen Zerwürfnissen beginnen könne. Denn ein „Regime“ wie das von Orban könne kaum von der Opposition, aber von denjenigen besiegt werden, „die aus dem System kommen“.
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