/ Vom Messias zum Märtyrer: ÖVP stilisiert Altkanzler Kurz im Wahlkampf als Opfer
„Sebastian Kurz als Kinderpornodarsteller“ – diese abstruse „Enthüllung“ eines deutschen Spinners wäre in den unendlichen Weiten des Webs untergegangen, hätte nicht die ÖVP selbst darauf aufmerksam gemacht und „Skandal!“ gerufen.
Von unserem Korrespondenten Manfred Maurer, Wien
Für seine Hardcore-Fans hat Sebastian Kurz noch immer etwas Messianisches. Kein Wunder: Bevor der Jungspund im Mai 2017 die ÖVP übernommen und zur türkisen Bewegung umgemodelt hatte, waren die Schwarzen ein desperater Haufen, der gemeinsam mit dem Koalitionspartner SPÖ dem nächsten Wahltriumph der Rechtspopulisten entgegenzitterte. Der damals 30-Jährige hauchte seiner Partei neues Leben ein und surfte auf einer Welle der Begeisterung ins Kanzleramt.
Alles war gut. So schien es zumindest. Bis im Mai dieses Ibiza-Video aufpoppte und ihm den Koalitionspartner wegsprengte. Da kamen erste Zweifel an den messianischen Qualitäten des Jungstars auf. Er konnte doch nicht übers Wasser gehen und wirkte plötzlich gar nicht mehr so souverän. Als er dann auch noch bei einem Freikirchen-Event in der Wiener Stadthalle von einem Christenguru auf offener Bühne wirklich wie ein Messias angebetet wurde, schien es, als würde ihm diese Rolle selber langsam peinlich.
Ein Spinner aus Thüringen
Für die Begeisterung der Massen braucht es jedoch emotionalen Antrieb. Wenn der Messias angeschlagen ist, drängt sich die neue Rolle geradezu auf: die des Märtyrers. Gleich am Tag nach dem Ibiza-Paukenschlag hatte Kurz es darauf angelegt, indem er den Österreichern erzählte, wie schwer er es doch oft hatte, wenn er um des lieben Koalitionsfriedens willen extremistische oder rassistische „Einzelfälle“ der FPÖ herunterschlucken musste.
Weil aber der Wahlkampf bisher nicht ganz so rund läuft wie die Schreddermaschine, in der ein Kurz-Mitarbeiter unter falschem Namen fünf Festplatten aus dem Kanzleramt hatte vernichten lassen, muss der Solidarität der möglicherweise zweifelnden Jünger auf die Sprünge geholfen werden. Am besten, indem man ihnen sagt, wie böse die Welt zu Kurz ist.
Und so bekam plötzlich der rechtsradikale Blogger Siegfried Mayr im thüringischen Weida jene Aufmerksamkeit, die ihm besser ein guter Psychotherapeut zukommen lassen sollte. Dieser Wahlkampf „verkommt immer mehr zur schmutzigsten Schlacht, die es jemals gegeben hat. Und alles nur mit einem Ziel, nämlich Sebastian Kurz nachhaltig zu beschädigen“, zeigte sich ÖVP-Generalsekretär Karl Nehammer fassungslos. Die Empörung hatte Mayr auf seiner Webseite „Gebirgsterror Space“ mit einer „Enthüllung“ ausgelöst, die zu abstrus war, um von irgendeinem seriösen Medium beachtet zu werden.
„Mordauftrag“ von Van der Bellen
Wörtlich heißt es da: „Der ehemalige österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz hat nachweislich bereits in den 90er-Jahren als Darsteller für Kinderporno-Filmproduktionen gearbeitet und er war als Strichjunge tätig.“ Dies mache ihn „erpressbar und zu einer israelischen Marionette“. Das Beweisvideo soll laut Mayr beim Landeskriminalamt Berlin liegen. Dort weiß man davon freilich nichts.
Der dubiose Blogger weiß nicht nur alles über den „Juden Kurz“, er hat auch eine Killerstory über den österreichischen Bundespräsidenten im Köcher: „Van der Bellen erteilt einen Mordauftrag“, lautet der Titel einer Story, in der Mayr ausführlich schildert, dass Alexander van der Bellen „im Sommer 2017 meiner damaligen und mittlerweile verstorbenen Freundin einen Mordauftrag gegen mich erteilt und dafür von den Israelis eine große Menge Beutejuwelen aus dem Tunneleinbruch von Steglitz kassiert“ hat.
Der bis heute nicht restlos geklärte Einbruch in eine Berliner Volksbank-Filiale via 45 Meter langen Tunnel im Jahr 2013 hat schon vielerlei Spekulationen ausgelöst. Dass die Israelis dahinterstecken sollen, ist zwar neu, passt aber gut ins krude Weltbild eines rechtsextremen Bloggers, der sich selbst als „Nazi“ und Österreich als „diese israelische Filiale“ bezeichnet. Klar, dass Israel mit den Juwelen aus dem Bankraub auch Van der Bellens Wahlkampf finanziert hat.
Abstruses auch über Merkel
Und natürlich zweifelt auch ohne jeglichen Beweis niemand an der gestern von Mayr online gestellten Geschichte, wonach die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel 2014 bei einem Besuch in Wien an einer wilden Sexorgie teilgenommen und sich dabei Snuff-Videos (in denen missbrauchte Kinder getötet werden) angeschaut habe.
Die auf diesem Blog gebotene Mischung aus abartigen Sexfantasien, vermeintlichen Skandalen und antisemitischen Anspielungen ist ein Fall für Justiz und Psychotherapie. Tatsächlich teilte das Landeskriminalamt Thüringen gestern dem Tageblatt mit, dass bereits „polizeiliche Maßnahmen eingeleitet“ worden seien.
Dass der ÖVP-General, obwohl kein Journalist diese Abstrusitäten aufgegriffen hatte, einen lauten Empörungsschrei von sich gab und Sebastian Kurz ganz betroffen ist vom „Ausmaß an Grauslichkeit, das dieser Wahlkampf mit sich bringen wird“, hat wohl mit der Wahlkampfstrategie zu tun. Die ÖVP inszeniert ihren Spitzenkandidaten als zu Unrecht Angegriffenen. Natürlich weiß sie, dass niemand die Kinderpornodarsteller-Ente ernst genommen hätte, also für Kurz davon keine Gefahr ausgegangen wäre. Aber sie eignet sich wunderbar, um dem Publikum zu suggerieren, mit welchen Ungeheuerlichkeiten der arme Basti konfrontiert wird. Der erhoffte Nebeneffekt: Auch bei weniger spektakulären, dafür aber glaubwürdigeren Vorwürfen wirkt die Solidarisierung nach.
Ob die Märtyrer-Rechnung aufgeht, wird davon abhängen, wie sehr es den anderen Parteien gelingt, den Wahlkampf von der emotionalen auf die sachliche Ebene zu hieven.
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Der Mann mit den kurzen Beinen will wieder mit der FPÖ, passt alles, was gibt es noch alles in kurz? Die Märtyrer sitzen doch bei den Blauen. Hat der Seb mittlerweile nichts dazu gelernt. Mein Freund Herbert aus Innsbruck meint der Seb würde sich anbiedern um eventuell, wenn er älter wird, die „freie“ Parteikarte als Dank zu bekommen.
Messiasse sind immer Märtyrer, das kommt mit dem Job.